So. Das Buch ist fertig, es heißt bekanntlich „Kurzes Interview mit einer sterbenden Idee“. Ebenso bekanntlich der Untertitel: „Der Tod des Christentums und was das mit uns macht“. Und eigentlich müsste es natürlich „unbekanntlich“ heißen. Mal sehen, ob sich daran was ändern lässt.
Und ich war auch fertig, zumindest die letzte Woche, vermutlich so eine Art Abnabelungsprozess, wenn jemand ein dreiviertel Jahr jeden Tag, nun gut, fast jeden Tag an dem Text sitzt, um einfach alles reinzupacken und das Ganze auch noch auf 56 DIN A4-Seiten zusammenzukochen (12pt, Proportionalschrift, Zeilenabstand 1-zeilig, falls das jemandem etwas sagt). Und das Anstrengendste daran war die Tatsache, dass dabei immer wieder ganz neue Türen sichtbar wurden, die ich erst einmal aufschließen musste oder vielmehr mit dem Schädel einrennen.
Hochsprung
Was ich inzwischen verstanden habe, ist mehr oder weniger der ganze Paulus. Und ich werde mich in Zukunft nicht mehr, wie bisher, für meinen Größenwahn entschuldigen, wenn ich solche markigen Aussagen mache. Irgend jemand sollte ihn ja wohl auch in unserer Zeit einmal wirklich verstehen und das ist eben im Moment meine Wenigkeit. Dass frühere oder spätere Generationen ihn ganz anders auffassen, ist sowieso klar, ändert aber nichts an dem Hier und Jetzt: Hic Rhodos, hic salta.
Die Latte, über die zu springen ist, sieht in jedem Zeitalter verschieden aus. Die Aufgabe lautet zwar immer gleich: Spring da drüber, ohne die Latte zu reißen, eigne dir ein Verständnis des Textes, des Glaubens an, das sowohl (a) alles gängige Wissen zu diesem Punkt berücksichtigt als auch (b) einen glaubwürdigen spirituellen Gehalt in sich birgt. Sie ist verändert sich aber über die Jahrhunderte je nach den Veränderungen in den Punkten (a) und (b).
Hohe Latte, gute Schuhe
Wie sieht es in diesen beiden Punkten heute aus, sagen wir mit Punkt (a), dem gängigen Wissen zum Beispiel zu Paulus? So, wie ich meine Zeitgenossen beobachte, sehe ich eine gewisse Resignation am Werk, gekoppelt mit starken Rückzugstendenzen. Eine ganze Reihe „seiner“ Briefe sind inzwischen als spätere Texte erkannt worden, in den authentischen hat man eine ganze Reihe unterschiedlicher Gedankengänge identifiziert, von denen einige auf jüdische Vorbilder zurückgehen und vom historischen Jesus hatte er ohnehin keine Ahnung. Also spricht man von einer „Wolke von Theologien“, was ein Kürzel dafür ist, dass man zwar kein eigentliches Verständnis erreicht, aber zumindest bewiesen hat, dass bereits der Versuch, über diese Latte zu springen, zutiefst unwissenschaftlich ist.
Ich würde sagen, dass sie aus diesen Gründen zwar tatsächlich höher hängt, dass aber andererseits genau darum unsere Hilfsmittel unvergleichlich besser sind als jemals zuvor. Es wäre z.B. ziemlich schwierig, die Gedankenwelt des Paulus zu rekonstruieren, wenn man dafür auch die Briefe berücksichtigen müsste, die gar nicht von ihm sind.
Um bei meinem Beispiel zu bleiben (das ich bis zum Ende dieses Posts bestimmt totgeritten habe): Ja, die Latte liegt höher, aber gleichzeitig haben wir bessere Schuhe und einen besseren Bodenbelag, mit dem wir wesentlich besser springen können als alle Generationen vor uns.
Schwache Beine, optimales Training
Punkt (b), den spirituellen Gehalt, sehe ich ähnlich, allerdings bin ich da nicht ganz so optimistisch wie bei (a). Ich persönlich habe keinen Zweifel daran, dass bei uns kopfgesteuerten Leuten die Fähigkeiten zur Spiritualität ausgesprochen schwach geworden ist. Ich habe in meinem Leben ausgesprochen bedrohliche Situationen erlebt, aber mir sind noch nie die Haare zu Berge gestanden, und ich hatte damals eine ganze Menge davon. Mir ist auch vieles Wunderbare begegnet, aber mir hat noch nie das Herz im Leibe gelacht.
Die tiefe körperliche Verbundenheit, die in diesen alten Redensarten zum Ausdruck kommt, fehlt uns heutzutage und ich persönlich habe auch hier keinen Zweifel daran, dass ohne sie unsere Spiritualität nur eine fahle Flamme sein kann.
Andererseits kennen wir inzwischen Techniken wie z.B. die Zen-Meditation, die sich in ihrem spirituellen Gehalt zwar scharf unterscheidet vom Christentum, die uns aber ein Stück weit hilft, uns zumindest eine grobe Richtung zeigt, in die wir suchen können.
Auch hier wieder mein Beispiel (bestimmt das letzte Mal, da ich heute hier Schluss mache): An diesem Punkt sind unsere Muskeln inzwischen ziemlich schwach geworden, wir kennen aber dafür Trainingsmethoden, die dies ein Stück weit ausgleichen können.
Wichtig
Das Wichtigste ist aber zunächst, dass wir die Latte überhaupt noch sehen können, dass wir spüren: „Da ist etwas!“ und auch „Da will ich drüber, egal was“.
Warum nicht?
Wenn Sie beim Erscheinen neuer Posts benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.