Die am Ende des letzten Posts versprochene Fortsetzung werde ich noch etwas verschieben – schwere Kost, sowohl für den Koch (mich) als für den Gast (Sie). Dazwischen etwas Leichtes, wenn auch leicht Deprimierendes.
Preisfrage: Was haben der erste Atlantikflug, die italienischen Nudeln und die Evangelien gemeinsam?
Anwort: Sie sind sind Beispiele für unsere gesellschaftlich akzeptierte Halbbildung. Wer flog als erster über den Atlantik? Lindbergh. Wer hat die Nudeln nach Italien gebracht? Marco Polo. Wer hat den Kanon der vier Evangelien festgelegt und alle abweichenden Schriften verbrannt? Kaiser Konstantin. Letzteres gehört inzwischen tatsächlich zum „Allgemeinwissen“, wie ich erst kürzlich wieder bei einer Abendkonversation feststellen konnte.
Alle drei Antworten sind natürlich falsch. Der erste Non-Stop Flug über den Atlantik wurde 1919 von Alcock und Brown durchgeführt, Lindbergh flog erst 1927. Die Zubereitung von Nudeln wurde bereits vor der Rückkehr Marco Polos aus China in italienischen Kochbüchern beschrieben. Und die Evangelien? Seufz.
Natürlich stand der Kanon des Neuen Testaments bereits fest, lange bevor Konstantin das Christentum als (zunächst inoffizielle) Staatsreligion übernahm. Und natürlich gibt es nicht den geringsten Hinweis, dass er irgendwelche Schriften verbrennen ließ. Ich vermute, dass diese Ente aus Dan Browns Da Vinci Code stammt; da ich mich strikt weigere, dieses widerliche Machwerk zu lesen, kann mich vielleicht ein Kommentator auf die richtige Spur setzen. Jedenfalls wurde dieses Hundehäufchen von der Bevölkerung begeistert vom Straßenpflaster gelöffelt und hat inzwischen den Status des „weiß doch jeder“ erreicht. Also: Tief Luft holen und die Süddeutsche Zeitung aufschlagen, bekanntlich eine der renommiertesten Tageszeitungen Deutschlands.
Auf S. 12 der letzten Ausgabe (5./6. Januar) wird die iranische Filmemacherin Marjane Satrapi interviewt. Dort lesen wir diese ihre folgende Aussage:
„In Europa wird immer getrennt zwischen der griechischen, der jüdischen und der christlichen Kultur, doch das ist falsch. Nehmen Sie Weihnachten, das ist aus dem Fest der Mitra (sic!) hervorgegangen, einer iranischen Feier, die die dann von den Heiden in Europa übernommen wurde. Dann wurde das Datum der Geburt Jesu dem Fest von Mitra zugeordnet.“
Für den, der so etwas mag, zeigen sich hier die interessantesten Schichtungen von völligem Bockmist. Gemeint ist hier offensichtlich der Mithras-Kult im alten Rom. Der Zusammenhang dieses Gottes mit dem altpersischen (altiranischen) Gott namens Mithra ist noch ungeklärt. In Persien, also im alten Iran war er ein hoher Gott, aber mit völlig anderen Attributen. Die ihm geweihte Zeit (vielleicht mit Festen begangen), war der sechzehnte Tag des Monats und der siebte Monat des Jahres. Weihnachten? Äh, bitte?
Na ja, egal. Vielleicht in Rom? Da besteht wieder das kleine Problem, dass es von dem Mithraskult dort zwar jede Menge Weiheinschriften usw., aber keinerlei inhaltliche Überlieferungen gibt, also ein gefundenes Fressen für alle, die sich so was lieber selber erfinden. Das derart gewonnene „Allgemeinwissen“ über Mithras, wie es in einer Reihe von Bestsellern zu besichtigen ist, läuft darauf hinaus, dass das Christentum zu ca. 90% aus dem Mithraskult zusammengeklaut ist. Wie es im Einzelnen zu der Gleichsetzung eines imaginären Mithras-Feiertags mit Weihnachten gekommen ist, weiß ich nicht. Ich vermute, dass dies über Darstellungen von Mithras gekommen ist, auf denen er mit dem Sonnengott speist. Und das höchste Fest des altrömischen Sonnengottes Sol war das Sol-Invictus-Fest zur Wintersonnenwende, also etwa an Weihnachten. Da hat dann vermutlich Sol das Fest netterweise seinem Saufkumpan Mithras überlassen und die hinterlistigen Christen haben es dann prompt geklaut. Oder irgend so etwas halt. Ganz daneben liegt man da sowieso nicht, weil die Kirche eh ein Schweineverein ist, weiß man ja, Kreuzzüge und Inquisition und all so was (letzteres eine kaum verzerrte Wiedergabe von Diskussionen, die ich selbst erlebt habe).
Und nun noch das Sahnehäubchen: Das Gespräch in der SZ wurde wohl auf Französisch durchgeführt, die Interviewerin hat „Mitra“ gehört, hatte natürlich keine Ahnung, um was es ging und auch weder Zeit noch Lust, sich zu informieren. Irgendwo musste in ihrem Hirn noch ein Restbewusstsein da sein von diesem lustigen Hut, den die Bischöfe immer auf dem Kopf haben, die Mitra, nicht? Komisch eigentlich, dass es für so eine Mütze im alten Persien ein eigenes Fest gegeben hat, aber ich habe eh schon zuviel Zeit mit diesem Interview verplempert, also raus damit. Die renommierte Tageszeitschrift merkt sowieso nichts. Und, ganz ehrlich, wer kümmert sich denn um diesen ganzen alten Krempel? Na eben:
Ist doch alles total egal.