Ich habe mir überlegt, ob ich in meinem Blog nicht ein paar Worte über die augenblickliche Welle der Gewalt in Sachen Islamvideo verlieren soll aber, offen gestanden, finde ich das Thema ebenso schrecklich wie langweilig. Die Pflege von Ressentiments in einer Gruppe gegenüber „Feinden“ bis zur blinden Gewaltbereitschaft ist ein alter Hut, siehe z.B. die Stimmung in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg, die letztendlich zu Hitler führte. In diesem Fall definiert sich die Gruppe über die gemeinsame Religion, was aber letztlich nichts Neues bietet.
Stattdessen bringe ich einige unfrisierte Gedanken zu Papier (zu Bildschirm?), die mir in den Sinn kamen, als ich über die Frage nachdachte: „Welche Chancen hätte das Christentum, wenn es heute von Null beginnen müsste?“
Der Grundantrieb
Meine spontane Antwort wäre: „Keine“. Das wird niemanden überraschen, der die pessimistische Grundstimmung meines Blogs kennt. Ohne das (rapide zerfallende) Fundament einer Jahrhunderte langen Sozialisierung wäre dieser Glaube heute nicht lebensfähig.
Stimmt diese spontane Reaktion denn aber? Das ist natürlich nicht nachprüfbar. Etwas näher komme ich vielleicht einer belastbaren Antwort, wenn ich die Frage so präzisiere: „Was waren die entscheidenden Faktoren für die anfängliche Ausbreitung des Christentums? Und wie könnten sich diese in die heutige Zeit übersetzen? Was war der Grundantrieb und wie sieht es damit heutzutage aus?“
Der eine Gott?
Ich denke, dass der Monotheismus, den das Christentum vertrat, in den ersten Jahrhunderten ein wichtiger Faktor war. Vielleicht weniger als eigenständige Philosophie sondern vielmehr als eine praktikable Alternative zum traditionellen Polytheismus im römischen Reich. Das schließe ich vor allem aus den Polemiken der Gegner des Christentums (wie z.B. Kelsos). Sie beschränken sich darauf, die Lehren der Christen (und auch der Juden) anzugreifen und in diesem oder jenem Punkt in Zweifel zu ziehen. Nirgends aber findet sich eine aktive Verteidigung des traditionellen Götterglaubens, nach dem Motto: Jupiter, Juno und der ganze Rest sind doch viel glaubwürdiger als der christliche Gott. Die Argumentation lautet vielmehr in etwa: Da man sowieso nichts Genaues weiß, ist es besser, bei den traditionellen Riten zu bleiben.
Dieses Plus würde heutzutage natürlich wegfallen. Ein Rationalitätsvorsprung des Christentums vor anderen, allgemein üblichen Religionen oder Kultformen ist nicht mehr gegeben, vor allem deshalb, weil es solche allgemeinen Bräuche nicht mehr gibt.
Grassroots?
Wieder mein persönlicher Eindruck: Eines der Argumente des Kelsos war, dass sich das Christentum auch an minderwertige Zielgruppen wie Sklaven und Frauen wende. Das sah er als Hinweis auf die niedrige geistige Niveau dieses Glaubens (wenn das schon so jemand kapiert, dann kann wohl nicht viel dran sein) und auf seine Bereitschaft, auch die zweifelhaftesten Anhänger zu rekrutieren. Natürlich war das auch ein wesentlicher Faktor für seine Verbreitung.
Auf Anhieb fällt mir in unserer Kultur keine unterdrückte Bevölkerungsschicht ein, für die das Christentum auch heute eine solche emanzipatorische Wirkung entfalten könnte. Da bin ich mir allerdings nicht sicher; die Befreiungstheologie in Lateinamerika könnte ein Gegenbeispiel sein, obwohl ich da skeptisch bin.
Erlösung?
Ein dritter und vielleicht der wichtigste Antrieb für die Verbreitung des Christentums war sicher die Idee der Erlösung von den Sünden durch Jesus Christus und seinen Tod am Kreuz.
Welchen psychologischen Stellenwert hatte das für die Christen des ersten Jahrhunderts? Bezog sich diese „Erlösung“ ausschließlich auf die kommende Welt (im Jenseits und/oder nach dem Jüngsten Tag)? Oder empfanden sie es als relevant für ihr tägliches Leben? Und wenn ja, in welcher Hinsicht?
Auch hier mein persönlicher Eindruck: Die Vorstellung von unheilvollen „Dämonen“ war in den ersten Jahrhunderten sehr präsent und Opfertod Christi wurde als Freikauf von ihrer Macht gesehen oder, noch wichtiger, gefühlt. Ich denke, dass die Menschen in diesen „Dämonen“ all das externalisiert haben, was sie in ihrem Leben als grundsätzlich falsch und un-„heil“-voll empfanden. Und dass die Vorstellung, Gott selbst habe sich für sie geopfert, ihnen als Befreiung von diesen Mächten erschien.
Geht das heute?
Auch bei diesem dritten, wichtigsten Element weiß ich nicht, wie es in die Jetztzeit zu übersetzen wäre. Nicht, dass wir keine „Dämonen“ hätten, von denen wir uns befreien müssten, aber nicht befreien können! Der Beispiele sind es übergenug: Der Finanzkapitalismus, unser CO2-Lebensstil usw. Aber wie den Martertod eines jüdischen Propheten vor zweitausend Jahren allgemein verständlich in diese Problematik übersetzen?
Ich weiß es nicht. Ich werde in meinem Basiskurs ausführlich darauf eingehen, aber ich bin hin und wieder skeptisch, wie „allgemein verständlich“ meine eigenen Gedanken dazu sind.
Ich würde gerne die Meinung von meinen Lesern hören. Wovon könnte uns, Ihrer Meinung nach, der Kreuzestod Jesu erlösen? (Außer von einem Stehplatz im Höllenfeuer, bitte)
Der Kreuzestod ist nicht der Punkt, es geht um die Auferstehung. Die frohe Botschaft in Worte gefasst könnte man vielleicht so fassen: „Ey, weißte noch, dieser langhaarige Hippie, der mit der Peitsche im Tempel aufräumte und den sie hingerichtet haben? Letzten Sontag hab ich ihn durch die Stadt laufen sehen…“
Oder traditionell: Der Herr ist auferstanden.
Was ist die Konsequenz daraus? Die Freude bezieht sich nicht darauf, daß man mal wieder ein Bier mit ihm trinken gehen könnte, sondern daß er mit seiner Lehre voll auf Gottes Seite stand. Die Auferstehung ist der ultimative Beweis für seine Zugehörigkit zu Gott. Wenn man also seiner Lehre (diese zu rekonstruieren ist sicher alles andere als trivial, trotzdem kriegen es ungebildete Sklaven hin) folgt, muß man nichts fürchten, nicht einmal den Tod. Dazu müssen wir wirklich demjenigen Glauben schenken, der sagte, daß Jesus jenen Sonntag durch die Stadt lief und eben nicht tot war.
Ob das von außen (quasi manipulativ) zu bewerkstelligen ist, da bin ich skeptisch.
Ist es so, dass Sie meinen, die damalige Vorstellung von der Erlösung durch den Kreuzestod (die ja von Paulus stammt) heute abgelöst werden sollte (könnte?) durch die von der Erlösung durch die Auferstehung?
Würden wir die Zinswucherer aus unserer Mitte verbannen ginge es uns sicher besser.
Aber wir lassen uns ja lieber von der Unterhaltungsindustrie und Schulen die von den Geistern
der Frankfurter Schule besetzt wurden, erziehen.
So würde ich das nicht gegenüberstellen. Pauus schreibt ja schon, daß alles hinfällig ist, wenn Jesus nicht auferstanden ist. Beides geht nicht ohne einander. Karfreitag betont die Tat Jesu, eben nicht vom Kreuz gestiegen zu sein während Ostern betont, daß das mit der Erlösung wirklich stimmt. Ich denke, das war auch damals schon so.