Jan 302014
 

Das ganze Thema des Symbolon ist bei mir noch work in progress und wird es wohl auch geraume Zeit lang bleiben. Ich werde jetzt z.B. wieder eine Formulierung ändern; statt von „Punkt“ werde ich jetzt von „Position“ sprechen, also von E-Position, S-Position und so weiter.

Das hat zu tun mit diesem Post, in dem ich eine Technik vorstellen werde, die das Symbolon begleitet und unterstützt. Wie schon der Titel sagt, ist es das Fingergebet. Eine für manche wohl problematische Formulierung, die aber das Beste ist, was ich, zumindest im Deutschen, zur Verfügung habe.

Gebet vs. Meditation

Gebet und Meditation, was ist der Unterschied? Und wo ist hier mein Fingergebet anzusiedeln? Schlagwortartig gesagt, richtet sich das Gebet nach außen, an ein Gegenüber, während die Meditation nach innen geht, auf den eigenen Geist.

Natürlich ist das eine vergröbernde Darstellung. Bei beiden Begriffen handelt es sich um eine Familie von Vorstellungen und Übungen, von denen einzelne Exemplare dieses Innen/Außen-Schema überschreiten. So gibt es im Buddhismus Übungen, die die Achtsamkeit auch gegenüber der Umgebung schulen und christliche Gebete, die sich zwar auf Gott beziehen, aber das Innere zum Thema haben („Der Zunge leg er Zügel an, dass nicht des Streites Greul erwacht; den Blick nehm er in treue Hut, dass er sich nicht an Eitles hängt“, aus einem Morgengebet der Wüstenväter).

Trotzdem darf ich als die Grundhaltung der Meditation die versunkene Konzentration einer Buddhastatue mit ihrem geschlossenen Augen und als die des (christlichen) Beters den Blick auf das Kreuz nehmen. Meditation geht nach innen, Gebet nach außen.

Worum geht es?

Da ich im Moment auf meinem Blog sowieso alles riskiere, kommt es auch nicht mehr auf den folgenden unreifen Gedanken an: Das Feld des Buddhismus ist das Innere, die Psyche des Menschen oder wie man auch immer das nennen will. Daher auch seine augenblickliche Attraktivität im Westen, denn das ist ein Feld, das in unserer Situation zunehmend wichtig wird, die Frage nach der eigenen Identität und nach einer Verbesserung des eigenen Lebens auf diesem Wege.

Und was ist nun, im tiefsten Grunde, das Feld der christlichen Idee? Gott? Aber das wird doch erst zu meinem Thema, wenn ich den Raum des Christentums schon betreten habe. Irgendetwas Transzendentes, das ich zunächst suche, um es dann in diesem Gott zu finden? Neben der ganzen Problematik, den dieser Kunstbegriff der „Transzendenz“ mit sich bringt und der Frage, wieso sich ganze Zeitalter und Kulturkreise so gar nicht oder so ganz anders mit diesem Thema befasst haben, sollte auch der Glaube selbst hier skeptisch stimmen. Eine zweite Person der Gottheit, eine irgendwie in diesen tranzendenten Gott integrierte Entität, die ganz konkret vor 2000 Jahren gelebt hat und ans Kreuz genagelt wurde? Diese sehr handfesten Tatbestände können natürlich durch eine massive Sozialisation und wortreiche Erklärungen irgendwie ins „Transzendente“ umgesiedelt werden, aber ich finde meine eigene Skepsis hier sehr begreiflich.

It’s life, dummy

Und hier nun meine sehr erklärungsbedürftige Erklärung: Das Feld des Christentums ist das Leben des Menschen. Das Leben ist der eigentliche Träger des Menschseins, das, was wir Bewusstsein, Ich, Identität nennen, ist nur ein Teil davon.

An die Oberfläche gekommen ist dieser Gedanke, als ich mich selbst gefragt habe, warum ich in der augenblicklichen Diskussion um die Sterbehilfe ihre Befürworter so oberflächlich und aufgeblasen finde. Der Grund ist der, dass sie sich ihres Selbstes so fraglos sicher sind und dieses bürgerliche Ich als Besitzer des eigenen Lebens sehen, mit dem es schalten und walten können, wie es will. Dagegen kann ich im Moment nur die paradoxe Formulierung setzen: Unser Leben gehört nicht uns, sondern umgekehrt gehören wir unserem Leben.

Diese Wahrheit ist in uns noch nicht ganz ausgerottet. Wenn wir ein gutes, richtiges Leben leben wollen, dann tun wir das nicht, weil es diese oder jene positiven Auswirkungen auf den Zustand unseres Ichs haben würde, sondern weil wir in ein solches Leben hineinschlüpfen wollen wie in einen Handschuh, ein gutes Ganzes werden wollen. Vielleicht ist diese Orientierung in uns unzerstörbar, vielleicht. Allerdings gibt es starke Trends zu ihrer Abschaffung: Die Glücksforscher, die ein gutes, glückliches Leben nach der Anzahl bestimmter Hormone messen, die dabei entstehen oder die Bewegung des „Quantified Self“, die das Leben in einen zentral gesteuerten Datensalat verwandeln will.

Das Christentum ist im Kern auf dieser urtümlichen Gewissheit aufgebaut und es ist heute schwer, sie bewusst nachzuvollziehen. Unser Leben wird immer flexibler und modularer, verändert sich mit rasender Geschwindigkeit. Und in all diesem Wechsel sehen wir uns gezwungen, ein Ich in unserem Inneren zu finden, einen Identitätskern, der in all dem gleich bleibt und diesen Kern mit unserem Menschsein überhaupt zu identifizieren.

Auferstehung des Fleisches

Klar sichtbar wird dieser Gegensatz in den beiden, im Grunde inkompatiblen, Vorstellungen vom Jenseits in der christlichen Tradition. Die heutzutage im Vordergrund stehende ist die von der Seele, die sich im Tod von der leiblichen Hülle frei macht und in eine irgendwie astrale Lebensweise übersiedelt, im Himmel, in der Hölle oder, seit dem 12. Jahrhundert als letztlich menschenfreundliche Alternative zu diesem grimmigen Entweder-Oder, im Fegefeuer. Diese Seele, griechisch Psyche, verkörpert den Gedanken an einen inneren Wesenskern, unabhängig der von den Wechselfällen des Lebens bis hin zu seinem physischen Ende.

Demgegenüber besteht Paulus in der ersten Zeit des Christentums auf die Auferstehung des Fleisches, auf die Wiederherstellung des ganzen Lebens einschließlich der körperlichen Existenz, ohne die der Mensch nicht denkbar ist, nur dieses ganze Leben ist der Träger seines Menschseins.

Anbetung

Gebet kann Vieles sein und Vieles gleichzeitig. Ein Strang ist dabei durchaus die Unterhaltung mit einem imaginären Gegenüber, wie Atheisten gerne höhnen. Alte Gebete an Zeus oder Isis sind in ihrer geistigen Grundhaltung für den Christen durchaus erkennbar und nachvollziehbar, auch wenn er, in diesen Fällen, das Objekt dieser An-Betung als pures kulturelles Konstrukt ansieht. In allen Handlungen der Menschen mischen sich verschiedene Motivationen, „gute“ Antriebe können zu schlechten Ergebnissen führen und umgekehrt können wir in unserem Inneren „schlechte“ erkennen und vorläufig auch akzeptieren, die zu guten Zielen führen.

Ja, wir Christen behaupten, dass unser Gott kein imaginäres Konstrukt ist wie Zeus oder Isis, aber darum geht es jetzt nicht. Entscheidend ist, dass durch unsere An-Betung unsere Aufmerksamkeit, der Schwerpunkt unseres Bewusstseins, ein Stück weit aus unserem Inneren herausgetragen wird, dorthin, wo das Leben ist. Gott ist für unseren Geist eine Art Haken, weit da draußen, an dem wir unser Zentrum aufhängen können und der es, zumindest für eine Zeit, da draußen hält und unser Inneres damit entlastet.

Das kann durch Meditation geschehen, durch immer besser geschulte Übung unseres Geistes. Da muss ich aber immer noch innen in mir beginnen und von dort wegkommen. Das Gebet aber entlastet uns von diesem inneren Akt; in der Unterhaltung mit unserem imaginären Gegenüber (ich lasse das mal so stehen) treten wir auf ganz natürliche Art ein Stück weit aus unserem Inneren heraus.

Die Finger

Für viele Menschen heutzutage und, wie ich gestehe, auch für mich sind solche Überlegungen zwar mehr oder weniger interessant, lassen sich aber ins eigene Leben nicht umsetzen, weil das Reden mit und an Gott einen Hauch von Naivität voraussetzt, der einfach nicht mehr da ist, obwohl z.B. ich ihn mir gerne bewahrt hätte. Aus zwei Gründen nenne ich meine Übungen trotzdem Finger-“gebet“.

Erstens sind sie eine Umsetzung des Symbolons, das tief eindringt in die Fundamente des christlichen Glaubens mit seinen Begriffen von Gott, Vater, Jesus Christus und Heiliger Geist. All das bezeichnet etwas außerhalb von uns selbst, Figuren des Lebens, wie ich dies religionsfrei erklären könnte und ist auch der Themenkreis des Fingergebets.

Und zweitens gehören die dabei eingesetzten Finger mit ihren Stellungen zwar zu mir, aber nicht zu meinem Inneren. In dem Maße, in dem ich mich ihnen und ihrer Führung anvertraue, treibe ich aus mir selbst heraus zu dem, was sie bedeuten.

Zum Start der Serie „Symbolon“

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