Die „Brigitte“ gehört zu den Frauenzeitschriften, die ich selbst natürlich nie lese, die aber immer herumliegen, wenn ich irgendwo zu Besuch oder im Wartezimmer bin. Und ab und zu hat man da ja nichts Besseres zu tun und liest sie von vorne bis hinten, aber immer nur ausnahmsweise. Ganz ausnahmsweise!
Die letzte Ausgabe enthielt die Glosse eines Vaters und Redakteurs. Hier der zentrale Abschnitt daraus:
Die Sache mit dem Glauben frustriert mich. Die Kinder fragen, ich stottere. Keine Antworten. Was „allgegenwärtig“ eigentlich heißen soll, will Camilla, 8, wissen. Und ich fange an zu stammeln, von „überall“ und „immer“ und „ewig“. Es hört sich magisch an. Und blöde. Als ob ich über den Euro reden würde.
Irgendwann nickt Camilla, sie verstehe schon. „Das ist wie mit der Honigmilch. Du tust einen Löffel Milch rein und plötzlich ist er überall.“
Was geschieht da? Ich vermute, dass dem Autor all diese Dinge, die er vermitteln will, in seiner Kindheit als einfache Tatsachen mitgeteilt wurden („Ein Auge gibt’s, das alles sieht, auch was in dunkler Nacht geschieht“). Er selbst hat dazu eine kritische Distanz gewonnen, aber den emotionalen Kern behalten. Diesen versucht er nun, mit denselben Worten weiter zu geben, mit denen er ihn selbst empfangen hat. Und, wie zu erwarten, funktioniert das nicht. Er ist zum Schluss heilfroh, wenn seine Tochter ihm mit einem pantheistischen Geistesblitz aus der Patsche hilft.
Paraverbales Sprechen
Wenn sich Kinder seit meiner Zeit als Vater nicht gewaltig verändert haben, dann ist diese ihre elternfreundliche Reaktion nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil macht man sich ja gerne einen Spaß daraus, dort ein bisschen nachzubohren, wo sich bei Autoritätspersonen offensichtliche Lücken auftun. Ich unterstelle, dass der Vater bei und mit seinen Erklärungsversuchen signalisiert hat, dass es sich hier um eine sehr wichtige und wertvolle Sache handelt, die unbedingt gerettet werden muss und dass dies die Tochter davon überzeugt hat, selbst nachzuhelfen. Ich möchte diese Art der Übermittlung paraverbal nennen (ich liebe es, solche Wörter zu erfinden). Diese Art der Kommunikation hantiert durchaus mit einem traditionellen religiösen Wortschatz hantiert, kann aber das eigentlich Gemeinte damit aber nicht mehr vermitteln.
Dieser paraverbale Sprechakt ist im Bereich des Christentums überall zu beobachten. Ich erinnere mich an einen Artikel aus dem renommierten „Christ in der Gegenwart“, in der von einer Mutter berichtet wurde, deren Tochter vor Weihnachten von einer muslimische Klassenkameradin belehrt wurde, dass das alles Unsinn ist, weil Gott keinen Sohn haben kann. Und die Mutter fragte: „Und was soll ich jetzt meiner Tochter sagen?“ Der Artikel war lang, der Verfasser gebrauchte viele bekannte Worte und war zum Schluss offensichtlich selbst der Ansicht, er hätte diese Frage damit irgendwie beantwortet. Für den außen Stehenden transportierte diese Antwort aber offensichtlich keinerlei Information, sondern diese Worte lediglich Signale, die den Leser dazu bringen sollten, in seinem Geist einen Gemütszustand der Befriedigung aufzubauen. Das betreffende Kind hätte damit jedenfalls damit nichts anfangen können.
Die nächste Generation
Und es liegt auf der Hand, dass solche paraverbalen Erklärungen die nächste Generation nicht überdauern werden. Ich glaube kaum, dass die Tochter des Redakteurs ihre eigenen Kinder mit denselben Worten belehren wird wie ihr Vater. Für ihren Vater transportierten sie in seiner Kindheit Tatsachen, für sie selbst transportierten sie in ihrer eigenen Kindheit nur paraverbale Signale ohne Informationsgehalt.
Dies ist sicher einer der Gründe, warum hierzulande nach den neuesten Umfragen nur mehr ein Drittel der Kinder getauft werden: Die Eltern spüren, dass sie nichts mehr in der Hand haben, um ihren eigenen vagen Glauben weiter zu geben. Vage deshalb, weil sie ihn empfangen haben als ein Paket mit der Aufschrift „Wichtig!“, aber ohne Inhalt unter dieser aufwendigen Verpackung.
Hm……und wie gedenken Sie, diese Verpackung wieder mit Inhalt zu füllen?
Ich spüre diese spezifische Unsicherheit bei jeder Diskussion, und wenn man es mit Erwachsenen zu tun hat, und ihrem Glauben ehrlich auf den Grund gehen will, erntet man neben argumentativer Hiflosigkeit des Öfteren Aggressivität, bestenfalls Unverständnis, wieso man die Prämissen des Glaubens nicht einfach unhinterfragt stehen lassen kann.
Ich teile ihre Einschätzung dass der Glaube in dieser Form nicht überleben wird. Ich sehe aber, wie gesagt, nicht, in welcher Form er überdauern könnte, und sehe es auch nicht als tragisch an, wenn bestimmte Formen des Glaubens verschwänden. Aus meiner Sicht bräuchten wir eher Denk- als Glaubensschulungen, womit ich nicht gesagt haben wollte, dass Glauben und Denken sich notwendigerweise widersprechen müssen.
Jetzt bin ich aber doch gespannt: Wie, denken Sie, könnten sich die beiden nicht widersprechen?
Ich sollte präziser formulieren…..wenn ich das den ganzen Tag über tun muss, werde ich irgendwann nachlässig. Es ging mir darum zu betonen, dass ein bestimmter Glaube bei einem bestimmten Menschen dem Denken durchaus noch zugänglich sein kann, auch wenn ich der Meinung bin, dass dies mit Gefahren verbunden ist, die dem Glaubenden nicht bewusst zu sein scheinen. Besser ist immer ein Glaube, der sich präzisem Denken kategorisch verweigert, aus Gründen des Selbstschutzes.