Aug 262013
 

Für eine gewisse Zeit wurde die Quantenphysik als eine für den Glauben bedeutsame neue Wissenschaft gehandelt und vage Reste dieser Vorstellung spuken immer noch herum. Es ist nicht ganz einfach, dieser vermuteten Bedeutung nachzuspüren, weil (a) die Quantenphysik eine nicht ganz einfache Wissenschaft ist, (b) viele der vermuteten Zusammenhänge zwischen Glauben und Quanten inzwischen überholt sind und (c) das noch umlaufende pseudowissenschaftliche Geraune aufgrund seiner Nebelhaftigkeit schwer zu analysieren ist.

Aber versuchen wirs!

Naive Wissenschaftlichkeit

Die Quantenphysik hat insofern Bedeutung für den Glauben, als sie eine naive Vorstellung von Wissenschaftlichkeit noch einmal entscheidend schwächte, eine Vorstellung, die bereits durch Einsteins Relativitätstheorie ins Wanken gekommen war. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Wissenschaft eine ununterbrochene Serie von Triumphen hinter sich, die auf eine umfassende, stark kausale Erklärung des Universums zuzulaufen schien (siehe meinen Post zum Begriff der starken und schwachen Kausalität). Die Idee von Gott hätte in diesem Universum einen schweren Stand gehabt, weil sich eine Betrachtung der Welt als die einzig maßgebliche durchgesetzt hätte, in der jedes Geschehen in ihr reduktionistisch zu verstehen gewesen wäre, in Zurückführung (Reduktion) über eine starke Kausalkette auf die endgültig entdeckten Grundgesetze des Universums.

Dies erzeugte eine Weltanschauung, die diesen unmittelbar bevorstehenden Endsieg einer stark kausalen Physik bereits vorwegnahm und die immer noch als die eigentlich wissenschaftliche herumspukt. Ihr wurde aber durch die Quantenphysik wortwörtlich der Boden entzogen. Denn als man immer tiefer hinabstieg in den Bereich der kleinsten Teilchen, wartete dort unten ein Land, in dem die merkwürdigsten Gesetze galten, Gesetze, die noch Einstein nur mit Widerstreben betrachten konnte.

Eine Warnung vorweg

Achtung! Die wörtliche Formulierung dessen, was im Bereich der Quanten passiert, ist Glückssache, also auch die Formulierungen in diesem Post.

In einem weiter unten verlinkten Interview sagt der Physiker Hans-Peter Dürr, dass man für die Beschreibung quantenpyhsikalischer Vorgänge eigentlich keine Substantive verwenden sollte, wie z.B. „Materie“. Das ist nicht ganz richtig, denn Zahlen sind Substantive und die mathematische Beschreibung dieser Vorgänge ist die einzig wirklich adäquate. Ein Quantum ist z.B. darstellbar als die Menge seiner möglichen Zustände. Und diese bildet einen d-dimensionalen komplexen Vektorraum, den sogenannten Hilbertraum.

Ich will hier nicht so tun, als ob ich den verlinkten Artikel dazu wirklich verstanden hätte. Aber selbst ein kurzer Blick darauf sollte klar machen, dass das Zusammenkochen dieser komplexen Tatbestände auf griffige, aber schwammige Formeln wie „Bewusstsein“ oder gar „Gott“ mit äußerstem Misstrauen betrachtet werden sollte. Der Außenstehende hat vielleicht ein Gefühl, dass sich irgendwo in diesem Dschungel von Formeln doch eine dämmrige Ecke für Religiöses oder Esoterisches finden ließe. Für den Mathematiker hingegen ist das alles ein taghell beleuchteter, exakt berechenbarer Bereich ohne jede Unklarheit.

Was Sache ist

Zunächst einmal werde ich den Teufel tun und hier eine Einführung in die Quantenphysik geben. Es gibt nämlich im Internet sehr anschauliche Beiträge dazu, zum Beispiel dieses Video. Darin kommt schon viel von dem Geraune vor, das die Quantenphysik unweigerlich generiert, insbesondere zum Schluss, wenn es um die Verschränkung geht (s.u.).

Dieses zweite Video ist qualitiativ wesentlich besser, ist aber (a) auf Englisch und basiert (b) in seinem zweiten Teil auf der mittlerweile nicht mehr aktuellen Theorie eines notwendigen Beobachters (s. u.). Trotzdem möchte ich es sehr empfehlen, auch weil darin diese veraltete Theorie sehr schön erläutert wird, die vermutlich die wichtigste Initialzündung des Hypes um die angebliche spirituelle Wichtigkeit der Quantenphysik war

Was hat das Ganze mit Religion zu tun? Es gibt dazu zwei große Einfalltore:

  • Das Phänomen der Verschränkung und
  • die Rolle des Beobachters

Verschränkung

Für die, die es hart lieben, hier der Wikipedia-Artikel zur Quantenverschränkung. Und jetzt greift das oben beschriebene Problem, hier die richtigen Worte zu finden. Kurz gesagt, entsteht bei gewissen Vorgängen aus einem Teilchen ein System aus zwei Teilchen; innerhalb dieses Systems hängen die beiden so zusammen, dass bei einer Zustands­änderung des einen sich so gut wie zeitgleich auch das andere ändert. Dieser Zusammenhang funktioniert auch dann, wenn die beiden Teilchen räumlich weit voneinander getrennt sind.

Es ist natürlich möglich, dieses Phänomen mit einem Vokabular zu beschreiben, das die Tore öffnet für religiöse oder esoterische Vorstellungen: Hier wird die Einsteinsche Obergrenze der Lichtgeschwindigkeit für das gesamte Universum durchbrochen, auf geheimnisvolle Weise (noch besser: über einen mysteriösen Raum jenseits unserer materiellen Welt) übermittelt ein Teil an das andere die Information, dass es sich geändert hat, worauf das andere diesen Wechsel nachvollzieht. Eine solche Formulierung findet sich z.B. in dem von mir (trotzdem empfohlenen) zweiten Video

Wenn man aber nur solche Worte benützt, die man auch verantworten kann, wird man genau diese Formulierung vermeiden. Eine Übermittlung von „Information“ im üblichen Sinne ist bisher nach wie vor theoretisch ausgeschlossen und konnte auch im Experiment nicht gezeigt werden. Um den beschriebenen Effekt darzustellen, war vielmehr immer noch ein Informationsaustausch auf klassischem Wege erforderlich (Glasfaserkabel o.ä.).

Was passiert aber dann? Die beste Antwort ist zunächst einmal keine Antwort: Es „passieren“ die möglichst nackten Ergebnisse der Experimente. Und dann prüft man, was sie für die gängigen Theorien bedeuten und entwickelt findet sie bestätigt oder ergänzungsbedürftig oder beginnt, an eine grundlegend neue zu denken.

Der Beobachter

Wie im Video gezeigt, ist bei einem Photon nach seiner Entstehung zunächst der Ort nicht festgelegt, wo es sich befindet oder, anders gesagt, es befindet sich gleichzeitig an jedem Ort, zu dem es gelangen könnte; dieses Phänomen heißt Superposition: diese Orte sind gleichsam übereinander gelagert. Diese Superposition ist beschreibbar in einer sogenannten Wellenfunktion. Ab dem Moment, wo dieser Ort gemessen wird, ist es auf diesen Ort festgelegt und wird sich von da an geradlinig weiter bewegen, man spricht dann von einem Kollaps der Wellenfunktion; die Superposition gibt es dann nicht mehr.

Das Problem, das sich daraus ergibt, ist zunächst mathematischer Natur: Ich kann, rein theoretisch, für ein Messgerät (z.B. einen Photonenzähler) eine Wellenfunktion schreiben, die dieses Gerät mit einschließt. Dies hieße aber dann, dass diese neue Wellenfunktion nicht kollabieren würde, d.h., dass das Photon seine Superposition beibehalten und sich nach wie vor das Bild sich überschneidender Wellen zeigen würde. Warum also bringt die Messung die Wellenfunktion zum Kollaps?

Frühe Quantenphysiker konnten sich hier nicht anders helfen, als den menschlichen Beobachter selbst in die Messung mit einzubeziehen: Dann wird das System zu komplex, es gibt dafür keine Wellenfunktion mehr und die Funktion kollabiert. Aber in dieser Erklärung blieb der menschliche Beobachter eine black box, von der man nichts wusste, aber die notwendig war, um zu erklären, warum sich nun Photonen nicht mehr als Wellen verhalten, wenn sie gemessen werden. Mit diesem mysteriösen Eingreifen des beobachtenden Geistes waren spirituellen Spekulationen natürlich Tür und Tor geöffnet.

Dekohärenz

Auch einige Theologen ließen wurden dazu verleitet, sich an solchen Spekulationen zu beteiligen. Das Problem dabei war, dass es sich um eine verschleierte Form des üblichen „Lückengottes“ handelte: Weil die Physik nicht weiß, wie etwas zustande kommt, benutzt der Gläubige begeistert die Gelegenheit, Gott oder andere theologische Inhalte in diese Lücken einzupassen. Das Problem daran ist natürlich der Fortgang der wissenschaftlichen Forschung: Wenn eine solche Lücke später geschlossen wird, war der einzige Effekt die Festigung des allgemeinen Vorurteils, dass so etwas wie Gott durch den Fortschritt der Naturwissenschaften widerlegt wird.

Dieses Prinzip bewährte sich auch hier. Die Physiker blieben nicht stehen, sondern entwickelten die Theorie der Dekohärenz, dazu der Wikipedia-Artikel (wieder für die Harten) und ein sehr gutes Video, hier Teil1 und Teil2. Es lohnt sich wirklich, die zusammen gut 10 Minuten mal durchzuhören, sehr informativ und unterhaltsam.

Kurz gesagt, heißt Dekohärenz, dass Quantenteilchen ihre quantenphysikalischen Eigenschaften verlieren, sobald sie mit anderen Teilchen in Wechselwirkung treten. Das ist der Grund, warum in unserer Erfahrungswelt keine quantenmechanischen Effekte sichtbar sind.

Was nicht Sache ist

Neben diesen klassischen Vorstellungen einer Verbindung zwischen Religion und Quantenpyhsik gibt es noch ein großes Feld von Randerscheinungen. Ich möchte hier drei Beiträge verlinken, die drei Stufen dieser Überlegungen illustrieren:

Der letztere Artikel ist auf Englisch, aber es genügt ein kurzes Scannen der Stichwörter, um die (grauenhafte) Qualität des Beitrags zu erkennen.

Metaphysische Physik

In der ersten Stufe tummeln sich Physiker, die im Mainstream der Forschung tätig sind. Ihre Äußerungen entspringen einem gewissen ehrfürchtigen Staunen, dem Empfinden eines tremendum und fascinosum angesichts ihrer eigenen Ergebnisse. Dieses Empfinden drücken sie in einer Sprache aus, die aus ihrer religiösen Sozialisation stammt, mit Worten wie „Seele“ und „Unsterblichkeit“ oder aber aus esoterischen Sprachspielen mit Worthülsen wie „Bewusstsein“.

Ein Beispiel bietet dieses Interview mit dem im Artikel erwähnten Hans-Peter Dürr.

Qantenengel

In der zweiten Stufe fasse ich zusammen Physiker wie Jean Charon (im verlinkten Artikel erwähnt), die sich durch solche Spekulationen in ihrer Forschung auf Abwege verleiten lassen, d.h. sie forschen nicht zuerst und interpretieren ihren Ergebnissen danach metaphysisch, sondern sie suchen aktiv im Universum nach Ergebnissen, die ihre Metaphysik untermauern.

Und zweitens siedle ich hier Wissenschaftler und darüber berichtende Journalisten an, die die Ergebnisse der Forschung mit personalen Akteuren in Verbindung bringen, wie Engel oder Gott: Ein Lichtquantum ist im Zustand der Superposition sozusagen allgegenwärtig und Gott ist auch allgegenwärtig, also … (?)

Na ja, kann man nicht so genau sagen, aber das eröffnet doch unglaubliche neue Dimensionen, gelle? Dass Gott demnach so etwas wie ein Eigenvektor in einem Hilbertraum wäre – nun, wenn man Hilbertraum falsch trennt, kommt so etwas wie Hilber-Traum raus, Traum ist ja schon ganz gut, und nun erhebt sich das galaktische Rätsel: Was ist Hilber? (Forschungsgelder sprudeln und in diversen kirchlichen Akademien werden schon Termine zu dieser Frage geblockt)

Heilquanten

Die dritte Stufe ist das Reich der Scharlatane bis hin zu verbrecherischen Schwindlern, Leute, die sich Quantenphysiker nennen, weil sie einige Jahre lang ein „privates Forschungsinstitut“ leiteten, das aus ihnen, ihrem Hund und ihrer Großmutter bestand und die nun von Kongress zu Seminar reisen und den Leuten für eine fette Teilnahmegebühr erklären, wie sie mit heilenden Lichtquanten ihren Krebs besiegen können. Genug gesagt.

Die Moral von der Geschichte

Was ist mit dem Begriff „Gott“ passiert, wenn er sich zu solchen Kapriolen hergeben kann (oder muss, weil man sonst nicht weiter weiß)?

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