Es ist äußerst relevant, wie das Christentum in der laufenden Trivialliteratur und vor allem in den Bestsellern dargestellt wird. Hier werden ja die Erwartungen und Vorurteile einer breiten Leserschaft bedient und der Erfolg solcher Bücher spiegelt das allgemeine Denken besser wieder als schematische Umfragen à la „Glauben Sie an ein Leben nach dem Tode?“
Ein breiter und nicht enden wollender Strom von Taschenbüchern richtet sich nach dem Schema, das Dan Brown in seinem „Da Vinci Code“, zu deutsch „Sakrileg“, vorgegeben hat. Ich habe mir jüngst zu Forschungszwecken eines davon gekauft (würde ich sonst echt nicht machen) namens „The Papal Decree“. Völlig abgedreht, da schießen sich die Killer des Papstes und die der Jesuiten gegenseitig massenhaft über den Haufen. Völlig abgedreht, aber ein internationaler Bestseller und sehr lehrreich.
Weiß doch jeder
Lehrreich ist, wie dort das gesamte Christentum kurz und knackig abgetan wird. Dan Brown hat in seinem Buch noch einen imaginären Professor bemüht, der über Seiten und Seiten wilde Theorien und falsche Behauptungen auspackt, um den Leser dahingehend zu belehren, dass die ganze christliche Lehre und Überlieferung aus einem Haufen von Fälschungen besteht. Das ist inzwischen offensichtlich überflüssig, der Leser „weiß“ das alles schon und deshalb genügt in einem Buch von 470 Seiten die folgende kurze Passage. Eingeleitet wird sie mit der Bemerkung, dass das Neue Testament in der Blütezeit des Römerreiches geschrieben wurde. Und deshalb
„… entstand alles unter dem Einfluss der Römer. Es gibt keine Originale der Heiligen Schriften, nur Abschriften von unbekannten Autoren mit unbekannten Motiven. Der christliche Glaube ist Stückwerk, zusammengestoppelt aus historischen Fehlinterpretationen. Warum, glauben Sie, hat der Vatikan immer ein scharfes Auge auf archäologische Entdeckungen? Warum beeilt er sich immer so sehr, neu gefundene Fakten zu leugnen oder zu kontrollieren? Weil sie auf einer tickenden Zeitbombe sitzen. Sie wissen, dass all ihre Lehren auf Lügen gegründet sind. Das Neue Testament ist ein rein politisches Dokument, erschaffen zu dem Zweck, das Volk unter Kontrolle zu bringen.“
Natürlich strotzt das Ganze vor Dummheit. Weder der Autor noch seine Leser fragen sich, wieso sich eine zielbewusste politische Fälschung als ein so miserabel zusammengestoppeltes Werk unbekannter Abschreiber präsentiert. Und nach welcher genialen Strategie die Römer die ersten Christen, also die ersten Deppen, die auf diese Fäschung hereingefallen waren, gleich einmal an die Löwen verfütterten. Und natürlich gibt es aus dieser Zeit überhaupt keine „Originale“, was auch immer das sein mag – die Wachstafeln Cäsars mit seinem De bello Gallico?
Die Geschichte mit der Kontrolle archäologischer Entdeckungen lässt sich vielleicht zurückführen auf die etwas unglückliche Handhabung der Qumran-Funde durch das Forscherteam. Aber bei einer so fanatischen Begeisterung für absoluten Bockmist, wie er aus diesen Zeilen spricht, ist das wohl so oder so egal.
Söhne und Töchter Dawkins‘
Trotzdem steckt in diesem Geschwall ein bedenkenswerter Kern. Ein kurzes Zitat, nicht weiter argumentiertes Zitat an anderer Stelle (auch das „weiß“ man offensichtlich schon): „Die Menschen waren schuld. Sie hatten Gott nach ihrem Ebenbild geschaffen – grausam, intolerant, launisch, strafend, gierig, furchtsam. Wie konnten nur Milliarden an ein allmächtiges, allgegenwärtiges moralisches Wesen mit so vielen Fehlern glauben?“ Hier spiegelt sich wohl die Strategie von Dawkins wieder, nämlich einschlägige Passagen von allem aus dem Alten Testament zu einem Monsterbild zusammen zu tackern, das einen absolut inakzeptablen christlichen Gott darstellt.
Ein primitives Vorgehen, aber nicht ohne Berechtigung. Natürlich würde ein Theologe sagen, dass diese Auswahl willkürlich und tendenziös ist und dass andere Passagen der Bibel das wahre Wesen Gottes besser wiedergeben. Aber die Antwort Dawkins ist korrekt, wenn er sagt, dass solche positiven Selektionen im Belieben des jeweiligen Autors liegen und keinen nachvollziehbaren Kriterien folgen. Mit anderen Worten: Mit seinem Monsterbild ist er mindestens ebenso im Recht wie die Christen mit ihrem Bild eines guten Gottes.
Lücken und Aufgaben
Und auch das erste Zitat ist nicht ganz ohne Grundlage. Der Patchwork-Charakter des neuen Testaments entspringt dem Ist-Stand zeitgenössischer Theologie. Innerhalb der Theologie und auch innerhalb der schrumpfenden Gemeinschaft der Gläubigen stellt dies kein Problem dar. Diese Lücken werden eben kompensiert durch eine entsprechende Sozialisation von klein auf, ganz abgesehen davon, dass natürlich niemand seinen Lehrstuhl verlieren will, nur weil er nicht erklären kann, worum es dabei überhaupt geht. Inzwischen sind aber diese Defizite nach außen durchgesickert und bedienen jetzt in verzerrter Form ein populäres „Wissen“ um die Hohlheit der christlichen Lehre. Werke wie das von Dan Brown und seinen Nachfolgern sind keine echte Auseinandersetzung wert. Aber sie sollten als Warnung und als Herausforderung dienen. So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.
Wer? Was? Wie? Warum?
Wer ist „Gott“? Was ist der Kern, die eigentliche Botschaft des Neuen Testaments? Wie sieht z.B. der Zusammenhang zwischen der Predigt Jesu und der Theologie des Paulus aus? Warum müssen wir auf pöbelnde Polemik von außen warten, um diese Fragen zu stellen? Und warum nehmen wir sie nicht einmal dann zur Kenntnis?
Der nächste Post hat den Titel „Wir sind klug“ und enthält eine bittere Meditation über einen Spruch des Konfuzius. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.
Dan Brown……ok, den können wir nun wirklich vergessen. Aber was andere „pöbelnde Polemik“ anbelangt: Vieles wird fast ausschließlich von Gläubigen als Pöbelei empfunden. Es ist oft so nicht gedacht, auch nicht unbewusst, sondern es ist meistens ein radikales Infragestellen ohne Rücksichtnahme auf Geglaubtes. Ein gutes Beispiel wäre hier Daniel C. Dennett, der einfach ein messerscharfer Denker ist, und an Pöbeleien jeder Art auch gänzlich uninteressiert ist. Dennoch wird er von vielen religiösen Menschen als aggressiv empfunden.
Da Sie der englischen Sprache mächtig sind, empfehle ich seine auf Youtube gestellten Vorträge.
Und was den letzten Absatz anbelangt: Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass die Klugen unter den Gläubigen wissen, dass ihr Glaube solche Fragen kaum überleben dürfte. Und als Selbstschutzmaßnahme kann ich das Vermeiden von Fragen verstehen und akzeptieren. Man sollte niemanden dazu zwingen, ans Eingemachte zu gehen.
„Pöbelnde Polemik“ hat sich nicht auf Dennet bezogen – noch nicht. Noch nicht deshalb, weil ich mich bisher mit ihm kaum befasst habe. Unter den „neuen Atheisten“ schätze ich persönlich Sam Harris am meisten, Christopher Hitchens würde ich gerne einmal bei einer Diskussion zwischen die Finger bekommen.
Und, nein. Das Christentum ist als Wahrheit angetreten und kann davon nicht abrücken, ohne sich selbst zerstören. Und wenn Selbstzerstörung die Konsequenz solcher unumgänglichen Fragen ist, dann sei es so.
Ich schätze Ihre konsequente Haltung, Herr Djebe, und würde mich freuen, Ihre Meinung zu Dennett zu hören. Hitchens ist übrigens vor Kurzem gestorben.
Ja, habe ich inzwischen gelesen und bin erschrocken. Ich habe einen Krebstod aus nächster Nähe erlebt und weiß, was das bedeutet.