Basisdiskurs Religion V
Zu Beginn war also die große Einheit von Mensch, Land und Welt, die Verwobenheit dessen, was wir Religion nennen, in die gesamte Stammeskultur. Die Ausdifferenzierung der Religion in einen eigenen kulturellen Bereich kam mit der zunehmenden Differenzierung und Aufspaltung der Gesellschaft selbst. Dort, wo aus Stämmen Staaten werden, wo Städte entstehen und arbeitsteilige Wirtschaftsformen, dort driften die Lebenswelten der Individuen auseinander. Der überwölbende Sinnzusammenhang zwischen den Menschen und der Welt muss nun durch eine eigene kulturelle Tätigkeit geschaffen werden: Die Religion
Tempel, Priester, Gottkönige
Tempel werden geschaffen, eigene Priesterkasten entstehen und an der Spitze einer solchen Gesellschaft steht üblicherweise ein Gottkönig mit magischen Eigenschaften. Mein Bild für einen derartigen Aufbau ist das der Pyramide,von einer breiten Basis aufstrebend zur Spitze und das alles integriert in ein mächtiges Gebilde, das Ewigkeit und Transzendenz suggeriert.
Und natürlich ist das Ägypten der großen Pyramiden das beste Beispiel für so eine Gesellschaft mit dem göttlichen Pharao an der Spitze. So mächtig waren seine Rituale, dass sie einen Eroberer nach dem anderen in ihren Bann schlugen, die Hyksos und vor allem die makedonischen Eroberer Alexanders des Großen. Die letzte Repräsentantin war bekanntlich Elisabeth Taylor, Verzeihung, Kleopatra, die als Pharaonin repräsentierte, bis sie von dem kalten und genialen Machtmenschen Augustus vernichtet wurde. Ähnliche Gesellschaften gab es in Mesopotamien, vermutlich in der Induskultur und im Amerika der Mayas, Inkas und Azteken.
Der Götterhimmel bevölkert sich
Für die Vorgeschichte des Christentums bedeutend ist das zunehmende Überführung von Religion in den Götterkult. Das komplexer werdende Leben verlangte nach einer Rasterung, die natürlich auch nicht zu scharf sein durfte, da die einzelnen Bereiche – Ackerbau, Familie, Sexualität, Krieg – im Leben der Menschen ineinander übergingen. Götter, als menschenähnliche Individuen gedacht, waren für diesen Zweck ideal. Sie besaßen Kernkompenzen, Ares für den Krieg, Aphrodite für die Liebe usw., griffen aber bei Bedarf durchaus auch in andere Bereiche ein.
Natürlich versuchte man, sie mit Wohlverhalten und Opfern gnädig zu stimmen. Da sie aber als Individuen mit einem freien Willen verstanden wurden, waren solche religiösen Übungen von vorneherein fehlertolerant. Wenn der Krieg trotz hundert geschlachteter Rinder verloren wurde, dann hatte Ares eben keine Lust gehabt oder war vielleicht wegen anderer Geschäfte verhindert oder war wegen irgend welcher alter Geschichten noch sauer auf einen oder ein anderer Gott hatte dazwischen gepfuscht usw. Magische Rituale müssen dagegen müssen viel zuverlässiger funktionieren, da sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verlieren.
Der Gottkönig – christliche Ausgabe
Interessant ist das Bild der großen Pyramide übrigens auch für die Geschichte des Christentums. Auch dort gab es natürlich immer wieder Versuche, Staat und Religion zu einer stabilen Einheit zu verschmelzen. So etwas war wohl auch Kaiser Konstantin vorgeschwebt, als er die ersten Schritte tat, um diese neue Religion zum offiziellen Staatskult zu machen. Teilweise funktionierte das ganz gut, wie auch in späteren Jahrhunderten. Aber bereits Konstantin musste feststellen, dass ein solcher Glaube nie ganz zuverlässig zu berechnen ist. Unter seiner Herrschaft brach der theologische Streit zwischen den Arianern und den Orthodoxen aus und er hatte große Mühe, ihn zumindest oberflächlich unter Kontrolle zu bekommen; im Untergrund schwelte er noch lange weiter.
Ganz stark wurde übrigens die Komponente der magischen Macht des Königs in das Christentum eingeführt, als mit der Völkerwanderung Barbarenhorden einbrachen, bei denen diese Vorstellung noch stark vertreten war. Einige Jahrhunderte lang verschmolz dann auch im Christentum das Heilige mit der sakralen Aura des Herrschers. So wurden die Könige Frankreichs zur Krönung mit einem heiligen Öl gesalbt, das der Sage nach der heilige Geist selbst dereinst herabgebracht hatte. Und ein derart magisch aufgeladener König hatte auch die Macht, gewisse Krankheiten (z.B. die Skrofeln) durch Handauflegen zu heilen. Das war die Zeit, in der auch vorwiegend Könige oder hohe Adelige heilig gesprochen wurden. Erst ab ungefähr 1100 ändert sich dieses Bild und Leute aus niederem Stand werden wieder zur Ehre der Altäre erhoben.
Es geht weiter
Die große Pyramide war ein logischer Schritt in der Entwicklung der Religion. Ganz offensichtlich funktionierte sie so richtig nur in großen, stabilen Gesellschaften. Wirklich interessant wurde es, als diese Konstruktionen unter Druck kamen.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Weltreligionen: Konfuzius„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.
Tempel, Priester, Gottkönige
mmh für Ägypten mag das passen, aber für Mesopotamien nicht!
Die Gottkönige waren da eine relativ späte „Erfindung“, in der Regel wurden die Könige da erst nach ihrem Tod im Rahmen eines Ahnenkultes „vergöttlicht“.
Die Könige waren da eher die weltliche Seite der Macht und die Tempel standen dazu parallel, mehr oder weniger mächtig.
Da vieles im AT eher aus Mesopotamien „inspiriert“ zu sein scheint (Königslisten uvm.) sollte man vielleicht lieber die Gemeinsamkeiten in jenen Kulturen suchen als in Ägypten.
„Gottkönig“ ist sicher die griffige Verkürzung eines Sachverhalts, der sich in verschiedenen Kulturen verschieden darstellte. Insofern ist die Kritik berechtigt.
Um von der anderen Seite zu kommen: Was die Könige sicher nicht innehatten, war eine Rolle einer weltlichen Macht, die ggfs. auf die sakrale Komponente verzichten konnte. Und umgekehrt war die Gesellschaft, der sie vorstanden, nicht denkbar ohne die sakrale Legitimation und Funktion ihres Schlusssteins, des Königs.
Im Übrigen habe ich, wie ich denke, mit dem Beispiel der Könige Frankreichs bereits eine eher schwache Spielart dieser Rolle angeführt.