Basisdiskurs Religion IX >>>mehr
Die hebräische Bibel (christlich: Das Alte Testament) umfasst zunächst einmal die gesamte literarische Produktion eines kleinen Volkes im Nahen Osten über viele Jahrhunderte. Überall finden wir Bezüge auf den Stammesgott dieses Volkes, unter vielerlei Namen, unter denen „Jahwe“ der bekannteste ist. Diese Bezüge sind einmal stärker und einmal schwächer. Einige Texte würden wir unter normalen Umständen nicht einmal als religiös bezeichnen, ebenso wenig wie die Dichtungen Homers, in denen ja auch ständig Götter vorkommen, ohne dass deshalb z.B. die Ilias ein theologisches Werk wäre.
Wenn ich in dieser Vielfalt nach dem qualitativen Sprung suche, der schließlich als Fundament dreier Weltreligionen diente (Judentum, Christentum, Islam), so lasse ich mich leiten von der Idee der Achsenzeit (ca. 600 v.Chr. plus oder minus ein paar Jahrhunderte), in der überall in der Welt neue und grundlegende religiöse Ideen entstanden. Genau um diese Zeit reiften die Ansätze in der Religiosität dieses Volkes zu der radikalen und klaren Idee, die wir Monotheismus nennen, den Glauben an einen einzigen Gott.
Nachgemacht oder selbst gedacht?
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den altjüdischen Monotheismus als die bloße Nachahmung vorangegangener Ideen zu entlarven. Beliebt ist immer noch die Vorstellung, dass der Pharao Echnaton mit seinem Versuch, den Sonnengott Aton als den einzigen Gott Ägyptens durchzusetzen, die Vorlage lieferte. Wie ich noch zeigen werde, wäre Aton hierfür nicht der einzige und nicht einmal der wahrscheinlichste Kandidat.
Bereits auf den ersten Blick jedoch zeigt sich ein äußeres Merkmal, das den Glauben Israels von dem aller ähnlichen Ansätze unterscheidet: Das Verbot von Bildern und sogar von der Nennung des Gottesnamens. Das ist kein Add-On zum Glauben, etwa wie das Aufbrezeln eines Autos durch Spoiler und Metallfelgen. Vielmehr zeigt dies den Sprung aus der rituellen Verwurzelung in einer Stammeskultur zu einer abstrakte Vorstellung, vom sichtbaren, tastbaren und beweihräucherbaren Mittelpunkt der Verehrung zu einer allgemeinen Idee.
Deutlich sichtbar ist dies z.B. in altägyptischen den Reliefs, die Echnaton mit seiner Familie unter dem Schutz Atons zeigen. Von der Sonnenscheibe Atons gehen Strahlen aus, die am Ende in kleine Hände münden, mit denen er Vater, Mutter und Kinder birgt und streichelt. Ein anrührendes Bild, aber sicher keines, mit dem es sogar Salomon gewagt hätte, seine Verbindung mit Jahwe darstellen zu lassen: Kein Bild, nicht einmal der Name.
Abstrahieren oder sterben
Die Achsenzeit ist in der Entwicklung des altjüdischen Glaubens verbunden mit dem babylonischen Exil. Nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. verschleppte er den größten Teil der jüdischen Oberschicht nach Babylon und siedelte sie dort an. Für den Volksglauben dieser Menschen war dies eine entscheidende Herausforderung. Sie konnte sich nicht mehr auf die Riten und Gewohnheiten ihrer kleinen Kultur stützen, vielmehr lebten sie in einer neuen, dynamischen Umwelt, umgeben von den machtvollen Kulten der Sieger.
In dieser Situation gab es zwei Alternativen: Entweder sie konnten ihren Glauben assimilieren oder ihn so auf den Punkt bringen, so verallgemeinern, so abstrahieren, dass er in jeder Umgebung überlebensfähig war. Aufbauend auf bereits vorhandenen Elementen in ihrer Religion wählten und schafften sie den anderen Weg. Diese Leistung ist vor allem verbunden mit zwei Büchern des Alten Testaments: Hiob und Jesaias. In beiden ist ein Merkmal bestimmend für ihren einen Gott, ein Merkmal, das alle anderen überwiegt und das notfalls sogar hinreichend ist für eine formale Definition: Das der absoluten, jederzeit und überall wirkenden Allmacht.
Viele, viele Allherrscher
Nun war die rituelle Titulierung einer bestimmten Gottheit als Herrscher über die ganze Welt recht verbreitet. So sagt in einem religiösen Text Marduk, der obersten Gottheit Babylons: „Ich bin Marduk, der große Herr“ und der Kyme-Hymmnus der Spätantike beginnt mit den Worten: „Isis bin ich, die Herrin der ganzen Erde“.
Was war also der Unterschied zwischen dieser Art von Religiosität und dem Monotheismus Israels? Ein erster, offensichtlicher zeigt sich in der Einstellung zu anderen Göttern. Wenn der Mardukpriester aus seinem Tempel kam und andere Kultstätten sah,die in Babylon reichlich vorhanden waren, dann bekam er keinen Lach- oder Wutanfall, dass hier irgendwelche subalternen oder nicht existenten Gottheiten Opfer bringen ließen. Im Notfall würde er ja schon am nächsten Tag in irgendeiner speziellen Angelegenheit, etwa in Liebeshändeln, den Tempel der dafür zuständigen Ishtar aufsuchen.
Ohne in die Einzelheiten zu gehen: Die Vorstellung eines Allherschers Marduk und einer ebenfalls wirksamen Ishtar finden nebeneinander Platz in einem sogenannten additiven Denken, ebenso wie die eines gleichzeitig allmächtigen und liebevollen Gottes im Denken der meisten Christen. Die Idee der Allmacht, wie sie sich bei Hiob und vor allem bei Jesaias zeigt, ist eines Denkens, das bereits als abstrakt bezeichnet werden muss, ein Denken, das sagt: „So ist es, so ist es nicht, so muss es sein. Und daraus folgt dieses und deshalb ist jenes ausgeschlossen.“
Dieses scharfe Denken zeigt sich bei Jesaias z.B. in seiner Kritik an der üblichen Anbetung von Götterstatuen, eine Kritik, die an Schärfe ohne weiteres mit Polemikern wie Dawkins gleichzieht und sie an Präzision und Tiefe übertrifft.
Allmacht
Und deshalb kann es hier auch keine dunklen oder halbdunklen Stellen geben. Die Allmacht dieses Monotheismus ist vorn vorneherein für alles zuständig: Schönes, Schreckliches und Indifferentes, alles was geschieht, kommt ohne Unterschiede aus der Hand dieses Gottes. Es liegt auch nicht in seinem Willen, für irgend etwas unzuständig zu sein. Was dies existenziell bedeutet, wie dieser Glaube im Leben eines Menschen funktioniert, wird im Buch Hiob dargelegt. Für mich ist dieser Text die eigentliche Gründungsurkunde des Monotheismus. Allerdings ist er zu breit und zu tief angelegt, als dass ich ihn hier diskutieren könnte, sehr ausführlich nehme ich das in meinem Buch vor.
Ich werde mich also hier auf Deuterojesaias beschränken, so wird in der Fachliteratur der zweite und schlagendste Autor der Buches Jesaias genannt. Breiten Raum widmet er in seinem Beitrag dem Sieg des Perserkönigs Kyros über die Babylonier. Für die damalige Welt war der Fall der Großmacht Babylon ein Ereignis, das alle Erwartungen und Denkschemata sprengte und eben deshalb geeignet, um das Idee einer unwiderstehlichen und keinen Regeln unterworfenen Wirkmacht im Weltgeschehen zu illustrieren: Kyros weiß es nicht, aber er wurde aus fernen Landen von Gott heraufgeführt, um Babylon zu zerschlagen. Seine Darstellung von Gottes Wesen gipfelt in der Aussage:
„Ich bin Jahwe und keiner sonst, außer mir ist kein Gott … Ich bin Jahwe und keiner sonst, der Licht bildet und erschafft Finsternis, der Frieden macht und erschafft Unheil.“
Es kann nur einen geben
Diese beiden Ideen, Allmacht und Einzigkeit, hängen eng miteinander zusammen. Wenn ich einen bestimmten Gott als allmächtig postuliere in dem Sinne, dass er alles bewirkt, was geschieht, so verlieren alle anderen ihre Zuständigkeiten, ihren Platz in der Welt und werden zu machtlosen Schatten. Denn warum sollte jemand für eine Entität Tempel bauen, deren Wirken nirgends in der Welt sichtbar ist?
Und andererseits könnte, unter den damaligen Bedingungen, kein Gott seine Einzigkeit proklamieren („außer mir ist kein Gott“), der nicht gleichzeitig alles Geschehen in seiner Macht liegen hätte. Denn überall dort, wo seine Zuständigkeit enden würde (z.B. Krieg oder Fruchtbarkeit), würden in diesem Vakuum alsbald eigene Gottheiten entstehen, die dann gegen Opfer und Gebete Schutz und Hilfe gewähren.
In den folgenden Jahrhunderten und – mit Einschluss des Christentums – Jahrtausenden wurde diese Position immer wieder aufgeweicht. Der Endpunkt dieser Absatzbewegung ist wohl in diesen Tagen erreicht, in denen der „Gott“ des Christentums für nichts zuständig ist, das irgendwie Probleme bereiten könnte und manchmal für überhaupt gar nichts außer ein paar vagen religiösen Regungen im Geiste seiner Anhänger. Aber dieser grundsätzliche Schritt konnte nicht rückgängig gemacht werden. Sein Echo findet sich z.B. bei Jeremia: „Geht nicht aus dem Mund des Höchsten das Böse und das Gute hervor?“ sowie „Geschieht etwa ein Unglück in einer Stadt, ohne dass Jahwe es bewirkt hat?“
Und, wie ich in diesem Basiskurs noch zeigen werde, die Lehren des Jesu von Nazareth bauen sich entscheidend darauf auf.
In diesem Post habe ich Material verwendet aus: Martin Leuenberger, Ich bin Jhwh und keiner sonst, Stuttgarter Bibelstudien 224
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Schöpfung, Kosmos, Chaos“. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.
Es wird spannend. Wobei die Verantwortung des einen Gottes für alles zur Postulierung anderer Götter führt, die gefälliger agieren. Ob man sie nun „Menschenrechte“, „Humanismus“ oder „Vernunft“ nennt.
Überhaupt scheint es mir, daß bei derlei Überlegungen immer hin und hergesprungen wird zwischen Gott als einer Deutung dessen, was ist und Gott als das, was tatsächlich ist. Das Auftauchen von Kriegsgöttern etwa, wenn Gott nicht zuständig ist, ist eher Deutung,a lso menschliche Konstruktion, die nicht der Realität entsprechen muß, während „Ich bin Jahwe und sonst keiner“ eher in Richtung einer tätsächlichen Realität geht.
Ich bin nicht sicher, ob ich den Kommentar richtig verstehe. Hinter den ersten Teil würde ich ein Fragezeichen setzen. Er hört sich so an wie: „Je allmächtiger, desto mehr Nebengötter.“ Wenn ich mir das Judentum und den Islam ansehe (beide mit einem radikaleren Monotheismus), dann scheint mir der umgekehrte Satz genau so viel Sinn zu ergeben: Je aufgeweichter das Gottesbild, desto mehr Nebengötter (siehe das Christentum mit seiner Dreifaltigkeit, mit den Heiligen usw.)
Der zweite Teil (Ares als menschliche Konstruktion, Jahwe als tatsächliche Realitiät) hat mich dazu bewogen, zu diesem Thema noch einmal einen Post dazwischen zu schalten (der übernächste). Soll da noch mal einer sagen, ich nehme meine Alpha-Kommentatoren nicht ernst!
Nein. Mist, ich sollte so früh am Morgen keine Kommentare schreiben (ja, ich sitz grad an der Examenarbeit und mein Biorhythmus ist etwas durcheinander). Was ich meinte ist: Mit einem Gott, der auch Böses tut, inklusive Auschwitz, kommt es dazu, daß man sich neue Götter sucht, die gefälliger sind, wie etwa die Menschenrechte. Wobei die Menschenrechte klares Konstrukt sind. Aber ich meine, sie nehmen ne ähnliche Stellung ein. Es geht nicht m Nebengötter, es geht um direkte Konkurrenten.
Ich danke. Es fällt mir wie gesagt (auch in anderen Gesprächen) immer wieder auf, daß gewechselt wird zwischen Gott als guter Idee, als gutem Konstrukt, und Gott als tatsächlicher Realität. Ich bin nd bleibe gespannt.
„Nachahmung“ und „Bilderverbot“
Das Bilderverbot oder der Aniconismus ist weit verbreitet gewesen in wetsemitischen Kulten.
Ferner gibt es gerade im AT TROTZ des Bilderverbotes jede Menge „Bilder“ in den Gott als Mensch oder menschenähnlich erscheint. Sogar im NT sitzt Jesus an der Seite Gottes etc.
D.h. so ganz ernst kann es das Bilderverbot nicht meinen. (von den Kirchen ganz zu schweigen)
„Nachahmung“ ist sicherlich zu hart bzgl. der Monotheismus, aber Trinititäten und monotheistische „Versuche“ gabe es vorher in jener Region durchaus.
Was allerdings sehr stark nach „Nachahmung“ aussieht, sind die vielen alten Mythen aus Mesopotamien z.B. die im AT verarbeitet wurden. Das fängt praktisch mit Genesis 1 an und geht durch das gesamte AT so weiter. Das sind nicht „nur“ etablierte „Bilder“ gewesen, sondern da wurde vieles assimiliert … „eigenes“ findet sich da wenig.
Danke für den Hinweis. Für alle: Es gibt eine Theorie, nach der eine Form der Bildlosigkeit im Umkreis Israels bereits seit längerer Zeit bestand; im Kult wurden nur leere Säulen und in einem Fall ein leerer Thron verwendet. Hier ein Artikel dazu. Hier der entscheidende Satz daraus: Spezifisch für die Jahwe-Religion ist nicht die faktische Bildlosigkeit, sondern der Umgang mit diesem Ererbten, nämlich dessen Weiterentwicklung zu einem programmatischen Anikonismus.. D.h., es wurde diese Anregung aufgegriffen und zu einem theoretischen Programm gesteigert. Ähnliches gilt natürlich für monotheistische Ansätze im Umfeld Israels. Trinität (Dreifaltigkeit) ist keine altjüdische Idee.
Und ja, viel, sehr viel im Alten Testament ist mythologisch, unterhalb der Reflexionshöhe Hiobs und Deuterojesaias. Und Mythen sind selten originär, sondern entstammen einem breiten Überlieferungsstrom der Menschheit.
Für Hiob gibt es auch mesopotamische „Vorlagen“ .. wie weit ist die Relfexionseben da höher?
Auch in den Texten, die Deuterojesaia zugeordnet werden, finden sich mesopotamische bezüge z.B. das Akitu Fest in Dt 40:3-5 und Dt 52:7-9
Gerade auch die Prophezeiungen in Deutero Dt. schein sehr eng an mesopotamische Königsinschriften angelehnt zu sein. (Siehe z.B. in „Isaiah 40-66: Translation and Commentary“;Shalom M. Paul;Wm. B. Eerdmans Publishing 2012)
Gerade Dt 42:6 43:1, 49:1, 45:3, 45:4 können wörtlich aus einer alten Königsinschrift stammen!
(und einige Stellen mehr)
Auch die „drei Bäume“ Metapher … quasi 1:1 übernommen.
Diese „Ähnlichkeiten“ gehen bis auf sumerische Texte zurück … wo ist da die „höhere Reflexion“?
(ggf. habe ich da auch nur eine völlig andere Sicht oder verstehe ihren Text nicht)
Für die Bezüge und Unterschiede insbesondere zwischen den Marduk- und Jahwe-Texten möchte ich auf die o.g. Literatur verweisen.
Für „Hiob“ gibt es sowohl mesopotamische als auch ägyptische Texte, die von der Ausgangsstellung her ähnlich sind (ungerechtes Leiden des Gerechten). Der Unterschied liegt in der Pointe bei Hiob: Gottes Handlungen stimmen grundsätzlich nicht mit menschlichen Kategorien überein.
Für eine tiefere Behandlung muss ich auf mein Buch verweisen ;-). Ohne Scherz: Da stecken Jahrzehnte Arbeit drin, die ich hier nicht so ohne weiteres kondensieren kann
[…] dieser Satz durchaus der monotheistischen Idee der Achsenzeit bei Deuterojesaias und Hiob (siehe einen meiner ersten Posts im Basisdiskurs Religion). Dies war zumindest der Höhepunkt des Ein-Gott-Glaubens im Alten Testament, der ihn in eine Reihe […]