Jan 112012
 

In meinem vorletzten Post „Das Neue und das Fehlende“ bin ich davon ausgegangen, dass es auf die heutige „Verdunstung“ des Glaubens im ersten Schritt nur eine Antwort geben kann: Das Eingeständnis, dass keiner heutzutage weiß, was dieser Glaube eigentlich bedeutet. (Das ist übrigens auch die Ausgangssituation meines Buches)

Nun habe ich diese These in einer Polemik vertreten, und zwar einer Polemik gegen einen Artikel, der die ständige Erneuerung des Glaubens um der Erneuerung willen propagierte. Wie sieht es aber mit der Gegenposition aus, also mit einer traditionellen Dogmatik, die zur Zeit ja wieder gewaltig an Boden gewinnt? Von dieser Position aus sieht die Lage doch so aus, dass ein solches Eingeständnis des Nichtwissens überflüssig und falsch ist. Die reine Lehre ist ja von den jeweiligen Autoritäten genau festgelegt worden. Ich weiß, was ich zu glauben habe, Gott sei Dank (im Gegensatz zu der hilflos herumfliegenden Spreu des Relativismus).

Glaubensgewissheiten

Beim genauen Hinsehen unterscheiden sich diese Glaubensgewissheiten stark voneinander, je nachdem, aus welcher Ecke der christlichen Restkultur sie stammen. Bei den evangelikalen Gruppen stützen sie sich weniger auf die Bibel als vielmehr auf die Autorität des jeweiligen Predigers (dazu später ein eigener Post). Hier befasse ich mich mit einer interessanteren und sehr aufschlussreichen Variante, nämlich der des augenblicklichen Papstes, die natürlich in der katholischen Kirche eine wichtige Rolle spielt.

Dogmatik und Philosophie

Interessant und aufschlussreich ist die Tatsache, dass sie sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Der erste Teil besteht in der Dogmatik, in den Lehrsätzen der katholischen Kirche. Die steilste Ansammlung dieser Lehrsätze stellt das „Enchiridion“ dar, der sogenannte Denzinger. Meiner letzten Zählung nach sind in diesem Buch inzwischen über zweitausend solcher Lehrinhalte aufgelistet. Die Vermutung liegt nahe, dass hier einfach alles drin steht, dass ein Katholik, der sich in heroischer Weise alle zweitausend einverleibt hat, genau Bescheid weiß über das Schicksal des Menschen in dieser Welt, dass er zumindest über die grundlegenden Fragen seiner Existenz umfassend informiert ist.

Um so merkwürdiger ist der zweite Teil der päpstlichen Weltanschauung, über den ich bereits in einem meiner ersten Posts geschrieben habe (Papst Benedikt: Führer wohin?). Merkwürdig daran ist weniger sein Inhalt, obwohl er merkwürdig genug ist. Merkwürdig ist vor allem sein Umfang und seine bloße Existenz.

Zunächst einmal zum Umfang: Im philosophischen Jargon würde man diesen zweiten Teil als augustinischen Platonismus bezeichen. Kurz gesagt, stellt er eine komplette Erklärung der Welt dar zuammen mit der Erklärung, wie der Mensch oder zumindest der menschliche Geist in diese Welt passt. Und bei genauem Hinsehen kommt er komplett ohne die zweitausend Sätze des Enchiridion aus. Dieses philosophische Gebäude steht auf seinem eigenen Fundament, von der gesamten Bibel benötigt es letztlich nur die achtzehn Verse im Prolog des Johannesevangeliums.

Der hohle Kern

Was bedeutet aber seine bloße Existenz? Was bedeutet die Tatsache, dass überhaupt eine Weltanschauung aus diesen beiden Teilen zusammengeschraubt wird, und zwar von einem konsequenten Vertreter der traditionellen Dogmatik? Zunächst einmal doch dies, dass es für beide Teile ein Bedürfnis gibt und dass sich beide Teile problemlos miteinander vertragen. Also: In diesen ganzen zweitausend Lehrsätzen fehlt etwas, und zwar eben das grundlegende Verständnis der Welt und des menschlichen Schicksals, das der augustinische Platonismus des Papstes liefert. Und es fehlt nicht nur ein bisschen, sondern ganz und gar. Würden nämlich diese zweitausend Sätze irgendwo eigene Grundlagen enthalten, könnten sie nicht so absolut reibungsfrei neben eine solche umfassende und völlig eigenständige Philosphie gestellt werden.

So erweist sich das ganze dogmatische Lehrgebäude als hohle Schale, dem der eigentliche Kern erst hinzugefügt werden muss, nämlich die Idee, was das Ganze eigentlich soll, was es für unser Verständnis der Welt und unseres Schicksals darin bedeutet. Sicher sind in dieser Dogmatik viele schöne und wichtige Ideen enthalten. Ihren eigentlichen Sinn aber könnte sie erst dann gewinnen (vielleicht), wenn auch hier das Eingeständnis am Anfang stehen würde: Wir wissen nicht was das alles bedeutet. Dass das niemals geschehen wird, ist auch klar.

 

  2 Responses to “Der hohle Kern der reinen Lehre”

  1. Ein eindrucksvoller Bauchaufschwung, ohne Zweifel, aber der geht doch wohl höchstens kirichentreue Katholiken etwas an, oder sehe ich das falsch?

    • Der Post war, wie eingangs gesagt, als Antwort auf den letzten gedacht. Dort habe ich das Glaubensprogramm des ständig Neuen, also letztlich ohne festen Inhalt, kritisiert. Hier wollte ich zeigen, dass eine maximale Festlegung, wie z.B. im Enchiridion, nicht schon den Inhalt liefert, sondern dass dieser dazu geladen werden muss, wie dies z.B. der augenblickliche Papst mit seinem augustinischen Platonismus tut.
      Das Enchiridion habe ich nicht deshalb als Beispiel gewählt, weil es katholisch ist, sondern deshalb, weil es die umfangreichste Festlegung des Glaubens ist, die z.Zt. existiert.

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