Jun 122012
 

Ich arbeite im Moment nicht nur am Geldverdienen (übrigens eine hübsche Abwechslung ), sondern auch an einem sehr grundsätzlichen Post über die methodische Reflexion von Religion. Da ich dafür mindestens das folgende Wochenende brauche, schiebe ich hier ein längeres (und von mir leicht redigiertes) Zitat aus dem Buch des Russen Pelewin „Buddhas kleiner Finger“ ein. Darin philosophieren einige russische Schwerkriminelle über das Christentum, über Gott und das Jenseits. Einer von ihnen hat nach einigen Morden einen „seelischen Hänger“ bekommen und sich eine christliche Broschüre „Leben im Jenseits“ gekauft. Kommt einem sehr bekannt vor, was darin steht, nur eben diesmal aus des Sicht eines Gangsters, der durch russische Gefängnisse und Lager gegangen ist.

Leben im Jenseits

„Da konnte man lesen, wie’s nach dem Tod weitergeht. Und das waren an sich lauter bekannte Dinge, da wusste man gleich Bescheid: U-Haft, Verhandlung, Paragraphen, Strafe, Amnestie und so weiter. Abkratzen ist wie aus dem Knast ins Lager überführt werden. Und auf dem Transport versuchen sie dir eben alles mögliche anzuhängen, da musst du sehen, wie du dich rauswindest. Aber wenn der Pate es will, lässt er dich trotzdem in die Dunkelzelle einfahren. Die Regeln sind nämlich so, dass du schon dadurch, dass du überhauptg geboren bist, die Hälfte der Paragraphen gegen dich hast. Da kannst du noch so einen Eiertanz veranstalten, die kriegen dich doch am Arsch. Seele gleich Fegefeuer.

Reue und Gottesfurcht bringt Straferleichterung

Der Pate kann dir die Strafe allerdings erlassen. Wenn du dich oft genug ein Stück Scheiße genannt hast, tut er’s vielleicht. Das hört er nämlich gerne. Und außerdem findet er es cool, wenn einer Angst vor ihm hat. Angst hat und sich so fühlt wie das letzte Stück Scheiße. Außerdem hat er einen Riesenheiligenschein um sich rum und Flügel und eine Leibgarde – alles, wie sich’s gehört. Und er guckt so von oben auf dich runter als wie auf ein Stück Scheiße, was denn sonst. Verstehst Du?

Ich hab das gelesen und mir ist eingefallen, dass ich so etwas Ähnliches mal in einem Magazin aus der Perestroika-Zeit gelesen habe. Mir ist der Schweiß ausgebrochen, wie ich mich daran erinnert habe. Das muss man sich mal vorstellen: Die Leute haben unter Stalin so gelebt wie jetzt die Christen nach dem Tod!“

„Nix verstehen“, sagte Schurik.

„Pass auf. Unter Stalin gabs nach dem Tod den Atheismus. Jetzt haben wir wieder die Religion. Und trotzdem ist alles wie unter Stalin. Denk doch daran, wie’s damals war. Alle wussten, im Kreml brennt noch Licht und da sitzt Er. Und er liebt dich wie einen leiblichen Sohn, du hast einen Heidenschiss vor ihm und sollst ihn trotzdem von Herzen zurücklieben. Genau wie in der Religion. Das war’s, weshalb ich gleich an Stalin denken musste. Wie geht das zusammen, hab ich gedacht: Heidenschiss und heiße Liebe.“

„Und wenn die liebe Seele keinen Schiss hat?“ fragte Schurik?

„Dann fehlt ihr die Gottesfurcht. Dafür gibt’s die Dunkelkammer.“

„Was denn für eine Dunkelkammer?“

„Was genau für eine, darüber stand da wenig. Heulen und Zähneklappern, darum ging’s im Wesentlichen. Wie ich das gelesen habe, hatte ich eine halbe Stunde zu tun, mir vorzustellen, was die Seele für Zähne hat, davon ist mir beinahe das Blech weggeflogen. Aber dann habe ich trotzdem weitergelesen. Begriffen habe ich es so, dass, wenn du beizeiten lernst, dich als ein Stück Scheiße zu sehen, und du sagst es nicht nur, sondern meinst es auch so, dann hast du die besten Chancen, Amnestie zu kriegen, und du darfst zu ihm ins Paradies.

Die ewige Maiparade

Die größte Wonne dort scheint zu sein, dem Paten zuzusehen, wie er auf der Tribüne die Parade abnimmt. Mehr wollen die gar nicht, und mehr findet auch nicht statt: Pategucken von der Tribüne oder Zähneklappern vorm Tor. Und die Hauptsache ist die, dass er nur ein Entweder-Oder gibt: Entweder Amnestie oder ab in die Dunkelzelle. Mit einem Wort: Die ganze große Knastmaschine, wie man sie kennt. Ich hab nur nicht rausgekriegt, wer sich das alles so schlau ausgedacht hat. Hast Du eine Ahnung, Wolodin“?

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