Jul 102012
 

Die Anregung für diesen Post erhielt ich durch die heftige Diskussion im Blog vom Michael Blume hier. Es ging, wieder einmal, in erster Linie um den Islam und darum, wie gefährlich er ist und wie sich Muslime nicht genug von anderen Muslimen distanzieren, die im Namen dieser Religion ihre verabscheuungswürdigen Taten begehen. Gerade in diesen Tagen erfahren wir ja von der Zerstörung uralter und spirituell immer noch bedeutender Kulturdenkmäler in Timbuktu.

Wenn ich von solchen Dingen höre, erfasst mich tatsächlich die Wut. Und ich stelle dann tatsächlich fest, dass sich spontan bei mir Gedanken regen wie: „Warum hört man da nichts von den Muslimen dieser Welt?“ Das nahm ich zum Anlass, um etwas tiefer nachzudenken. In den folgenden Überlegungen spreche ich übrigens von den Christen als „wir“ und von einem ganz bestimmten Gläubigen als „ich“. Muss auch mal sein.

Distanzieren? Ja, gerne, immer, aber warum?

Zunächst einmal kann ich mich einfühlen in ein Problem, das hier sicher viele Muslime haben (und, in abgewandelter Form, wir alle). Sie werden immer wieder dazu aufgerufen, sich zu empören, zu distanzieren usw. und wissen genau, dass (a) die Mehrzahl dieser Aufrufer dem Islam gleichgültig bis feindlich gegenüber stehen und dass sich (b) an dieser ihrer Haltung auch nichts ändern wird, wenn man als Muslim jeden Monat an einer Unterschriftensammlung gegen irgendwelche Salafisten, Jihadisten, Al-Quaidas und Al-Irgendwas teilnehmen würde. Vor allem aber fühlt man sich genervt, weil man sich ständig gegen irgendwelche bluttriefenden Knalltüten abgrenzen muss, nur weil sich diese, genau so wie man selber, als Muslime bezeichnen.

Um das zugrunde liegende Problem herauszuarbeiten, wechsle ich zunächst einmal zu einem ganz anderen Beispiel. Während der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts fanden in Lateinamerika mehrere Militärputsche statt, an die sich jahrelange Blutbäder unter allen auch nur irgendwie „linken“ Bürgern anschlossen. All dies wurde massiv von den USA unterstützt unter der Parole von „Verteidigung der freiheitlichen westlichen Demokratie“. (Der Dirigent dieser Orgie der Unmenschlichkeit wurde übrigens mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und lebt immer noch als hochgeachteter und hochdotierter Vortragsredner unter uns: Henry Kissinger. Nur soviel zum beliebten Thema des Messens mit zwei Maßstäben.)

Es gab in vielen Ländern viele Proteste gegen diese Vorgänge. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass sich jemand ausdrücklich als freiheitlicher westlicher Demokrat davon „distanziert“ hätte.

Wir, die Guten. Die Anderen, die Bösen

Die Parallelen zur den Salafisten würden ja auf der Hand liegen: Ich bekenne mich zu einer Weltanschauung X, jemand anderes begeht im Namen eben jener Weltanschauung X furchtbare Verbrechen und ich müsste mich dementsprechend als X davon distanzieren. Tue ich aber nicht.

Der erste Grund dafür ist sicher der, dass mich emotional in keiner Weise mit diesen anderen X-lern verbunden fühle. Dass ich sie ganz einfach verabscheue aus genau den gleichen Gründen, aus denen alle anderen anständigen Menschen sie verabscheuen. Und dass ich mich deshalb dagegen wehre, sich von ihnen „distanzieren“ zu müssen, weil dies suggeriert, dass ich ihnen irgendwie von Haus aus nahe stehe, nur, weil sie sich auch als X-ler bezeichnen. Nein, ich habe mit ihnen einfach nichts zu tun.

Etwas entfernt Ähnliches empfinde ich, wenn ich als Christ in Internetdiskussionen angemacht werde wegen Kreationisten in Amerika oder dem Kondomverbot des Papstes. Was hat das alles mit mir zu tun? Hier ist es mir noch nicht passiert, aber z.B. Michael Blume hat sich auf seinem englischsprachigen Blog lange herumschlagen müssen mit kreationistischen Trollen. Wenn einem so etwas passiert, sieht man natürlich erst recht nicht ein, warum man sich davon „distanzieren“ sollte.

Zorn

Trotzdem. Mir sind die Kreationisten zwar grundsätzlich egal, sie gehören in die Kategorie der Flachweltler und Maya-Kalender-Apokalyptiker. Ich empfinde aber einen heiligen Zorn, wenn sie sich einmischen in die Lehrpläne der Schulen und den Kindern beibringen, dass wissenschaftliches Denken und Forschen wertlos ist und jederzeit von einer populistischen Lobby für ungültig erklärt werden kann. Und man beachte, dass ich keine Anführungszeichen gebraucht habe, wenn ich von heiligem Zorn geredet habe.

Das Problem ist, wie ich meine, eben diese Abwesenheit von heiligem Zorn auf Seite derer, die den Fundamentalisten in den Arm fallen müssten. Heiliger Zorn ist die Domäne der Jungs mit den Bärten und der Kalaschnikow, der Fernsehprediger mit ihrer TV-Show voll primitiver Vorurteile und Hetzparolen. Wir dagegen sind tolerant und aufgeklärt, wir sagen „einerseits“ und „andererseits“, wir wissen um die Relativität aller menschlicher Standpunkte und sind notfalls auch bereit, den unseren aufzugeben, wenn die Gegenseite die besseren Argumente hat.

Und deshalb sind wir still? Deshalb murmeln wir nur peinlich berührt vor uns hin, wenn sich ein Prediger damit brüstet, der wahre Rechtgläubige zu sein? (Weil er, im Gegensatz zu uns Weicheiern, daran festhält, dass das Weltall in sechs mal 24 Stunden erschaffen wurde.) Deshalb dulden wir, dass unserem Glauben, der doch angeblich das Wichtigste in unserem Leben ist, die Maske eines idiotischen Aberglaubens aufs Gesicht gedrückt wird?

Mensch und Sabbat

Oder, was fast genau so schlimm ist, wir lehnen derartige Überzeugungen zwar ab, aber aus dem Grunde, weil sie dem modernen Menschen nicht zu vermitteln sind. Falsch daran ist der Grund: Der „moderne Mensch“ ist kein Maßstab für die Wahrheit, die Bestsellerlisten strotzen vor esoterischem Bockmist, den er voller Begeisterung in sich hinein mampft. Wir sollen, wir müssen sie allein aus dem Grunde ablehnen, weil sie mit der Wahrheit unseres Glaubens nicht vereinbar sind.

Den entscheidenden Ausspruch tut Jesus (Mk 2,27): „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“ Das heißt nicht und ganz bestimmt nicht, dass ein Kompromiß geschlossen werden sollte zwischen den Geboten des Sabbat und den Bedürfnissen des Menschen. Dafür war Jesus definitiv nicht zu haben. Vielmehr war er der tiefen Überzeugung, dass alle Gebote Gottes, wie auch die für den Sabbat, von vorne herein dem Wohl des Menschen dienten. Jeder Widerspruch zwischen Mensch und Sabbat konnte also nur einen von zwei Gründen haben: Entweder war das strittige Gebot nicht wirklich ein Gebot Gottes oder das angebliche Wohl des Menschen wurde an diesem Punkt nur irrtümlich dafür gehalten.

Wenn wir allerdings diesem Grundsatz wirklich zustimmen und ihn als Richtschnur benutzen, müssen wir eine dritte Möglichkeit ins Auge fassen und notfalls bejahen: Dass sich diese beiden Grundsätze – Gottes Gebot und menschliches Wohl – tatsächlich widersprechen. Dann müssen wir bereit sein, den Glauben aufzugeben.

Ohne diese Bereitschaft wird unserem Standpunkt immer etwas Unehrliches anhaften. Denn wir prüfen den Gegensatz zwischen Gott und Mensch nicht ergebnisoffen, sondern immer mit dem Vorbehalt, dass wir die Sache schon hinschrauben werden, komme, was wolle. Die Ergebnisse einer solchen Schrauberei haben sich in der Theologie über Jahrhunderte aufgehäuft. Sie ergeben eine ziemlich schauderhafte Sammlung.

Wann?

Gefragt ist unsere Stellungnahme. Laut und eindeutig. Aber nicht immer und bei jedem Anlass. Ich persönlich halte den Frieden für ein hohes Gut und bin gerne bereit, jedem seinen Glauben und seine Ansichten zu lassen, auch wenn ich sie als schädlich und abseitig empfinde. Ich kann und sollte aber dann nicht mehr schweigen, wenn Dritte durch solche Ansichten geschädigt werden. Das geschieht z.B. dann, wenn Kinder und Jugendliche mit falschen Informationen und falschen Weltbildern gefüttert werden, wie im Fall der Kreationisten. Oder wenn die massive Ausbreitung von HIV-Infektionen in Kauf genommen und als Gegenmaßnahme auf Keuschheitsstandards verwiesen wird, die über Jahrtausende hinweg nicht funktioniert haben, wie im Fall des Verbots von Kondomen.

Warum?

Wie bereits gesagt: Es genügt nicht, dass wir diese Praktiken als Zeitgenossen, als Weltbürger oder von ähnlichen Standpunkten aus verurteilen. Es ist unsere spezielle Aufgabe als Christen, hier die Sache des Glaubens zu vertreten, der dadurch missbraucht und entstellt wird.

Die falsche religiöse Begründung solcher Praktiken bewegt sich zwischen den Polen zweier Kriterien:

  • Es werden Positionen vertreten, die in einem Spannungsverhältnis zu den Grundlagen des Glaubens stehen.
  • Es werden Positionen vertreten, die religiös begründet werden, aber zu weit entfernt sind von dem Kern des Glaubens, um eine religiöse Vorschrift zu rechtfertigen.

Den Kreationismus würde ich dem ersten Pol zuordnen. Neueren Forschungen zufolge wurde der Schöpfungsbericht erst nach Jesaias und Hiob in die Bibel aufgenommen. Er ist wertvoll als Bonding-Element, als identitätsstiftender Mythos. Wenn er aber als unverzichtbares Element unseres Gottesverständnisses verteidigt wird, bringt das Probleme mit sich. Es wird dann eine bestimmte Ausübung der Macht Gottes herausgestrichen (der Anfang der Welt) und damit die Bedeutung dieser Macht für den allgemeinen Lauf der Welt zurückgestuft.

Das Verbot von Kondomen gehört eher zum zweiten Pol. Zu diesem Thema sagt die Bibel und der darauf aufbauende Glaube schlicht nichts. Und deshalb darf es auch den Gläubigen nicht als göttliches Gebot auferlegt werden.

Dies wären die Kriterien, nach denen wir urteilen und protestieren sollten.

Und?

Wird sich dieser heilige Zorn tatsächlich manifestieren? Wird sich z.B., (Achtung, Größenwahn!) ausgehend von diesem Post, eine Plattform bilden, die versucht, ihn in die Welt zu tragen? Natürlich, eigentlich müsste es sein. Eigentlich dürften wir nicht nichts tun.

Warum aber höchstwahrscheinlich trotzdem nichts geschehen wird? Weil sich die meisten von uns der Grundlagen, des Kerns unseres Glaubens nicht sicher genug sind. Weil sie eben deshalb nicht beurteilen können oder wollen, ob eines der obigen Kriterien zutrifft. Und weil sie deshalb die Bühne des Glaubens engherzigen Fanatikern überlassen und lediglich in den Kulissen missbilligend vor sich hin hüsteln.

Aber vielleicht täusche ich mich. Schön wärs. Heiliger Zorn – wer macht mit?

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  2 Responses to “Heiliger Zorn”

  1. Mitmachen? Gerne. Aber ich glaub nicht, daß wir ne Plattform dafür brauchen. Ich hab jedenfalls nen eigenen Blog und bin bei nem weiteren als Admin dabei. Im kleinen Rahmen kann ich eine gewisse Öffentlichkeit drchaus erreichen. Und mit heiligem Zorn hab ich keine Probleme, lieber einmal kräftig daneben gelangt als immer politisch korrekt und an den Ecken abgewetzt. Das erschwert natürlich den Umgang mit den Erbarmungslosen (also jenen Menschen, die einem jeden Fehler bis in alle Ewigkeit vorhalten und dies als ein Argment gegen aktuelle Äußerungen halten).

  2. Der größte Hinderungsgrund für Ihren – durchaus angebrachten – heiligen Zorn wird die berühmte Wagenburg-Mentalität sein: Jetzt hacken die anderen auf unserer Religion herum, dabei haben sie doch selber so viel Dreck am Stecken. Weshalb soll ich als Christ in dieselbe Kerbe hauen? Warum den Gegnern Munition liefern?

    Sie teilen selbst in diesem Blog kräftig gegen Proleten-Atheisten und schwammige Esoteriker aus. Für die meisten, die gegensätzliche Positionen derart angehen, wäre ein kritisches Hinterfragen der eigenen Verbündeten eine höchst exotische Angelegenheit. Aber genau da fängt meiner Meinung nach die wirkliche Aufklärungsarbeit an. In diesem Zusammenhang fällt mir immer das hässliche Wort „Nestbeschmutzer“ ein, dass für solche kritischen Geister gern gebraucht wird.

    Deshalb: mehr „interner heiliger Zorn“, viel mehr davon! Die wahren Patrioten kritisieren ihr Heimatland, wo es nur geht, anstatt die offiziellen Meinungen stur herunterzubeten. Schließlich ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Glauben kein PR-Projekt. Auch wenn es weh tut, auch wenn es den fundamentalen Steinbeißern und den pseudo-wissenschaftlichen „Realisten“ erst einmal in die Hände spielt.

    Aber ich denke, das muss ich Ihnen nicht erzählen, wenn ich das Gesamtwerk Ihrer Beiträge betrachte.

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