Basisdiskurs Religion (P1) >>>mehr
In den letzten Tagen haben mich Gedanken beschäftigt, die verwandt sind mit meinem Post „Vier Dimensionen„, aber die noch einmal ein Stück tiefer gehen. Tatsächlich suche ich gerade Antworten auf eine Frage, die ich mir selbst gestellt habe. Diese Frage klingt zwar ziemlich banal, ich bin aber offensichtlich erst jetzt so weit, sie mir selbst in all ihrer Banalität zu stellen: Was mache ich hier eigentlich?
Da diese Überlegungen absolut grundlegend sind, stelle ich sie als Propädeutik an den Anfang meines Basisdiskurses.
Fleck auf der Windschutzscheibe
In meiner jugendlichen Naivität (oder inzwischen vielleicht auch altersbedingten Senilität) bin ich immer einem halbbewussten Prinzip gefolgt: Dass die Vernunft ihren Weg und ihren Platz findet.
Denn ist es nicht so, dass wir alle als Kinder diese wunderbare Neugier gegenüber der Welt hatten? Dass wir herausbekommen wollten, wie sie funktioniert und eine tiefe Freude daran hatten, wieder ein Stück Erkenntnis über sie zu erobern? Und sicherlich muss die augenblickliche Verwirrung in Sachen des christlichen Glaubens zumindest für einige Leute ein merkwürdiges Hindernis beim Verstehen dieser Welt sein, vergleichbar vielleicht mit einem Fleck auf der Windschutzscheibe: Der Fahrer kann ihn ignorieren, aber irgendwie stört er doch und jemand sollte ihn wegmachen.
Mein Fehler
Das war mein Fehler, denn so war es nicht. Ich dachte, zumindest einige andere Menschen müssten in diesen Dingen so denken wie ich und erkannte nicht, wie stark dieser Denkstil geprägt war von meinen ganz eigenen Erfahrungen.
Ich bin geprägt einmal von meiner wissenschaftlichen Ausbildung, aber noch stärker von einer Überzeugung, die ich im Verlauf meiner doch recht einsamen Studien gewonnen habe: Dass der christliche Glaube robust genug ist, dass er genügend objektiv erkennbare Substanz hat, um ihn im Geiste der Naturwissenschaft anzugehen.
Aristoteles, Galilei und Ich
Der Beginn der modernen Naturwissenschaft war notwendig verknüpft mit der Loslösung von den großen alten griechischen Denksystemen, vor allem von dem des Aristoteles. Diese waren das ganze Mittelalter hindurch die bestimmenden Modelle, wie man an die Welt und die Natur heranzugehen hatte und zwar mit einer umfassenden Theorie, die alle Phänomene der Natur mit einbezog.
Die neuen Naturwissenschaftler wie Galilei begannen nun, einzelne Gruppen dieser Phänomene zu isolieren und getrennt zu behandeln, zum Beispiel die Art, wie Körper zu Boden fallen. Für Aristoteles war eine solche Untersuchung nicht zu trennen von der Frage, warum sie das tun und wie diese Gründe in das große Ganze passen. Galilei jedoch beschrieb einfach einmal die Fallgesetze. Ob jetzt Kugeln zu Boden fallen, weil sie ihren natürlichen Platz im Erdmittelpunkt suchen (Aristoteles) oder wegen der Anziehungskraft der Erde (Newton), konnte für ihn erst einmal außer Betracht bleiben.
Das Herausbrechen von Einzelfeldern aus den großen Zusammenhängen und ihre isolierte Betrachtung sowie der allmähliche Aufbau des Ganzen aus diesen Einzelteilen ist die grundlegende Methodik der modernen Wissenschaft. So lernt auch ein Kind die Welt kennen und so lässt sich auch das Grundgerüst des Glaubens begreifen.
Klarer Durchblick, blinder Fleck
Es ist hier nicht der Ort, meinen ganzen Weg durch viele Hindernisse und Frustrationen hindurch zu erzählen. Geleitet und motiviert wurde ich dabei aber durch meine ganz persönliche Anlage, verstärkt und geschult durch meine wissenschaftliche Ausbildung: Das Unbehagen an jeder Erklärung, von der ich instinktiv spüre, dass sie nicht „stimmt“ und das Gefühl von Schönheit und Vollkommenheit, wenn alles endlich an seinen Platz fällt und sich zu einem Ganzen fügt. Und schlußendlich das Staunen darüber, wie viel im christlichen Glauben zu einer solchen grundlegenden Ordnung findet.
Und jetzt mein blinder Fleck: Ich konnte es nicht anders denken, als dass der Fund dieser Ordnung draußen in der Welt die selbe Begeisterung auslösen würde, die ich selbst empfand.
Ich gestehe
Zugegeben, im kirchlich gebundenen Teil meiner Umgebung (meist katholisch geprägt) fand ich keinen übermäßig starken Widerhall, wie ich feststellen musste. Und jetzt wird es Zeit für ein Geständnis, das ich nur einmal und nur hier mache: Tatsächlich glaubte ich, dass ich ein Interesse an Aufklärung am ehesten in der kirchenfernen, „aufgeklärten“ Welt finden würde, bis hin zu den Atheisten. Die müssten es doch eigentlich bessere Informationen darüber begrüßen, was sie denn eigentlich bekämpfen, anstatt sich immer an billigen Klischees abzuarbeiten.
Weit gefehlt. Sehr weit gefehlt. Glaubensferne Menschen haben auf diesem Gebiet in aller Regel ein simples Reiz-Reaktions-Schema. Bereits das Lautbild „Gott“ löst (jeweils leicht abgewandelte) Variationen von „Höhö, so ein Scheißdreck“ aus, begleitet von absolut unerschütterlichen Unterstellungen an den Sprecher, was seine Irrationalität, seine dogmatische Fixiertheit und sein vorwissenschaftliches Weltbild betrifft. Zuhören? Niemals. Schließlich ist auf diesem Gebiet auch der dümmste Atheist dem klügsten Christen weit überlegen, da dieser sich von dem Gehirnwurm des Glaubens befreit hat, an dem jener immer noch laboriert. (Dazu vielleicht einmal ein eigener Post).
Und nun?
Einiges von meinem Basisdiskurs Religion in diesem Blog ist deshalb etwas zu theorielastig geworden; ein klein wenig hat mich dabei der Ehrgeiz verführt, die Sache für einen außenstehenden Betrachter absolut wasserdicht zu machen. Das ist ja auch grundsätzlich nicht falsch, nur sollte man sich ab und zu zu auf den eigentlichen Kern besinnen: Wozu ist das alles gut?
Wozu?
Auf diese Frage gibt es keine Antwort, die auf jeden passt. Für mich persönlich ist die Schönheit und Stringenz einer tiefen und rationalen Rekonstruktion der Lehre fast Wert genug. Das, was ich die Poesie des Glaubens nennen möchte, folgt da größtenteils von selbst.
Das ist aber, wie ich erfahren habe, nicht bei jedem Menschen so. Was aber bei jedem erforderlich ist, ist eine Legierung zwischen dem, was ich Philosophie nenne und was ich in meinem Basisdiskurs betreibe und der Posie des Glaubens, dem Schwirren eines fernen Gefieders, wie es zum Beispiel durch das Exsultet der Osternacht hindurch zu hören ist.
Dieses Verhältnis von Posie und Philosphie im Glauben ist es, mit dem ich mich im nächsten Post befassen werde.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Poesie und Philosophie: Ein Streitgespräch„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.
Bin gespannt, obwohl ich dem bisherigen Vorgehen durchaus auch etwas abgewinnen konnte. Ich hielt mich mit Kommenaren nur deshab zurück, weil ich erst abwarten wollte, was noch kommt. Trotzdem: Bin gespannt, wie es weitergehen wird…