Okt 112012
 

Da sich die Folge über „Sein und Sollen“ noch ein bisschen hinziehen wird, hier dazwischen wieder mal ein rant über einige Dinge, die mir in den letzten Tagen über den Weg gelaufen sind; in der S-Bahn und in der Zeitung.

Wer braucht denn sowas

Um mit der S-Bahn zu beginnen: Als ich vor ein paar Tagen von der Arbeit nach Hause fuhr, kam ich neben zwei Frauen zu stehen, die ich aufgrund meiner Sozialisation ohne weiteres als Damen bezeichnet hätte, bis ich auf ihre Gespräche aufmerksam wurde. Eine davon sprach über die offensichtlich eher durchschnittlichen Erfolge eines Neffen auf der Schule und brach dann in eine epische Anklage aus:

„Amerika! Wer braucht denn so was? In Bochum? Gut, die Städte. Aber wo sie liegen? Und die Flüsse und die Berge? Wen’s interessiert, der kann sich das ja im Internet anschauen!“

Damit stiegen sie aus und ließen mich mit meinem tiefen Mitgefühl zurück. Wer könnte denn einem so bewegenden Apell widerstehen? Und ja, wozu braucht jemand in Bochum den Mississippi?

Immer weg mit dem Mist

Hilfe für die Beantwortung dieser Frage fand ich bald darauf in der reduzierten New York Times, die am Montag immer der Süddeutschen Zeitung beigelegt wird. Auf der ersten Seite wurde dort über das Thiel-Stipendium referiert. Damit werden junge Upstarts unter 20 mit insgesamt 200 000 Dollar unterstützt. Voraussetzung: Sie verlassen das College und gründen eine Firma.

Der Vater eines dieser Wunderkinder erklärte: „Anstatt die Kinder zur Schule zu schicken, sollen sie in die echte Welt entlassen werden. Sie sollen sich bekannt machen mit den Härten der Wirklichkeit, die wichtigste davon die, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Sehr richtig! Die echte und einzige Welt ist die des Geldes, hier mit der Facette des Geld Verdienens, des mehr Geld Verdienens und des noch mehr Geld Verdienens. Lerne die Härten dieser Wirklichkeit und werde selbst hart. Und vor allem, werde auf die richtige Art hart!

Denn: Hart sein heißt nicht, sich gegen den Wahnsinn dieses Systems zu stemmen. Hart sein heißt, mit dem Strom mitzuschwimmen, noch etwas schneller als der Strom aber immer in die gleiche Richtung. Hart sein heißt, sich in dem Strom nach vorne zu boxen, ganz nach vorne, wo die meisten Nährstoffe herumdümpeln. Und hart sein heißt, die Ohren gegen jeden Blödsinn zu verschließen, der einem was vorsäuseln will, irgendwas von der Art, dass das doch kein Leben ist.

Geht doch auch so

Schließlich sind sich diese Kulturverächter im Grunde genommen einig mit dem ganzen Geistesleben hierzulande. In derselben Ausgabe der SZ fand ich im Feuilliton einen Bericht über die „Neubeurer Woche“, einer hochkarätigen Veranstaltung, in der sich Philosophie, Wissenschaft und Kultur zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Ich zitiere:

„Schon deshalb ist Peter Sloterdijk der geeignete Stargast für das Treffen, sind Rhetorik und Wissenschaft, Kunst und Erkenntnis, Witz und Geist von jeher ununterscheidbar.“

Dann sehen wir uns mal an, was diese Krone der gebildeten Esprit in seinem Vortrag so von sich gegeben hat:

„Seit nämlich der Mensch der urzuständlichen Hordenbeseelung entronnen sei, liege auf ihm ein ‚hohes Risiko‘ … In der rationalisierenden Geistesrevolution, der von Karl Jaspers sogenannten (sic!) Achsenzeit, also im ersten Jahrtausend vor Christus, hätten die Hochgötter Besitz von der Seele ergriffen, werde diese zum Schauplatz von Kämpfen von Engeln und Dämonen. Die ‚erfolgreiche Nachbeseelung‘ bleibe im Bedarfsfall dennoch einfach, im katholischen Exorzismus werde der schmutzige Geist raus- und dann hurtig der gute Geist reingekehrt.“

Tja

Hier stimmt einfach überhaupt gar nichts.

  • Es wird ausgegangen von einer ursprünglichen Horde. Bekannt wurde dieser Begriff durch Sigmund Freud, der damit wohl in etwa die Steinzeit meinte. Mal nicht zu genau hingeschaut, was dieser Dampfbegriff der „Hordenbeseelung“ genau meint: Was zunächst einmal falsch ist, ist der suggerierte Übergang von einer Stammeskultur in die Achsenzeit. Dazwischen lagen Jahrtausende von hohen Zivilisationen.
  • Inwieweit z.B. der Monotheismus der Achsenzeit „rationalisierend“ ist, darüber kann man verschiedener Meinung sein. Völlig daneben ist hier das Geschwafel von „Hochgöttern“. Weder der Buddhismus noch der Konfuzianismus kannten solche „Hochgötter“; beide Richtungen waren in der Achsenzeit wesentlich erfolgreicher als der altjüdische Monotheismus.
  • Nachdem unser Stargast also den Großteil der achsenzeitlichen Revolution in die Tonne getreten hat, geht er daran, den monotheistischen Rest völlig verstümmelt darzustellen. Im Alten Testament findet sich überhaupt nichts von der menschliche Seele als „Schauplatz von Kämpfen von Engeln und Dämonen“. Das beste Zeugnis für eine solche Vorstellung findet sich bei den Wüstenvätern des christlichen Ostens, allerdings geht es dabei nur um den Kampf gegen die Dämonen, Engel kommen dabei nicht vor.
  • Der katholische Exorzismus ist ein winziges Detail in der Geistesgeschichte nach der Achsenzeit und auch das wird zu 50% falsch dargestellt: In dem ganzen Ritus dieser Vorgangs findet sich keine Vorstellung davon, einen guten Geist hineinzukehren. Und außerdem … Ach, was solls.

Cash statt Confucius

Hier findet sich also ein lupenreines Exemplar der Geisteshaltung, die der oben erwähnte Vater des Thiel-stipendiatisierten Wunderkindes einfordert: Bildung ist Mist, hinaus in die Welt und Geld verdient! Als Online-Spieledesigner z.B., was aber vielleicht doch auf die Dauer anstrengend ist.

Ein unschlagbares Verhältnis von minimalem Aufwand zu maximalem Ergebnis schafft eine Position wie die unseres Stargastes: Einmal etabliert als Kulturguru, reichen zwei Stunden und eine halbe Flasche Whisky, um ein Geschwafel zu erzeugen, mit dem man dann ehrfürchtig auf edlen Veranstaltungen herumgereicht wird und in renommierten Zeitschriften zitiert wird.

Und merken tut sowieso kein Schwein was, höchstens irgendwelche Deppen, die in einem Winkel an ihrem Blog herumkaspern und sich wegen solcher Zustände in einem Dauerzustand der Verzweiflung befinden.

Leute, ihr wisst nicht, was Härte ist.

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