Mrz 192014
 

Der Inquisitionsprozess 1633 gegen Galileo Galilei war ein Unrecht und ein Fehler. Unrecht deshalb, weil es die Inquisition niemals hätte geben dürfen und schon gar nicht als Einmischung in den wissenschaftlichen Diskurs. Ein Fehler deswegen, weil sie die Jahrhunderte lange Rückschrittlichkeit des katholischen Teils der westlichen Christenheit gegenüber dem protestantischen begründete.

Aber: War es ein Verbot einer offensichtlichen wissenschaftlichen Wahrheit durch klerikale Dumpfbacken, die nicht über ihre Bibel hinaus denken konnten?

Nicht ganz.

Der Prozess

Über den Prozess gegen Galilei finden sich im Internet ausführliche Beschreibungen, deshalb hier nur ein paar Stichworte. Angeklagt wurde er wegen seiner Schrift, dem Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo, worin er die über viele jahrhunderte gültige Theorie von Ptolemäus mit ihrer Grundlage in der aristotelischen Physik kritisierte. Nicht sie hatte Recht, wenn sie die Erde in den Mittelpunkt des Universums stellte, sondern Kopernikus, der die Sonne in die Mitte plazierte und die Erde und die anderen Planeten darum kreisen ließ.

Er hatte ihren Inhalt zuvor mit Papst Urban VII abgesprochen und auf sein Verlangen hin stellte er in seinem Dialogo Meinung gegen Meinung, Aristoteles gegen Kopernikus, allerdings vertraute er die Verteidigung des Aristoteles einem Teilnehmer im Dialog namens „Simplicio“ an, dessen Name nicht nur Anklänge an einen Simpel hat, sondern der auch im gesamten Dialogo offensichtlich der Unterlegene war. Papst Urban war darüber not amused, holte ihn nach Rom und der Prozess nahm seinen Lauf.

Der Hintergrund

Siebzig Jahre zuvor war das Tridentinum zu Ende gegangen, das Konzil in Trient. Als Reaktion auf das Entstehen des Protestantismus wurden eine Reihe von Glaubenssätzen festgeschrieben, ebenso wie bald darauf der Römischen Katechismus, das Römische Bevier, der Ablauf der Messe und eine überarbeitete Version der lateinischen Bibel. Es war dies der Versuch, sämtliche Lecks zu stopfen, durch die Zweifel und Häresie in die katholische (Rest-)Kirche eindringen konnten; insbesondere wurde noch einmal festgeschrieben, dass nur die Kirchenväter in ihrer Auslegung durch die zeitgenössischen Authoritäten der Kirche über die Wahrheiten des Glaubens befinden konnten.

Über die Wissenschaften wurden dort zunächst keine Feststellungen getroffen, die Lehre z.B. des Augustinus, nach der naturwissenschaftliche Behauptungen keine Glaubensfragen sind, blieb nach wie vor im Raum und Forscher wie Galilei beriefen sich auch ausdrücklich darauf. Aber die damalige Tendenz der römischen Kirche setzte sich durch: Sie wollte alles und jedes in den Griff zu bekommen und frivole Ansätze zum eigenen Denken gar nicht erst aufkommen zu lassen, von welcher Seite auch immer, hatte man doch eben gesehen, welch katastrophale Folgen ein solcher Wildwuchs zeitigte.

1616 erklärte darum das Heilige Offizium, dass die Theorie des Heliozentrismus häretisch sei, nach der die Sonne im Mittelpunkt des Planetensystems steht, und demgemäß ihre Anhänger Ketzer. Gültig sei nur eine geozentrische Anschauung, nach der die Erde im Mittelpunkt steht.

Die wissenschaftliche Ausgangslage

Zur Zeit des Prozesses standen insgesamt vier Modelle für das Sonnensystem (oder Erdensystem) zur Verfügung:

  • Der Almagest, das Werk von Ptolemäus aus dem 2. Jahrhundert. Es ist geozentrisch, d.h. es stellt die Erde in den Mittelpunkt.
  • De revolutionibus von Kopernikus. Die Sonne steht im Mittelpunkt, die Planeten und die Erde bewegen sich in Kreisbahnen darum.
  • Verschiedene sogenannte geoheliozentrische Systeme, nach denen die Erde im Mittelpunkt steht, die Sonne um die Erde und die restlichen Planeten um die Sonne kreisen. Das bekannteste davon war das Progymnasmata von Tycho de Brahe.
  • Astronomia nova von Kepler, das jüngste (1609). Die Sonne ist im Mittelpunkt, die Planeten einschließlich der Erde bewegen sich aber nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen darum. Dieses Modell war schließlich siegreich.

Die Kontroverse ging aber darüber hinaus um die aristotelische Physik, die das ganze Mittelalter hindurch als die authoritative Grundlage der Naturwissenschaften galt.

Aristoteles

Es handelte sich hierbei um eine umfassende Theorie all dessen, was wir nach heutigem Sprachgebrauch hard science nennen würden. Als Vergleich aus der heutigen Zeit käme allenfalls die Relativitätstheorie Einsteins in Frage. Aristoteles konnte damit erklären, warum die Erde im Mittelpunkt des Universums stand und warum die Planeten einschließlich der Sonne sich außen herum gruppierten. Kopernikus und sein Modell hatten kein solches Fundament, das wurde erst später von Newton geliefert.

Galilei selbst hatte damit kein Problem. Nicht nur hatten ihn seine astronomischen Beobachtungen davon überzeugt, dass Aristoteles im Unrecht war, sondern bereits vorher hatte er durch seine Forschungen dessen Fall- und Wurfgesetze als offensichtlich falsch erkannt. Aber der Schatten des griechischen Großdenkers war noch nicht so leicht abzuschütteln. Der bereits erwähnte Tycho de Brahe war ein brillianter Astronom, aber er konnte sich so etwas wie die Erde einfach nicht als beweglich, als in einer Kreisbahn fliegend, vorstellen, deshalb sein geoheliozentrisches Modell.

Auch Galilei selbst war übrigens solchen allgemeinen Vorstellungen verhaftet, dass irgend etwas eben „gar nicht geht“. Er weigerte sich, das korrekte Modell des Kepler anzunehmen, weil sich eben Himmelskörper nur in einer perfekten Linie wie der eines Kreises und nicht in einer schiefen Form wie die einer Ellipse bewegen können.

Galileis Entdeckungen

Galilei hatte durch das von ihm verbesserte Teleskop vor allem zwei Beobachtungen gemacht, die ihn zu einem heliozentrischen Weltbild führten.

Erstens einige mit bloßem Auge nicht sichtbare Himmelskörper, die nur Monde des Jupiter sein konnten. Dies war keine unmittelbare Widerlegung eines geozentrischen Modells, schließlich konnte Jupiter um die Erde kreisen und trotzdem eigene Monde haben. Es war aber eine Widerlegung der aristotelischen Physik, nach der so etwas ausgeschlossen war.

Zweitens die Phasen der Venus. Der verlinkte Artikel stellt die Sache etwas verkürzt, aber im Grundsatz richtig dar: Diese Phänomene schlossen ein geozentrisches Weltbild aus.

Die Bibel und Grosseteste

Das letzte und vermeintlich entscheidende Element in dem Prozess war die Bibel. Tatsächlich wurden bei der Verurteilung von Galilei Bibelstellen angeführt, die einem heliozentrischen Weltbild offensichtlich widersprachen und damit jede solche Theorie als ketzerisch bezeichnet. Scheinbar also ein klarer Fall von Glauben gegen Naturwissenschaft: Auf der einen Seite der Zwang, auch die unsinnigsten Behauptungen anzunehmen, die in irgend einer heiligen Schrift stehen und auf der anderen Seite der freie Gebrauch der Vernunft.

Allerdings hätte die Kirche nach dieser Vorstellung noch nicht einmal Ptolemäus anerkennen dürfen. In der Bibel finden sich genügend Stellen, die eine frühe Auffassung der Erde als eine von Wasser umflossene Scheibe zum Ausdruck bringen, so dass man ebenso die Kugelgestalt der Erde als ketzerische Vorstellung hätte verdammen müssen, ob sie jetzt im Mittelpunkt des Universums steht oder nicht. Aber frühere Zeiten, als man noch nicht in der zwanghaften Verteidigungsstellung nach dem Trienter Konzil verharrte, haben sich durchaus die Freiheit genommen, den Wissenschaften Freiheit zu erlauben, ohne darin eine Gefährdung des Glaubens zu sehen.

Augustinus habe ich bereits erwähnt, als ein gerade aktuelles Beispiel möge die Schrift De luce von Robert Grosseteste dienen (um 1220). Darin stellt er eine Art mathematisches Modell vor, nach dem das Universum aus einem Urknall des Lichts entstanden ist, das sich ausgedehnt und wieder zusammengefallen ist und in diesem Prozess den Fixsternhimmel, die Planeten, die Sonne und die Erde geschaffen hat. Forscher haben seine Ausführungen jetzt in die heutige Mathematik übersetzt und durchgerechnet und erstaunliche Parallelen zur modernen Astrophysik gefunden. Hier ist nur entscheidend, dass er diese Theorie zu seiner Zeit problemlos verkünden konnte, obwohl sie einer wörtlichen Auffassung der Schöpfungsgeschichte klar widerspricht.

Aber um 1610 war so etwas im Bereich der katholischen Kirche nicht mehr möglich, die Rundumverteidigung des Status quo brachte sie dazu, ihre gesamte Weltanschauung auf diesem Status quo von 1610 einzufrieren, mit den eingangs erwähnten Folgen für die katholische Welt.

Die Positionen im Prozess

Die naheliegenden heroischen Bilder eines mutigen Freidenkers, der sich kämpferisch einer Bande dumpfer Kleriker stellt, entspricht natürlich nicht der Wahrheit. Galilei wollte nur heil aus der Sache herauskommen, um in Ruhe weiter forschen zu können, was ohne Zweifel die richtige Einstellung ist, wenn man es mit einer Bande dumpfer Kleriker zu tun hat, die ohnehin nicht verstehen, um was es geht. Er versuchte, sich durchzumogeln nach dem Motto: „Was? So etwas habe ich NIE gesagt!“ Aber letztlich nagelten ihn die Inquisitoren auf den Aussagen in seinen Schriften fest, so dass es dann tatsächlich um seine wissenschaftliche Weltanschauung ging.

Es standen also gegeneinander

  • Die traditionelle Vorstellung eines geozentrischen Weltbildes, realisiert im Modell des Ptolemäus gegen ein heliozentrisches Weltbild, realisiert im Modell des Kopernikus
  • Die aristotelische Physik als Fundament des Ptolemäus gegen die Forschungen Galileis, die sie zunehmend in Zweifel zogen.

Die Faktoren, die letztlich den Prozess entschieden, lagen vermutlich woanders. Sie waren sicher die allgemeine Einstellung der katholischen Hierarchie zu der Zeit, wie eben erwähnt. Daneben waren wohl auch andere Vorgänge wichtig, Machtkämpfe in der Kirche, in denen sich z.B. der Kardinal von Siena nicht durchsetzen konnte, der ein großer Fan Galileis war oder auch der Tod von Lorenzo dem Prächtigen in Florenz. Er war ein Lieblingshassobjekt des Papstes Urban gewesen, der sogar eine Art Schirmherr eines Mordanschlags auf ihn war und er war ein Patron Galileis, so dass sein Tod Galilei zum Abschuss frei gab.

Aber klammern wir all das aus und beurteilen wir nur die wissenschaflichen Positionen.

Aristoteles vs. Galilei

Ohne Zweifel ging die Physik des Aristoteles ihrem Ende entgegen. Im Jargon der Wissenschaftstheorie gesprochen, türmten sich die Anomalien auf, d.h. offensichtliche Probleme, die offensichtlich im Rahmen dieser Theorie nicht gelöst werden konnten und die die Gemeinschaft der Forscher zunehmend irritierten. Einige dieser Anomalien hatte Galilei selbst in die Diskussion gebracht.

Allerdings ist es auch eine grundlegende Tatsache in der Geschichte der Wissenschaft, dass eine Theorie nicht aufgegeben wird, solange keine neue Alternative zur Verfügung steht. Und Newtons Principia würden erst 1687 erscheinen. An der aristotelischen Physik festzuhalten war, wissenschaftlich gesehen, nicht fortschrittlich und zukunftshaltig, aber auch nicht grundsätzlich unwissenschaftlich.

Ptolemäus vs. Kopernikus

Galilei lehnte sowohl das geoheliozentrische Modell eines Tycho Brahe ab als auch das das klare und einfache Modell von Kepler. Somit stand als ausgearbeitete Version eines heliozentrischen Planetensystems nur De revolutionibus von Kopernikus gegen den Almagest von Ptolemäus. Hätten sich die Inquisitoren hier eindeutig für Kopernikus entscheiden müssen?

Gegen Ptolemäus standen zwei Argumente: Erstens die Beobachtung Galileis der Phasen von Venus. Und zweitens ein komplizierter und seit langem von Astronomen mit Unbehagen betrachteter Mechanismus, mit dem der Almagest die Geschwindigkeit der Planetenbewegungen erklärte, der sogenannte Äquant (für eine ausführliche Diskussion des Almagest siehe hier). Für Ptolemäus sprach die hohe Genauigkeit und die lange Dauer seiner Theorie, anderthalb Jahrtausende, in denen ihre Voraussagen Tag für Tag mit den Beobachtungen verglichen werden konnten.

Die Theorie des Kopernikus hatte von vorneherein keine Verbindung mit Aristoteles und wurde deshalb auch von den neueren Ergebnissen nicht berührt. Sie konnte auch die Venusphasen erklären und kam ohne Äquanten aus. Der Preis dafür war allerdings beträchtlich. Erstens brauchte er 34 sogenannte Epizyklen und zweitens musste er dafür eine sogenannte Trepidation der Äquinoktialprozession annehmen, ein bei Astronomen ebenfalls ziemlich diskreditierter Trick. Vor allem aber waren seine Voraussagen der Planetenbewegungen weniger genau als die des Ptolemäus.

Das Urteil

Die Inquisition verdammte Galilei dazu, einem heliozentrischen Weltbild abzuschwören, es zu verfluchen und abzulehnen. Für den Rest seines Lebens wurde er zu Hausarrest verurteilt. Sein Dialogo und später die Gesamtheit seiner Werke wurden mit Bann und Publikationsverbot belegt.

All das war Unrecht und, noch schlimmer, wie Talleyrand bemerkt hätte, es war ein Fehler, für den die ganze katholische Welt jahrhundertelang bezahlen würde. Aber wissenschaftlich gesehen und so, wie Galilei den Fall präsentierte, handelte es sich um eine Entscheidung zwischen Ptolemäus/Aristoteles und Kopernikus. Und die Entscheidung für Option eins und gegen Option zwei war nicht progressiv, aber durchaus nicht unwissenschaftlich.

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