Basisdiskurs Religion XXXVIII>>>mehr
Vielleicht fragen sich einige Leser, wo denn in dieser angeblichen „Wunder“-Serie jetzt eigentlich die Wunder bleiben. Also: Im nächsten oder spätestens im übernächsten Post kommen sie, versprochen!
Die Verzögerung kommt daher, dass ich eine Gelegenheit benutze: Hier und jetzt löse ich ganz kurz die alte Frage des Verhältnisses von Glaube und Naturwissenschaften, allerdings nur für das erste Stück des christlichen Glaubens, den Glauben an einen einzigen allmächtigen Gott. Das muss ich natürlich zügig durchziehen, bevor die Herren mit den weißen Turnschuhen kommen und mich wegen erwiesenen Größenwahns einer hoffentlich wohlwollenden Behandlung zuführen.
Gott und der Sonnenaufgang
Wie in meinen vorigen Posts ausgeführt, liegt die Anwendung der „monotheistischen Theorie“ im Bereich des menschlichen Lebens. Der Gläubige sieht in dem, was ihm zustößt, ganz allgemein das Wirken dieses Gottes, das Wirken eines allmächtigen Wesens, das sich über alle Wahrscheinlichkeiten hinwegsetzen kann. Ohne an dieser Stelle zu tief darauf einzugehen: Diese Vision fegt alle fixen Vorstellungen vom Tisch, wie die Welt läuft und zu laufen hat. Das kann den Einblick in die eigene Verwundbarkeit bedeuten, wie bei Hiob, oder den Blick auf neue, unerhörte Möglichkeiten des Lebens öffnen, wie in der Predigt Jesu vom kommenden Gottesreich: Blinde sehen, Lahme gehen und den Armen wird die frohe Botschaft verkündet.
Aber was ist mit den offensichtlichen Regelmäßigkeiten des Lebens? Es scheint ziemlich unvernünftig zu sein, nicht davon auszugehen, dass die Sonne morgen früh aufgehen wird und natürlich sollte jeder bei der Planung seiner Zukunft die verschiedenen Szenarien nach ihren Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abwägen und nicht von vornehin davon ausgehen, dass sie ohnehin Schall und Rauch sind, weil alles nur von Gottes Willen abhängt.
Diese beiden Sichtweisen des Lebens stimmen nicht überein, aber das muss kein Grund sein, eine der beiden aufzugeben. Die spontane Antwort, dass beide eben verschiedene Aspekte beleuchten, ist sicher richtig. Aber eine wissenschaftstheoretische Betrachtung kann diese Erkenntnis vertiefen.
Planeten, Gase und Elektronen
Wenn in den Wissenschaftsprogrammen der Fernsehsender über Atome gesprochen wird, tauchen auf dem Bildschirm computerisierte Darstellungen einer Art von Sonnensystem auf mit einem Atomkern im Zentrum und Elektronen auf Kreisbahnen darum herum. Es handelt sich dabei um die grafische Wiedergabe des Atommodells von Bohr aus dem Jahr 1913, das in Form seiner Erweiterung 1928 zum sogenannten Orbitalmodell immer noch aktuell ist. Den Wirklichkeitsgehalt eines solchen Modells kann ich besser diskutieren, wenn ich ein zweites Atommodell heranziehe, das von Thomas und Fermi. Auch dort steht der Atomkern im Zentrum, die äußeren Elektronen aber werden als Moleküle eines idealisierten Gases beschrieben.
Natürlich eignen sich beide Modelle dazu, hübsche Bildchen zu erzeugen, die bestimmte Eigenschaften eines Atoms illustrieren können (das Orbitalmodell ist dazu allerdings besser geeignet, weshalb es gerne im Schulunterricht verwendet wird). Entscheidend ist aber, dass beide Modelle unterschiedliche Berechnungsgrundlagen bieten, mithilfe derer jeweils andere Tatbestände vorausgesagt werden können. So kann das Orbitalmodell detaillierte Informationen über den Aufbau der Elektronenhülle liefern, während sich aus dem Thomas-Fermi-Modell Methoden zur schnellen Berechnung der Dichte von Atomen in Molekülen ableiten lassen.
Das Nebeneinander ertragen
Keines dieser Modelle ist „das wahre“, genauer gesagt, keines dieser Modelle liefert alle wünschenswerten Methoden zur Beschreibung aller Phänomene der Atomphysik. Die Parallele zu den zuvor beschriebenen unterschiedlichen Sichtweisen auf unser menschliches Leben liegt auf der Hand: Das Leben angesichts des einen, unbeschränkt allmächtigen Gottes hat eine spirituelle Qualität, die uns die Vorstellung eines grundsätzlich voraussehbaren und planbaren Lebens nicht liefern kann. Aber diese Vorstellung ist wiederum unverzichtbar für unser tägliches Handeln.
Diese Parallele ist wichtig, um die Fehler in den Vereinfachungen sowohl des zeitgenössischen Radauatheismus à la Dawkins als auch, auf der anderen Seite, die einiger früherer Theologen einordnen zu können. Diese hatten, um die Regelmäßigkeit vieler natürlicher Vorgänge zusammen zu bringen mit der prinzipiellen Freiheit Gottes, Naturgesetze als consuetudines dei bezeichnet, als Gewohnheiten Gottes. Das wäre in etwa gleich zu setzen mit dem Versuch, die Schalen des Orbitalmodells als „irgendwie gasförmig“ zu bezeichnen und so das Thomas-Fermi-Modell einzubinden.
Ein solcher Ansatz wäre nichts weiter als ein hilfloser Versuch, mit aller Gewalt ein einheitliches Weltbild herbei zu reden, weil man mit dem Nebeneinander verschiedener Modelle psychologische Schwierigkeiten hat. Praktische Konsequenzen hätte es keine wenn nicht die, Physiker zu verwirren und in ihrer Suche nach Erkenntnis zu behindern.
Atheistische Mythen
Ein schönes Beispiel für die ungebrochene Vitalität des eben erwähnten Radauatheismus ist das im letzten Jahr erschienene Werk „The Atheists Guide to Reality“ von Alex Rosenberg (hier eine Besprechung). Danach enthält die Atomphysik die ganze Wahrheit über die Realität, alles Geschehen unter und jenseite der Sonne wird durch die Aktivitäten von „Fermionen und Bosonen“ bestimmt. Das ist, um es kurz zu machen, die zur Zeit aktuelle Einteilung der Teilchenphysik, alle atomaren Partikel fallen danach in einer der beiden Klassen.
Auch hier handelt es sich um ein rein psychologisches Manöver ohne wissenschaftlichen Wert analog dem der consuetudines dei. Um dies aufzuzeigen, genügt ein kleines Gedankenexperiment: Es gibt bei diesen Partikeln noch Unklarheiten, was die sogenannten Gravionen angeht, die den Einfluss der Schwerkraft repräsentieren. Angenommen, die Physik müsste ihretwegen eine dritte Klasse eröffnen, so könnte Rosenberg seine Ausführungen in der nächsten Ausgabe einfach mit „Fermionen, Bosonen und Gravionen“ ergänzen, sonst müsste er nichts davon ändern.
Das allein zeigt, dass solche Gedanken ohne wissenschaftliche Folgen und deshalb ohne wissenschaftlichen Wert sind. Sie können nicht einmal auf der Ebene der Atomphysik das Nebeneinander der verschiedenen Modelle sinnvoll auflösen, geschweige denn auf der Ebene des menschlichen Lebens das Modell des einen Gottes.
Gott und Wirklichkeit
Der Gläubige, der die monotheistische Theorie annimmt und in sein Leben umsetzt, sollte zwar nicht eingehen auf radauatheistische Argument wie „in Wirklichkeit gibt es keinen Gott, sondern nur Fermionen und Bosonen“. Er sollte aber auch wissen, warum er nicht darauf eingeht: Weil die Idee Gottes ein Modell der Wirklichkeit ist und sich in den hier entscheidenene Punkten nicht von anderen solchen Modellen unterscheidet. Es stellt uns ein Bild unserer Lebenswirklichkeit vor Augen, das knapp und umfassend ihren stochastischen und chaotischen Charakter beschreibt und sich in ein tiefes Lebensgefühl übersetzen lässt. Und es ist, wie der Gläubige behauptet und bezeugt, in dieser seiner wesentlichen Hinsicht allen anderen Modellen überlegen.
Selbstkritische Komponenten
Wenn ich den monotheistischen Glauben in dieser Form als Modell meiner Lebenswirklichkeit verstehe, kann ich allerdings aus den Parallelen zu wissenschaftlichen Modellen auch eine Warnung heraushören. Das Modell von Thomas-Fermi zum Beispiel beschreibt die Elektronenhülle des Atoms als idealisiertes Gas (das vor allem, im Gegensatz zu wirklichen Gasen, nicht komprimiert werden kann).
Der Gläubige fasst nun den einen allmächtigen Gott als Person auf und natürlich weiß er, dass dies eine idealisierte Person ist. Wirkliche Personen sind ja zum Beispiel nicht allmächtig, zumindest kenne ich in meinem Bekanntenkreis niemand, auf den diese Beschreibung zuträfe. Trotzdem werden in frommen oder auch nur bequemen Diskursen unbedenklich allgemeine Eigenschaften von Personen übernommen und auf Gott angewendet. Es muss von entscheidender Wichtigkeit sein, die Grenzen zwischen der idealisierten Person der monotheistischen Theorie und dem Du eines vertrauenvollen Gebetes klar zu erkennen und nicht nur klar zu erkennen, sondern auch Folgerungen daraus zu ziehen.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Persönliche Präambel„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.