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Wunder II: Das große Uhrwerk
In meinem letzten Post habe ich die Wundererzählungen über Jesus und ihr problematisches Verhältnis zu den Naturwissenschaften angesprochen. Ich war dabei bis zur Physik des Aristoteles gekommen, der die Vorgänge in der Welt in zwei Bereiche einteilte: Die translunare Sphäre über dem Mond, in der die Planeten ihre unveränderlichen und berechenbaren Bahnen ziehen und die sublunare Sphäre unter dem Mond hier auf der Erde, in der alle Phänomene einem stetigen Wechsel unterworfen sind.
In dieser Sphäre war die Vorstellung von Wundern weniger problematisch, weil das Neuartige und Unerwartete an ihnen grundsätzlich zum wechselhaften Charakter des sublunaren Bereichs passte.
Galilei und Newton
Das änderte sich mit dem Beginn der Neuzeit. Ein Pionier einer neuen Wissenschaft war Galileo Galilei. Zwar musste man bis Newton warten, um eine Physik zu bekommen, die den Unterschied zwischen den beiden Sphären aufhob und in der z.B. die Gravitation in gleichem Maße sowohl auf die Planeten als auch auf fallende Gegenstände auf der Erde wirkte. Doch Galilei war wegweisend für eine neue Art zu denken, für den Ansatz, einmal ganz entschlossen hinter die sublunaren Vorgänge zu schauen, ob sich nicht dort ebensolche Regelmäßigkeiten und Regeln finden ließen wie die für die Planetenbahnen.
Es ist übrigens bezeichnend, dass er sich für seine neuen Erkenntnisse zum großen Teil auf Gedankenexperimente stützte, die ja nur unter der Voraussetzung Sinn ergeben, dass die Phänomene dieser Welt rational durchdringbar sind (darin traf er sich durchaus mit Papst Benedikt). Und er und die anderen neuen Naturwissenschaftler hatten Erfolg mit diesem Ansatz. Sein spektakulärer Höhepunkt fand sich dann in den Theorien Newtons. Mit den dort mathematisch formulierten Axiomen trat sozusagen die translunare Sphäre ihren Siegeszug auch unterhalb des Mondes an, wurde die Vorstellung von ewigen, bis in jede Einzelheit präzise wirkenden Regeln auch auf die Vorgänge rings um uns herum übertragen.
Gott als Uhrmacher
Die moderne Vorstellung, dass Gott damit seine Entlassungspapiere bekommen hatte, wäre den damaligen Zeitgenossen merkwürdig vorgekommen. Dass Newton mehr theologische als naturwissenschaftliche Traktate schrieb, ist eine durchaus bezeichnende Anekdote. Wenn man etwa die Arbeiten von Kepler liest, dessen astronomische Arbeiten zum ersten Mal eine klare Überlegenheit des heliozentrischen gegenüber dem geozentrischen Weltbild schufen, so wird darin eine tiefe Ehrfurcht vor dieser neuen Schau des Universums formuliert, diese riesige und perfekte Schöpfung Gottes ist ihm ein mysterium fascinosum.
Diese berechenbare Perfektion, die den Charakter eines Uhrwerks annimmt, wird nun überall und in allen Dingen gesucht. Überall versucht man, bildlich gesprochen, die Phänomene aufzuschrauben und in ihrem Inneren nach dem Uhrwerk zu suchen, das sie antreibt. Und wenn sich mit der Zeit herausstellt, dass das eine oder andere der Zahnräder nicht so rund läuft, wie es die Theorie gerne hätte, schraubt man auch noch dieses Zahnrad auf und versucht, darin den Mechanismus zu finden, der solche Abweichungen von der Regel verursacht.
Diese Ideologie, diese zu einem Dogma angewachsene Sicht auf die Welt als großes Uhrwerk, dessen Funktion durch immer genauere Forschung bis zum ultimativen, kleinsten Zahnrad erschlossen werden kann, fand seinen griffigen Ausdruck in dem „Laplaceschen Dämon“, der Parabel eines Physikers, nach der ein umfassend informiertes Wesen aus einem beliebigen Ist-Zustand des Universums jeden zukünftigen Augenblick in all seinen Einzelheiten berechnen könnte.
Wie gesagt, dieses großen Uhrwerk der Welt hatte nach wie vor Platz für einen großen Gott zu Beginn aller Zeiten, der es schuf und in Gang setzte und die weite Verbreitung dieser Vorstellung, des sogenannten Deismus, in der Aufklärung zeigte die Attraktivität dieser Vorstellung.
Der schizophrene Gott
Allerdings war dieser Schöpfergott der Deisten nach seinem ersten Akt ausgeschlossen von seiner von ihm geschaffenen Welt, er griff nicht mehr ein in sein Uhrwerk. Das war nicht mehr als konsequent. Denn wenn man tatsächlich im weiteren Verlauf der Welt so etwas wie einen Wunder wirkenden Manipulator gebraucht hätte, ein Wesen, das Wasser in Wein verwandelt und den Spiegel eines Sees in eine begehbare Oberfläche, dann hätte man diese Aufgabe eben so gut an einen zweiten Gott delegieren können. Der perfekte Schöpfer des perfekten Uhrwerks von Allem war in seinem Wesen völlig verschieden von jemand, der aus zweifelhaften pädagogischen Gründen an diesem oder jenem Punkt die Abläufe verbiegt.
Das Zitat von Dawkins (in meinem letzten Post) bringt das gut zum Ausdruck, wenn er das ordentliche Universum beschwört, das, seinem Wesen nach, keinen willkürlichen Eingriff von außen duldet. Allerdings spart er sich dabei den deistischen Schöpfergott, der mit fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnis immer überflüssiger geworden ist.
Das Uhrwerk streikt
Der Laplacesche Dämon hat nun zwei Voraussetzungen:
- Erstens eine letzte, tiefste Ebene der Materie, die so strengen Regeln folgt wie z.B. nach Newton die Planetenbahnen. Dies ist die Grundlage, von der aus der Dämon alle anderen Phänomene ableiten kann.
- Zweitens ein lückenloses Geflecht einer linearen Kausalität, das sich von dieser Basis aus bis in die größten Vorgänge wie z.B. die Entstehung von Galaxien erstreckt. Das heißt, dass jeder Vorgang einen Satz von genau bestimmbaren Auslösern hat und dass diese immer nur genau diesen Vorgang bewirken werden. So darf eine bestimmte Wetterlage am Montag, wenn sie nur genau genug analysiert wird, immer nur eine einzige Wetterlage am Dienstag nach sich ziehen. Ist das nicht der Fall, muss der Dämon mit seinen Berechnungen scheitern.
Beide Voraussetzungen widersprechen dem heutigen Stand der Wissenschaft. Gegen die erste steht die Quantenlogik, gegen die zweite der zunehmend unsichere Status der Kausalität als brauchbarer wissenschaftlicher Begriff.
Vorsicht vor Quantensprüngen
Die damals überraschenden Ergebnisse der Quantentheorie sind mittlerweile bekannt: Es gibt im subatomaren Bereich Vorgänge, deren Eintreten nicht voraus berechnet werden kann. Allerdings werden aus dieser Tatsache manchmal übertriebene Schlüsse gezogen, etwa der, dass Gott seine Wunder durch ein heimliches Eingreifen in diesem Bereich bewirken könnte. Im Großen und Ganzen mendeln sich die auftretenden Unsicherheiten aus, sobald man Phänomene in der Größenordung etwa eines Wasserstoffatom betrachtet. Wichtig ist sie vor allem deshalb, weil sie nicht nur den Laplaceschen Dämon ins Reich der Fabeln verwiesen hat, sondern auch die dahinter liegende Vorstellung der absoluten wissenschaftlichen Durchdringung der Welt.
Das Buch des Universums
Tatsächlich hatte diese Vorstellung nie viel mit der Wirklichkeit der Forschung zu tun, sie war eine unrealistische Extrapolation, entsprungen der Euphorie in den Gründerzeiten der modernen Naturwissenschaften. Der dahinter liegende Gedanke war allerdings nahe liegend; sehr schön hat ihn Galilei ausgedrückt, wenn er über die Naturwissenschaft schreibt:
„[Sie] ist in dieses große Buch eingeschrieben – damit meine ich das Universum – das immer unserem Blick offen steht, das aber nicht verstanden werden kann, wenn man nicht zuerst die Sprache versteht und die Buchstaben übersetzen kann, in der es geschrieben ist. Geschrieben ist es in der Sprache der Mathematik und ihre Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen.“
Diese Vision des Universums als großes zusammenhängendes Buch weist den verschiedenen wissenschaftlichen Theorien keinen eigenen Stellenwert zu, sie sind nur Teilstücke einer fortlaufenden Entzifferung des selben Textes. Die Wirklichkeit der verschiedenen Disziplinen und der darin entstehenden Theorien konnte dieses Ideal nie erreichen und allmächlich begann man, dies nicht als bald überwundenes Zwischenstadium anzusehen, sondern als Patchwork, das immer verbessert werden konnte, aber nie zu einem homogenen Ganze zusammen wachsen würde.
Die Bibliothek der Naturwissenschaften
Diese Sichtweise wird in einem neueren Text beschrieben, der von dem zeitgenössischen Wissenschaftsphilosophen Ian Hacking stammt:
„[Gott] schrieb kein Buch der Natur […] Er schrieb eine […] Bibliothek, wobei jedes Buch so konzise wie möglich ist, aber in der jedes Buch inkonsistent ist mit jedem anderen Buch. […] Die beste Art, möglichst viele Phänomene zu haben und gleichzeitig die einfachsten Gesetze ist es, diese Gesetze untereinander inkonsistent zu halten, jedes von ihnen anwendbar auf dieses oder jenes, aber keines davon auf alles.“
Ich würde statt „inkonsistent“ lieber „kontingent“ sagen, aber ansonsten wird hier ziemlich dramatisch das ausgedrückt, was in der Wissenschaftstheorie schon lange Konsens ist, aber noch nicht das allgemeine Bewusstsein erreicht hat: „Naturgesetze“ als zusammenhängende, grundlegende Prinzipien, denen alle materiellen Phänomene unterworfen sind, sind ein Mythos. In Wirklichkeit werden Naturgesetze innerhalb einzelner Theorien formuliert, die jeweils einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit behandeln und erklären.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Die vier Dimensionen einer Religion„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.