In meinem vorangegangenen Post habe ich untersucht, welche Kriterien für und insbesondere gegen die Behauptung sprechen können, dass etwas (zum Beispiel Gott) existiert. Dagegen können sprechen Kontrafaktizität (der offensichtliche Widerspruch zu den Tatsachen) oder die Widersprüchlichkeit (wenn die Definition innere Widersprüche aufweist). Darüber hinaus habe ich den allgemeineren Begriff der Schädlichkeit eingeführt, nämlich wenn eine solche Existenzbehauptung die Regeln unserer Sprache verbiegt oder kurzschließt.
Nach all diesen abstrakten Überlegungen ist es vielleicht Zeit für ein kleines Beispiel, ein Gedankenexperiment. (Übrigens: Hier geht’s los mit der Reihe „Existiert Gott?“)
Die Briefe der Großmutter
Sagen wir, jemand findet in einer Schublade einen Packen alter Briefe. Sie stammen von seiner Großmutter, die er selbst nie gekannt hat und die in einem fernen Land lebte und starb. Sie faszinieren ihn und er beginnt, dieser Frau nachzuforschen.
Sagen wir, sie wäre als Kind in ein Waisenhaus gekommen. In ihren Briefen erzählt sie viel von ihrem Vater. Sie schreibt, er wäre verstorben, als sie etwa fünf Jahre alt war. Ihren Schilderungen nach war er ein großer und schöner Mann, herzensgut, überall beliebt und war sogar eine Zeitlang Minister gewesen.
Und nun die Frage: Hat dieser Vater je existiert oder war dies eine kindliche Phantasie, mit der sie sich über den grauen Alltag als Waise hinweg tröstete?
Harte und weiche Eigenschaften
Wo würde man mit den Nachforschungen beginnen? Ziemlich sicher bei dem Detail mit dem Minister und dem ungefähren Todesdatum (das Geburtsdatum der Großmutter haben plus fünf). Und wenn wir genau einen Minister dieses Landes recherchiert hätten, der tatsächlich um diese Zeit starb, eine Tochter hatte und dessen Vermögen nach seinem Tod konfisziert wurde, so dass sie unversorgt zurückblieb, könnten wir uns ziemlich sicher sein, dass wir hier auf der richtigen Spur sind. Und wir würden uns in dieser Einschätzung auch kaum beirren lassen, wenn sich herausstellte, dass er in Wirklichkeit nur einssechzig groß und ein bei Kollegen und Untergebenen verhasster Sauhund gewesen wäre.
Unter den verschiedenen Eigenschaften des Vaters, die die Briefe schildern, gibt es also welche, die für die Frage nach der Existenz dieses Menschen eher relevant sind als andere; ich nenne das einmal harte und weiche Eigenschaften. Für kleine Kinder ist ihr Vater eben groß, egal, was seine objektiven Körpermaße sind und sie erinnern sich natürlich an die Male, an denen er mit ihnen im Zoo war und haben keine Ahnung davon, wie er sich im Büro aufführte. Harte Eigenschaften sind also das, was wir objektiv nennen, weiche eher die subjektiven, die vor allem aus einer persönlichen Sicht heraus funktionieren.
Und jetzt: Gott
Ich erinnere noch einmal an die offiziellen Eigenschaften Gottes aus meinem letzten Post: Körperlose Person, allgegenwärtig, Schöpfer und Erhalter, frei handelnd, fähig, alles zu tun (d.h. allmächtig), allwissend, vollkommen gut, Grund für moralische Verpflichtung, unveränderlich, ewig, notwendig Seiendes, heilig und verehrungswürdig.
Da kommt schon was zusammen und es wäre eine lange und kontroverse Arbeit, diese Liste nach eher harten und eher weichen Eigenschaften zu sortieren. Ich greife stattdessen jeweils ein Beispiel heraus.
Heilig und verehrungswürdig ist wohl ein weicher, subjektiver Begriff. Manche Menschen würden sich zum Beispiel fragen, ob der Hindugott Shiva, der Gott der Zerstörung, wirklich so heilig und verehrungswürdig ist; für einen überzeugten Anhänger steht das aber außer Zweifel. Und jetzt wird es interessant: Wo ist hier eine eindeutig harte Eigenschaft? Wer meinen Blog kennt, kennt auch meine Antwort: Es ist die Allmacht.
Und hier ist das erste Problem die Tatsache, dass die vorgegebene Bedeutung („fähig, alles zu tun“) eine degenerierte Form der ursprünglichen Vorstellung von Allmacht ist.
Omnipotens oder Pantokrator?
Dieses „fähig, alles zu tun“ entspricht wohl der heutzutage gängigen Idee von der göttlichen Allmacht. Sie entstammt der lateinischen Formulierung deus ommnipotens, der allmächtige Gott eben in dem Sinne des alles vermögenden Gottes. Sie wurde in die romanischen Sprachen übernommen und von dort dann ins Englische (ommnipotent god).
Die ursprüngliche, griechische Formulierung im frühen Christentum und auch den damaligen griechischen Schriften der Juden war aber theos pantokrator, was „alles beherrschend“ heißt. Zur Erläuterung schreibt zum Beispiel Cyrill von Jerusalem (313-386), dass der pantokrator derjenige ist, „der alle Dinge beherrscht, der über alle Dinge Autorität hat“ (tatsächlich ist das deutsche Wort „Allmacht“ weit näher an der ursprünglichen griechischen Bedeutung als bei der späteren lateinischen).
Ein deus ommnipotens kann sich theoretisch auf seiner Gewissheit ausruhen, dass er alles bewirken könnte, tatsächlich aber nie in den normalen Weltenlauf eingreifen (was auch immer dieser normale Weltenlauf sein soll). Für einen theos pantokrator jedoch ist der Lauf der Welt in all seinen Einzelheiten seinem Willen, seiner Autorität unterworfen, noch einmal schärfer: Alles entspringt seinem Willen. Überspitzt gesagt, ist der deus ommnipotens ein eher passiver Gott, während theos pantokrator ein notwendigerweise überall aktiver Gott ist.
Pantokrator und Monotheismus
Die frühen griechischen Theologen erkannten auch den Zusammenhang zwischen dem pantokrator und seiner Stellung als einzigem Gott. So schreibt Irenäus von Lyon (135-202), einer der ersten systematischen Theologen: „Entweder es gibt nur einen Gott, der alle Dinge umgreift und jedes erschaffene Wesen gemäß seinem Willen gemacht hat oder es gibt viele unbestimmte Schöpfer oder Götter … aber nicht einer von diesen ist Gott. Denn einem jeden von ihnen fehlt etwas im Vergleich zu allen übrigen und der Name „Allmächtiger“ zerrinnt damit (solvetur ommnipotens appellatio).“
Dieses Zitat zeigt übrigens, dass der frühe lateinische Gebrauch von ommnipotens durchaus das ursprüngliche pantokrator meinte. So erläutert Rufinus von Aquileia (340 – 410) bei seiner Übersetzung griechischer theologischer Schriften ins Lateinische: „[Gott] wird allmächtig genannt, weil er Macht über alle Dinge ausübt (quod ommnium teneat potentatum).“ Er rettet also die griechische Bedeutung, indem er das potens in ommnipotens nicht mit posse (können) assoziiert, sondern mit potentatus (Herrschaft).
Auf einer tieferen Ebene stimmt dies überein mit der ersten vollgültigen Formulierung des Monotheismus (bei Deuterojesaias): „Ich bin Jahwe und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und die Finsternis, der ich Frieden gebe und Unheil schaffe.“ (Jes. 45,5)
Kleiner Ausflug
Vielleicht denkt jemand (bei meinem Blog immer fälschlicherweise), dass das alles doch eine ziemlich akademische Diskussion ist: Wie wichtig ist das wirklich, ob jetzt pantokrator oder ommnipotens die bessere Formulierung der Allmacht darstellt? Tatsächlich besteht ein starker spiritueller Gegensatz zwischen den beiden Ideen; der Fokus ist jeweis ein anderer. Dies zeigt sich sogar in so banalen Dingen wie den bekannten Denkspielereien, ob der allmächtige Gott ein so schweres Gewicht schaffen kann, dass er es selbst nicht mehr heben kann (oder ähnlichen, nicht ganz so läppischen Versionen).
Diese Spielereien funktionieren so richtig nur beim deus ommnipotens, bei der Vorstellung, dass Gott „alles kann“. Beim theos pantokrator würde die formal richtige Antwort lauten: Er übt die Macht über alle Dinge aus, er ist selbst aber kein Ding. Insofern läuft diese Frage ins Leere, aber ohne dass dadurch die Vorstellung vom pantokrator irgendwie geschmälert wird, eben deshalb, weil sie gar nicht tangiert wird.
Im nächsten Post gehts weiter …
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Danke für die Unterscheidung von omnipotens und pantokrator. War mir bisher so nie bewußt, leuchtet aber sofort ein.
Schließe mich De Benny an.
Hier – ohne Bezug zum Post (?) ein Fundsstück: Mr. Beans Ansprache über Gods mysterious ways.
http://www.youtube.com/watch?v=GwkgGPvClF4
Die Frage ist: Hat er mit der komödiantischen Verwechslung von Cods mysterious ways und Gods mysterious ways und seinem Versuch, dies im Nachhinein zu unterscheiden nicht aus Versehen ein profundes Problem angesprochen?
Wieder einmal eine dieser Antworten 5 Tage später (Schäm schäm).
Ich weiß nicht genau, in welcher Richtung dieses profunde Problem liegen könnte. Vielleicht in der alten (und zutreffenden) Bemerkung des Xenophanes, dass Pferde auch pferdeförmige Götter hätten. Also: Wie sieht es mit dem Gott der Dorsche aus? Dieses Problem des Anthropomorphismus des biblischen Gottes (war es das?) werde ich noch zur Sprache bringen (vermutlich im über-übernächsten Post).
Und danke für den Link hier unten. Nicht nur der supernervige Bean ist darin gut, sondern auch der auf modern frisierte pfäffische Typ, mit dem er sich streitet.
Noch ein paar unqualifizierte Äußerungen, diesmal direkt zum Thema:
Mr Bean zum Thema, does God really exist
http://www.youtube.com/watch?v=pOMQLhf7N4Q
Es ist vielleicht ein wenig plump und OT, aber da dieses Blog der Wahrheitsfindung dient: Das ist nicht Mr. Bean, sondern der großartige Rowan Atkinson, der hierzulande mit der Rolle des Mr. Bean Bekanntheit erlangte und leider oft auf diese Figur reduziert wird.
Is immer nett, wenn man bei solchen Gelegenheiten merkt, dass noch mehr Leute mitlesen.