Okt 312012
 

Basisdiskurs Religion XXIX>>>mehr

Wie soll ich handeln? Wie soll ich leben? Die Antworten, die Jesus von Nazareth darauf gibt, scheinen auf den ersten Blick weltfremd zu sein, sie fordern vom Menschen Übermenschliches. Und wenn ich auf den zweiten Blick versuche, das Prinzip hinter all dem zu erkennen, ein Muster, das ich selbst weiter denken könnte, um scheinbare Widersprüche aufzulösen, so finde ich keinen inneren Zusammenhang zwischen all diesen Maximalforderungen.

Die Bergpredigt

Ein ziemlich deprimierendes Beispiel dafür ist die Bergpredigt. Zumindest in meiner lange zurück liegenden Jugend wurde sie als der höchste und edelste Ausdruck des menschlichen Strebens nach dem Guten angesehen. Oh, könnte die Menschheit doch nach diesen Vorschriften leben, dann wäre die Welt ein Paradies!

Nur hilft einem dieser Text nicht wirklich weiter dabei, zumindest so, wie er da steht.

Die Seligpreisungen

Er beginnt mit den berühmten Seligpreisungen: „Selig sind die Armen …“. Weitere solche Gruppen werden aufgezählt, die Trauernden, die Friedfertigen, die Hungernden (wie es ziemlich sicher in der ursprüngliche Version hieß), die Barmherzigen, die, die reinen Herzens sind, die Friedensstifter, die Verfolgten um der Gerechtigkeit willen.

Einiges davon hört sich so an wie eine Anleitung zum richtigen Handeln: barmherzig sein, Frieden stiften. Anderes aber kaum; Jesus empfiehlt sicher nicht Trauern und Hungern als den richtigen Lebensstil. Man liest ja in den Evangelien immer wieder von Vorwürfen, dass er es sich zu gut gehen lasse bei Festmählern mit Wein und den Ausgestoßenen der Gesellschaft.

Maximalforderungen

Im darauf folgenden Hauptteil der Bergpredigt finden sich durchaus viele Vorschriften, was man tun und wie man leben soll. Natürlich wäre es schön, wenn man so handeln könnte, aber die Forderungen sind so hoch geschraubt, dass niemand sie wirklich ernst nehmen kann, der schon ein bisschen vom Leben mitbekommen hat.

Das Salz der Erde

Es beginnt schon mal damit, dass die Hörer oder Leser als das Salz der Erde und das Licht der Welt angesprochen werden. Ich zumindest kenne niemanden, den ich ernstlich als das Licht dieser Welt bezeichnen würde und ich habe einige sehr gute Menschen kennen gelernt, an die ich persönlich nie heranreichen werde. Und die Stelle enthält eine klare Ankündigung, was mit einem Individuum passiert, das es nicht ganz bis zum Salz der Erde schafft: Es taugt zu nichts mehr, es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten.

Das bessere Gesetz

Es folgt ein Satz, der später, bei der Behandlung von Paulus, von zentraler Wichtigkeit sein wird: Jesus sagt, dass er nicht gekommen sei, um das (jüdische) Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen. Allerdings fügt er hinzu, dass seine Zuhörer dieses Gesetz noch weit besser ins Leben umsetzen müssen als die besten Profis seiner Zeit: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Und im Fall, dass sich jemand noch Illusionen darüber macht, dass das vielleicht doch irgendwie zu schaffen ist, kommen gleich ein paar wirklich harte Beispiele für eine solche Übererfüllung des Gesetzes.

Wenn etwa jemand einen anderen als Dummkopf bezeichnet, soll er dem Gericht verfallen sein und wer zu ihm sagt: Du Narr! soll dem Feuer der Hölle verfallen sein. Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat schon Ehebruch begangen. Wer einen Eid bei Gott leistet, wie es z.B. in deutschen Gerichten üblich ist, tut Dinge, die vom Bösen stammen.

Koan des Sollens?

So geht es weiter bis zum Schluss. Aber kann das Ganze denn wirklich ernst gemeint sein? Ist eine solch übersteile Anweisung, wie sie uns hier überall begegnet, vielleicht so etwas wie ein Koan im japanischen Zen-Buddhismus? Ein Koan ist eine Denkaufgabe, auf die es keine logische Antwort gibt, wie etwa „was ist das Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand?“ Der Schüler wird aber dazu angetrieben, die Frage zu beantworten und soll dabei, sozusagen aus Verzweiflung, die Grenzen der üblichen Denkmuster sprengen und überschreiten.

Es wäre tröstlich, wenn Jesus hier etwas ähnliches anstreben würde, wenn er uns aus Verzweiflung über seine unlösbaren Aufgaben zu einer Erleuchtung über das richtige Tun treiben will.

Luther

Eine ähnliche Auffassung hat Luther vertreten. Er meint, dass die Bergpredigt dazu dient, den Menschen ihre rettungslos sündige Natur einzuhämmern, sie sollen erkennen, dass sie nicht in der Lage sind, diese Anforderungen einzulösen. Die Rettung besteht im Glauben, im Vertrauen auf Gottes Gnade, die uns trotz unserer Sünde erlöst.

Der Baum und das Feuer

Diese tröstliche Auffassung lässt sich allerdings schlecht in Übereinstimmung bringen mit dem, was dasteht. Gegen Schluss der Bergpredigt sagt Jesus z.B.:

An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. … Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter Baum keine guten. Jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.

In diesem Zusammenhang bedeutet das: Der Mensch wird an seinen Früchten, also an seinen Taten gemessen. Und wenn er das nicht bringt, was von ihm erwartet wird, kommt er ins Feuer.

Natürlich kann jeder trotzdem daran festhalten, dass einen der Glauben wieder aus dem Feuer hilft. Nur: Es steht hier nirgends. Und das nicht nur hier, sondern in keiner Aussage in den Evangelien, die auch nur einigermaßen wahrscheinlich auf die ursprüngliche Predigt Jesu zurückgeht.

Wo ist das Muster?

Trotzdem ist der Vergleich mit einem Koan hilfreich. Wie bei einem Koan gehen die Aufrufe in der Bergpredigt, jeder für sich, sozusagen von Null auf Hundert. Sie bauen nicht aufeinander auf, sondern stürzen den Zuhörer jedes Mal in die gleiche Vezweiflung, in das gleiche „das schaffe ich nie!“ Jeder von ihnen ist ein Sprung, der in der jetzigen, schlechten Situation beginnt und mit einem einzigen Satz den Himmel erreichen will.

Wenn es also ein Muster in all dem gibt, dann muss ich es woanders finden. Aber wo?

(Fortsetzung folgt)

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Basileia I„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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  4 Responses to “Sein und Sollen V: Die Bergpredigt”

  1. Zentraler Bestand der Bergpredigt ist das Vaterunser. Wir sollten uns an die Worte halten, die da gesagt werden. Zum Beispiel an das Schlusswort dieses Textes.

    Das Schlusswort lautet „Und führe uns nicht in Versuchung“.
    Und da frage ich mich dann schon Folgendes.

    Was macht Gott eigentlich den ganzen Tag sonst noch, angesichts der Überlegerei, wen er denn heute mal (wieder) in Versuchung führen soll? Was für ein sadistisches Ansinnen übrigens! Und wie passt das zum sog. Freien Willen von uns Menschen? Außerdem weiß Gott eh, wie wir uns verhalten, er ist doch allwissend? Da muss er eigentlich nicht lang grübeln, wen er heute in Versuchung führen soll, um dann nachzuschauen, wie sich der Verführte anschließend verhalten hat?

    Je mehr ich in den Blogs hier lese, umso mehr werde ich gestärkt in meinem „NON credo quia absurdum“.

    • Oh je. OK.
      Non credo, kein Problem. It’s a free country.

      Was mich nicht nerven sollte, aber zunehmend nervt, ist der zeitgenössische Normalatheist (im Folgenden NA). Zu Beginn dieses Blogs hatte ich die Illusion gehegt, dass sich mit dieser Klientel ein fruchtbares Gespräch entwickeln könnte: Sollten der NA nicht eigentlich der üblichen, von außen gesehenen konfusen, Darstellungen des Glaubens überdrüssig sein und eine stringente Version begrüßen, mit der er sich endlich einmal richtig auseinandersetzen könnte?

      Vergiss es, Eric.

      Wie ist dieser Glaube zustande gekommen? Wie baut er sich von seinen Anfängen her auf? Das sind Fragen, die der NA schon mal überhaupt ignoriert. Er argumentiert immer „top-down“, von einem Gottesbegriff her, den er fertig hinstellt, ohne ihn begründen zu können (da er ihn sowieso als schwachsinnig und widersprüchlich postuliert). Diesen Fake setzt er in seine eigene Weltsicht ein und stellt (Überraschung!) fest, dass dabei nur Unsinn herauskommt.

      Also. „Gott“ ist eine Art theoretischer Term (vergleiche hier):

      http://plato.stanford.edu/entries/theoretical-terms-science/

      Das heißt, er funktioniert nur innerhalb einer monotheistischen Weltsicht, in der ALLE Tatsachen Gottes Willen entspringen (auch Versuchungen). Natürlich kann man eine solche Weltsicht ablehnen und man muss einen solchen Entschluss auch nicht begründen. Wenn man aber daran geht, sie zu kritisieren, sollte man „bottom-up“ beginnen. Und dafür wäre dieser Blog ein guter Anfang. Natürlich nur, wenn man sich mit den Posts beschäftigt, wie sie dastehen, anstatt sie nur als Aufhänger für das eigene Lieblingsargument des Monats zu benutzen.

      Übrigens werde ich in den nächsten Tagen mit meinem Buch fertig sein und dann hier eine eigene Page beginnen, in der ich das Thema „Gott als theoretischer Term“ mal hammerhart durchziehe. Ha!

      Und, nur mal so nebenbei: Die zitierte Bitte ist natürlich nicht der Schluss des Vaterunser. Und es ist auch nicht der zentrale Bestandteil der Bergpredigt. Dafür gibt es nur einen einzigen Kandidaten: Die Feldrede bei Lukas (die Bergpredigt ist eine aufgespreizte Version dieses Urtextes). Und … ach, was soll’s. Vergiss es, Eric.

  2. > Die zitierte Bitte ist natürlich nicht der Schluss des Vaterunser.
    Stimmt, sorry. Der Schluss ist „Sondern erlöse uns von dem/allem Übel“. Aber dieser Schluss ist ja noch schlimmer, denn wer hat denn das Übel in die Welt gebracht: Unde malum? Bwz. wer war denn da weder allmächtig noch allwissend, ganz am Anfang? (Das ist übrigens nicht mein“eigenes Lieblingsargument des Monats“, da hätte ich bessere…)

    Aber ich seh schon, ich muss mich outen: Ich bin ein NA.

    Trotzdem bleib ich hier, es interessiert mich, wie „aufgeklärtes Christentum“ (ein Oxymoron, scheint mir) heute aussieht. Anspruchsvoll gehts hier zu, das muss der NA eingestehen. Mit „normalem“ Christentum haben die Beiträge wenig zu tun, und mit der Kirche, insbesondere der katholischen, gar nix.

    Denk ich.
    Macht nix.

  3. > NA = zeitgenössischer Normalatheist.

    Irgendwie möchte man das, als Betroffener, d.h. als NA, doch genauer und vor allem beispielhafter wissen.

    Also:

    Waren so kluge Denker wie S. Freud oder B. Russell damals, zu ihrer Zeit, NAs?

    War ein deutscher Dichter, der sich zu Äußerungen hinreißen ließ, das Kreuz sei ihm „zuwider“, ja es erscheine ihm als das „Widerlichste unter der Sonne“, und die Christenreligion sei ein „Scheißding“ damals ein NA? Ist ein Dichter, der so etwas sagt, überhaupt NA-fähig? Oder war er nur ein dummer, ungebildeter Mensch?

    Und ist ein unbedeutender SZ-Leserbriefschreiber, der vor einigen Jahren den folgenden Leserbrief zum Thema „Christentum“ verfasst hat, den ich hier aus der SZ mit kleinen Präzisierungen wiedergebe, ein NA?

    Da ich weitere Einlassungen zum Thema „Christentum“ plane, versehe ich meine Beiträge mit Nummern und einer kleinen Überschrift.

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    Christentum (NA, Teil 1: Basics)

    Als aufgeklärtem Menschen am Beginn des dritten Jahrtausends wird es zunehmend unbegreiflich, wie man einen Unsinn wie die christliche Religionslehre ernst nehmen kann. Schon die Grundannahmen dieser Religion sind so hanebüchen, dass man an der Vernunft der Menschen verzweifeln möchte: Ein Gott, unfähig, sich eine vollkommene Welt zu schaffen, merkt etwa 13,6 Milliarden Jahre minus zweitausend Jahre nach dem Urknall, dass er weder allmächtig noch allwissend war. Sonst hätte er eine Fehlkonstruktion wie den Menschen nicht geschaffen. Nun schickt dieser Gott seinen Sohn auf die Welt. Der Sohn wird – einmalig in der Evolution – ohne den Beitrag eines Samen gebenden Mannes gezeugt. Der so gezeugte Wanderprediger hält sich für Gott (behaupten seine Jünger) und lässt sich am Kreuz töten, um für die Fehler seines Vaters zu büßen. Es ist ja der Fehler des Vaters, dass er so unvollkommene, d.h. sündige Menschen geschaffen hat. Der Wanderprediger sagt viele vernünftige Dinge. So plädiert er zum Beispiel für die Feindesliebe und die Armut, an die sich seine Organisation, die Kirche, nicht hält. Manchen Unsinn dichten ihm, sehr früh, seine Jünger an, und den größten Unsinn erfinden Dogmatiker und Päpste in den folgenden Jahrhunderten dazu. Und das historische Christentum zieht seine Blutspur durch die Jahrhunderte, mit direkter oder indirekter Beteiligung an den größten Menschheitsverbrechen, die das Mittelalter und die beginnende Neuzeit gekannt haben. Aufklärung, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft setzen sich später nur gegen den Einfluss und gegen den Widerstand der Kirchen durch.

    #####

    Soweit, als Auftakt weiterer Beiträge eines NA, der minimal modifizierte Leserbrief aus der SZ.

    Zum Schluss noch eine Frage:

    Wer sind die „unnormalen“ (guten, richtigen, echten, braven, ernst zu nehmenden, wirklichen usw.) Atheisten – im Gegensatz zu den NAs? Ein paar Vertreter würde man eventuell gerne kennen lernen.

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