Der Sinn des Lebens
… Wir kamen am städtischen Friedhof vorbei. Hinter den Grabhügeln sprang eine polnische Patrouille hervor und schoss auf uns. Gristschuk machte kehrt, dass sein Wagen auf allen vier Rädern kreischte.
„Gristschuk!“ rief ich in den pfeifenden Wind.
„So was Albernes!“ antwortete er traurig. … „Wozu placken sich die Weiber ab? Wozu die Freierei, wozu Hochzeiten, wozu feiern die Gevattern?“
Isaak Babel, Die Reiterarmee
Persönliche Insolvenz
Ich gestehe, dass ich hier einen erleuchtenden Einblick in die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ geben wollte. Nach einigen großartigen theoretischen Anläufen habe ich leider etwas tiefer nachgedacht und festgestellt, dass sie unvollständig sind. Deshalb hier nur eine kleine Materialsammlung:
Das einleitende Zitat ist von Isaak Babel, der die Invasion der russischen Revolutionsarmee mitgemacht hatte und seine Erlebnisse in dem Buch „Die Reiterarmee“ zu einem großartigen Werk verdichtete. Als Gegenakzent dazu nun ein Beitrag aus einem Internetforum:
Fürn Arsch
„des leben hat einfach keinen sinn wenn man mal gescheit drüber nachdenkt, mann kommt auf die welt hat nur pflichten und aufgaben, wird gezwungen das zu tun wozu man vielleicht garkeine lust hat und wird von allen seiten mit druck nur so zerquetscht, ich weiss einfach keine lösung mehr, toll und wozu soll ich bidde mich in der schule anstrengen? vielleicht dass ich mal viel geld hab und ne schöne dicke rente bekomm? nur was bringt mir des alles, irgendwann verreck ich sowieso und dann hab ich des alles fürn arsch gemacht.“
Nur damit das klar ist: Ich mache mich nicht lustig darüber, ganz im Gegenteil. Solche spontanen Äußerungen bringen die Sache, auf ihre Weise, unüberbietbar auf den Punkt.
Noch einmal eine andere Stimme, diesmal von dem großen taoistischen Denker Dschuang Dsi (hier das ganze Zitat):
Dschuang Dsi
„Aber wenn wir uns mit der Außenwelt beständig ritzen und reiben, so geht das Leben zu Ende, als flögen wir dahin und niemand kann es aufhalten. Ist das nicht traurig? Das ganze Leben sich abmühen, ohne einen fertigen Erfolg zu sehen, sich quälen im erschöpfenden Dienst und nicht wissen, wohin es führt, ist das nicht zu beklagen?„.
Und zuletzt noch ein Zitat aus Hiob (aus der ersten Rede des Elifas):
Hiob
„Ein Hauch fuhr an mir vorüber, es standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da stand ein Gebilde vor meinen Augen, doch ich erkannte seine Gestalt nicht, es war eine Stille und ich hörte die Worte:
Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott oder ein Mann rein sein vor dem, der ihn gemacht hat? Siehe, seinen Dienern traut er nicht, und seinen Boten wirft er Torheit vor, wieviel mehr denen, die in Lehmhütten wohnen und auf Staub gegründet sind und wie die Motten zerdrückt werden? Es währt vom Morgen bis zum Abend, so werden sie zerschlagen und ehe man’s gewahr wird, sind sie ganz dahin.“
Immer der gleiche Sinn?
Irgendwie wird in all diesen Zitaten wohl das beklagt, was man als einen Mangel an Sinn im menschlichen Leben bezeichnen könnte. Aber wird hier überall wirklich das Selbe angesprochen?
Bei Dschuang Dsi und dem Beitrag im Forum wird eine persönliche Perspektive eingenommen: Für was ist mein Leben gut, wozu schleppe ich mich durch all diese Hindernisse? Gristschuk spricht hingegen das Geflecht aller menschlichen Handlungen an, Elifas steht irgendwo dazwischen.
Ist die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ in all diesen Fällen gleich? Gibt es eine einzige Antwort, die auf alles passt? Wie eingangs gesagt, habe ich dazu einige vorläufige Überlegungen.
Sinn und Zweck
Zur Einführung eine kleine Fingerübung: „Sinn“ ist ein Wort, das Einiges an Bedeutungsschwere mit sich herumschleppt, vergleichbar einem alten Burggespenst mit seiner rasselnden Kette. Vielleicht kann ihm ein anderes Wort diese Last etwas erleichtern, das häufig gemeinsam mit ihm auftritt, das Wort „Zweck“. „Sinn und Zweck“ ist eine häufiger vorkommende Wortkombination und beide Teile sind offensichtlich nahe miteinander verwandt. Was ist der genaue Unterschied in ihren Bedeutungen?
Was ist Sinn und Zweck dieser Übung?
Diese, meist ironisch gemeinte, Frage kommt auch in den Variationen vor:
- Was ist der Sinn dieser Übung
und
- Was ist der Zweck dieser Übung?
Die beiden Formulierungen können austauschbar verwendet werden, bringen aber jeweils eine andere Färbung mit sich.
Weg und Ziel
Ich denke, dass in Version „Zweck“ ausschließlich nach dem (gewünschten) Ergebnis gefragt wird, während in Version „Sinn“ auch der Prozess selbst mitspielt. So ist zum Beispiel die folgende Aussage denkbar:
- Der Zweck der Übung wurde nicht erreicht, aber sie war trotzdem nicht sinnlos, weil die Beteiligten noch einmal den Ablauf üben konnten.
In diesem Fall, könnte man sagen, sprint aushilfsweise ein anderer Zweck ein (der Zweck, den Ablauf zu üben). Der Sinn ist also offen für verschiedene Zwecke, auch für solche, an die zu Beginn niemand gedacht hat. Die Umkehrung funktioniert, wie erwartet, nicht:
- Die Übung hatte keinen Sinn, erreichte aber trotzdem ihren Zweck
ist einfach grober Unfug. Zusammenfassend kann ich also sagen: Sinn kann mehrere Zwecke haben, braucht aber mindestens einen.
Jetzt aber: Der Sinn des Lebens
Diese Bindung des erhabenden Sinns an den profanen Zweck zeigt sich auch in traditionellen Antworten auf die Frage nach dem „Sinn des Lebens“. Ich habe in der Schule noch den kleinen (katholischen) Katechismus gelernt:
Wozu sind wir auf Erden?
Wir sind auf Erden
- um Gott zu erkennen, ihn zu lieben und ihm zu dienen
- um dadurch in den Himmel zu kommen.
Die Frage- und Anwortpartikel hier („wozu“, „um zu“) geben einen Zweck an. „Was ist der Zweck des Lebens?“ hört sich zwar nicht so gut an, diese Antwort würde aber genau so gut darauf passen.
Klar wird dies vor allem in Punkt (2). Der Zweck des Lebens liegt außerhalb des Lebens selbst, es ist der Himmel nach dem Tode. Punkt (1) scheint eher ein Mittel zu diesem Zweck zu sein, wie erkennen, lieben und dienen Gott um daruch in den Himmel zu kommen.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens scheint also eine Trennung zu enthalten; auf der einen Seite das nackte Leben, sozusagen die Rohfassung, auf der anderen der hinzugefügte Sinn.
Glück und Sinn
Eine Voraussetzung für die Frage nach dem Sinn des Lebens ist also die, dass die Rohfassung unseres Lebens unbefriedigend ist. Das muss aber durchaus nicht immer der Fall sein. Wer sich vielleicht noch daran erinnern kann, richtig verliebt gewesen zu sein, in einem Ozean von Gold zu schwimmen … Dem oder der wäre es damals merkwürdig vorgekommen, dies den Sinn des Lebens zu nennen, oder außerhalb dieses Lebens nach ihm zu suchen.
Nirvana
Und zuletzt ist ja auch der umgekehrte Weg denkbar: Wie Buddha das Suchen nach dem Sinn gerade als das Unheil des Menschen zu sehen, als intellektuelle Form des paticca samupadda, der sinnlosen Selbstfortpflanzung der menschlichen Bewusstseins. Der richtige Weg ist es, zu erkennen, dass es diesen Sinn nicht gibt und über den Achtfachen Weg dieses ganze verfehlte Unternehmen des menschlichen Geistes zu liquidieren.
Das wärs erst einmal …
An diese Katechismus-Geschichte erinnere ich mich so:
1 Um Gott zu lieben und zu dienen
2. und einst ewig bei ihm zu sein.
Das ist auch überigens das einzige, an das ich mich überhaupt beim Katechismus erinnern kann.
die Sache mit Sinn und Zweck finde ich interessant. Könnte man sagen: Der Zweck ist ein vielleicht in die Zukunft gerichtetes Konstrukt eines aktiven Subjekts (stimmt schon ncht aber ich mach mal weiter), der Sinn erschließt sich genauso gut a posteriori, und ist der Faden von Ursache und Wirkung, der sich von einem errjeichten Zustand auch in die Vergangenheit erstrecken kann, Das heißt, das Subjekt proiziert den Zweck in die Zukunft, der Sinn aber kann „sich fügen“.
Wenn das Leben keinen Sinn hat, vor allem nicht den „Unsinn-Sinn“, den uns die christliche Kirche präsentiert – Ja was ist dann? Bringen dann die Schreiber auf diesem Blog ihre Feinde um (wenn sie sicher sind, dass sie keiner dabei erwischt), brechen sie dann schnell mal beim Nachbarn ein (wenn der im Urlaub ist), ohrfeigen sie dann ihre Kinder (wenn die einfach mal „Scheiße“ sagen), gehen sie dann öfter bei Rot über die Straße (wenn der Polizist nicht herschaut), schummeln sie dann mehr bei der Steuer?
Und so weiter.
Das würde der NA gerne wissen.
Sorry, dauert bei mir im Moment alles länger.
Also: Der SdL („Sinn des Lebens“) hat m.E. erst einmal nichts zu tun mit der Frage nach dem richtigen Handeln. Wenn ich den SdL als Harmonie mit dem Universum oder etwas Ähnliches annehme, hat das erst einmal nichts zu tun damit, ob ich jemanden umbringe oder bei Rot über die Straße gehe. Hitler hatte ja z.B. die Idee, dass er das Universum wieder in Ordnung bringt, wenn er alle Juden tötet.
Die Frage nach dem Sinn ist nicht eigentlich das Anliegen des NA. Sie wird dem NA vielleicht aufgedrängt, wenn er die Ausführungen der Schwester liest. Die Frage nach dem Sinn ist eine ideologische Frage, dem NA ist sie egal. Ideologen stellen sich solche Fragen vor allem, um andere Menschen zu manipulieren. Ideologen: also christliche Dogmatiker, Inquisitoren, sog. Kirchenväter oder der zitierte Diktator.
Ehrlich gesagt, es nervt.
Die Diskussion, ob etwas, das einen Zweck hat, einen Sinn hat, oder umgekehrt, ob etwas, das einen Sinn hat, einen Zweck hat – das hat Hausaufsatzniveau. Das sollte man eigentlich nicht hier beplaudern.
Und mit Vergleichen mit dem Holocaust (nach H.Küng undenkbar ohne die Verantwortung des Historischen Christentums), sollte man, zumal in dieser verkürzten Form, so locker aus dem Ärmel geschüttelt, vorsichtig sein.
Ja, es nervt.
Ich habe jetzt erst gecheckt, wer hinter „manuel“ steckt.
manuel, wir beide haben jahrelang eine exzellente Ausbildung genossen, die uns gelehrt hat, genau hinzusehen, gerade wenn es schwierig wird, die verwendeten Terme genau zu analysieren und ggfs. zu präzisieren.
Wenn Dir das inzwischen zu mühselig ist, ok. Wenn Du einem solchen Unternehmen Hausaufsatzniveau unterstellst, wenn Du keinen Satz zu Ende lesen kannst, weil spätestens nach dem dritten Wort Dein Lagerdenken anspringt und die dazugehörigen Reflexe abruft, auch ok (nicht wirklich).
Aber dann mach das irgendwo anders. Bitte.
Bitte. Es ist einfach maßlos traurig.
„Hausaufsatzniveau“ bezog sich ausschließlich auf die Diskussion zu Sinn und Zweck. Es tut mir Leid, wenn der Eindruck entstanden ist, dass damit eine allgemeine Kritik an der Diskussion in diesem Forum entstanden ist.
Den Newsletter bestelle ich hiermit ab und erbitte keine weiteren Nachrichten aus diesem Forum.
… in diesem Forum ENTSTANDEN ist.
… in diesem Forum GEMEINT ist.
So muss es natürlich heißen. Sorry.
Womit ich mich, wie gesagt, verabschiede.