Aug 242012
 

Basisdiskurs Religion XXIII >>>mehr

In einem Blog wie diesem entwickeln sich die Gedanken nicht linear – vom Einfachen zum Komplexen, von den Grundlagen zu den abgeleiteten Ideen. Vielmehr müssen sie dem chaotischen Gehirn des Betreibers folgen, das hin und her springt und immer wieder von vorne beginnt.

Die folgenden Überlegungen müssten eigentlich am Beginn aller Ausführungen zum Thema Religion stehen. Der Grund, warum sie niemals auftauchen ist der, dass sie zu einfach sind, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Unsere Fundamente

Unsere Art, der Homo Sapiens Sapiens, ist, wie alle Arten, in seinem tiefsten Fundament von seiner Genetik bestimmt, von seinen Erbanlagen. Diese Anlagen befähigen ihn, sich an viele verschiedene Umgebungen und Situationen anzupassen. Trotzdem sind die Anlagen selbst nicht grundlegend verschieden von denen unserer Vorfahren vor ca. 50 000 Jahren.

Körper

Was unseren Körper anbelangt, haben wir ein Bewusstsein für diese Tatsachen entwickelt. Es ist uns klar, dass er sich nicht einfach umstellt auf neue Lebensbedingungen, dass er sich nicht damit zufrieden gibt, zehn Stunden am Tag vor einem Bildschirm zu sitzen. Er besteht auf regelmäßiger Bewegung, weil er auf ein Leben als Jäger und Sammler programmiert ist, für das ständige Bewegung notwendig war.

Uns ist auch klar, dass wir nicht ständig unserer Neigung zum Sattessen frönen können, am besten mit süßen und fetten Speisen. Diese Neigung wurde uns einprogrammiert zu einer Zeit, in der unsere Vorfahren nie ein so üppiges Nahrungsangebot hatten, dass ihnen eine Überversorgung mit Kalorien gedroht hätte. Wir wissen, dass wir die Beschränkung, die damals von der Außenwelt erzwungen wurde, unter den heutigen Umständen selbst erzeugen müssen.

Geist

Unseren Geist halten wir aber für unbeschränkt anpassungsfähig. Wir machen uns zwar vage Gedanken über die heutige Reizüberflutung, wir haben aber keine systematische Vorstellung davon, welche Bedürfnisse und Fähigkeiten unserem Geist von seinen Anlagen her mitgegeben worden sind. Wir wissen nicht, was ihm fehlt (wie etwa bei unserem Körper die Bewegung). Wir wissen nicht, welche seiner Neigungen ihm unter den heutigen Verhältnissen gefährlich werden (wie etwa unserem Körper die Neigung zum Überessen).

Vor allem aber kümmern wir uns nicht darum. Immer gib ihm, mehrere hundert E-Mails am Tag plus ständiges Twittern plus Bedienen von Facebook plus dieses und jenes. Für jemand, der sich ständig mit Schwarzwälder Kirschtorten vollstopft, hätten wir nur Verachtung, vor allem wenn wir sehen, wie fett und unbeweglich er geworden ist. Wir können den Geist eines Smartphone-Freaks nicht sehen. Könnten wir das, würde er in etwa einem sabbernden zweihundert-Kilo-Fettkloß in einem übermotorisierten elektrischen Rollstuhl gleichen. Vielleicht würden wir dann beginnen nachzudenken.

Religion

Unter dem Überbegriff der Religion fassen wir viele Lehren, Bräuche und Überzeugungen zusammen, die alle irgendwie miteinander verwandt sind.

Weltreligionen

Einige davon sind besonders. Diese gehen alle auf eine große geistige Welle zurück, die zur sogenannten Achsenzeit um ca. 500 v. Chr. stattfand. Sie wurden früher Hochreligionen genannt und werden heute im Zuge politischer Korrektheit als Weltreligionen bezeichnet um den Eindruck zu vermeiden, dass andere Religionen irgendwie tiefer stehen.

Richtig verstanden, drückt der Begriff der Weltreligionen aber genau das aus, was sie von anderen Formen unterscheidet. Es sind Lehren, die auf der ganzen Welt „funktionieren“, um einmal diesen saloppen Ausdruck zu gebrauchen. Das heißt, dass sie von speziellen, örtlichen Kulturen unabhängig sind. Und das wiederum heißt, dass sie die allgemeine und grundlegende Natur des menschlichen Geistes ansprechen. Zumindest sollten sie das von ihrem Ansatz her tun.

Achsenzeit

Was ist der Grund, warum die Fundmente aller heutigen Weltreligionen in der Achsenzeit, also in einem bestimmten, zeitlich relativ eng begrenzten Zeitabschnitt (200 – 800 v. Chr.) entstanden? Ein Teil der Antwort ergibt sich, wenn wir betrachten, wo diese geistige Bewegung stattfand, nämlich in einem Band vom östlichen Mittelmeer bis nach China. Dies waren damals die Regionen, in der Technik und Gesellschaft am weitesten fortgeschritten waren, was andererseits bedeutet, dass sie sich am weitesten von den Ursprüngen der Menschheit entfernt hatte.

Diese sich öffnende Schere zwischen den geistigen Ursprüngen des Menschen und seiner von ihm selbst immer schneller veränderten Umwelt rief eine neue Art des Denkens hervor, den Versuch, diesen Bruch zu heilen. Oder vielmehr mehrere Versuche, jeder mit einem völlig anderen Ansatz. Im Wesentlichen sind dies, von Ost nach West, Konfuzianismus, Buddhismus und Monotheismus

Ein Motiv, drei Wege

An einzelnen Punkten berühren sich diese Richtungen. So findet man z.B. überall, innerhalb und außerhalb dieser Religionen mystische Erlebnisse, die einander sehr ähnlich sind. Vom Grundansatz her sind diese drei Richtungen aber völlig verschieden.

Wie kann das sein? Denn wenn sie auf dasselbe Bedürfnis des Menschen antworten, müsste dann nicht eine von ihnen die einzige oder zumindest die beste Lösung liefern? (Falls sie nicht alle zusammen falsch liegen)

Wassermangel

Auf diese Frage möchte ich mit einem (imaginären) Beispiel antworten: Stellen Sie sich ein Dorf vor, das aufgrund klimatischer Veränderungen an Wassermangel leidet. Zur Linderung kann es völlig verschiedene Ansätze geben:

  • Die einen könnten versuchen, durch größere kommunale Anstrengungen Abhilfe zu schaffen, z.B. durch den Bau von ausgedehnten Kanälen.
  • Die anderen würden die eigene Lebensweise zu ändern, um deutlich weniger Wasser zu verbrauchen wie bisher
  • Die dritten würden in das Land hinausgehen, um neue Wasserquellen zu finden.

Keiner dieser Ansätze ist von vorneherein besser wie der andere. Je nach den Umständen könnte der eine am ehesten zum Ziel führen und der andere völlig unsinnig sein.

Am besten wäre natürlich eine Kombination aus allen dreien. Dies ist aber bei den Weltreligionen nicht möglich. Wenn man sich wirklich auf einen dieser drei Wege einlässt, kann man nicht gleichzeitig die anderen gehen.

Warum drei?

Jede dieser drei Richtungen spiegelt eine fundamentale Dimension des menschlichen Geistes wieder. Davon mehr im nächsten Post.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Drei Dimensionen„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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  One Response to “Noch einmal von vorne”

  1. Ich finde den Gesamtansatz nochmal interessant.
    Aber (kleinmütiges Genöhle?) ich habe immer Probleme mit Sätzen wie „von der Außenwelt einprogrammiert.“
    Das ist so ein mechanistisches Vokabular a la Dawkins.
    Ich persönlich würde lieber sagen, der Körper hat sich integral mit dieser Außenwelt entfaltet, er ist sozusagen seine „Rückseite“.
    Insofern ist das Genöhle vielleicht nicht so kleinmütig als es im Grunde doch auch um – christlich gesprochen – Schöpfung geht und wie wir da drinstehen.

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