Zufällig ist mir der folgende, von den Medien unterdrückte Protest der Paiute-Indianer in die Finger gekommen:
Aufruf der Ältesten
Wir, die Ältesten vom Stamme der Paiute, erheben Klage gegen euch, wegen der respektlosen Behandlung und spirituellen Plünderung unsere heiligen Stätten.
Seit Hunderten von Jahren gehen wir unseren heiligen Weg zu dem Ort, den wir Sternenfeld nennen wegen der großen Vision, die unsere Vorväter dort empfingen und die unser Volk tröstete und stärkte in unseren dunklen Stunden. Wir sind diesen Weg gegangen mit großer Achtsamkeit, mit gereinigtem Geist, unter Mühen und Gefahren, aus großem Respekt vor der Vision unserer Vorväter und um ihre Kraft rein zu empfangen und zu erhalten.
Aus Mitleid mit eurer spirituellen Armut haben wir euch gestattet, diesen Weg zu gehen. Aus Mitleid, und weil wir glauben, dass die Gaben, die uns als Geschenk gegeben worden sind, als Geschenk weiter geben müssen. Wir sehen aber, dass ihr dieses Geschenk missachtet. Ihr geht diesen Weg ohne Achtung, ohne Respekt und eure Absicht richtet sich nicht auf die Kraft der heiligen Stätten, sondern eure eigenen selbstsüchtigen Ziele. Ihr missachtet unsere Regeln und unsere Gebete, ihr wollt nichts wissen über den Geist, der in dem heiligen Weg wohnt und verlacht uns, wenn wir euch darüber belehren wollen.
Deshalb erheben wir Klage gegen euch, die ihr in immer größerer Zahl diese heilige Kraft missbraucht und beschädigt. Ihr zerstört, was ihr nicht versteht und was ihr nicht geschaffen habt. Deshalb sagen wir euch jetzt: Unser heiliger Weg sei euch versperrt, bis ihr gelernt habt, ihn zu achten und richtig zu gebrauchen. Verlasst ihn und betretet ihn nicht mehr, kehrt nicht mehr zurück, bis ihr würdig seid, ihn zu gehen.
Pardon …
Falls einer meiner Leser vom Stamme der Paiute ist, bitte ich ihn hier um Verzeihung. Ich habe diesen Aufruf von vorne bis hinten erfunden und ich hoffe, dass er bei dem einen oder bei der anderen einen gewissen Widerhall gefunden hat. Wäre er echt, so hätten wohl viele von uns Verständnis für ihn, Verständnis für eine Kultur, die sich dagegen wehrt, von einer Horde unsensibler Konsumenten vereinnahmt und zerstört zu werden. Ja, aber es geht hier nicht um den heiligen Weg der Paiute irgendwo in Nordamerika, sondern um den Pilgerweg des heiligen Jakob, hier bei uns in Europa, der beliebte Trampelpfad für jeden, der sich aus irgendeinem Grund dafür entscheidet, in zu benutzen.
Ich muss, außer „Paiute“, kein Wort des obigen Aufrufs ändern, wenn ich ihn auf den Jakobsweg anwende. Aber irgendwie wird das Ganze dann nur noch lächerlich. Denn natürlich darf bei uns jeder diesen heiligen Weg gehen, und es ist sein gutes, selbstverständliches Recht, dies auf irgendeine Art und aus irgendeinem Grund zu tun, völlig egal, welchem.
Dies macht natürlich das „Wir“ des Aufrufs fraglich, denn wer wäre bei uns diese „Wir“, die sich darüber aufregen? Doch irgendwelche schrulligen und engstirnigen Typen, die nicht kapieren wollen, dass alles, was uns vergangene Generationen hinterlassen haben, für nichts anderes gut ist, als von uns durch die Wurstmaschine gedreht und zu jedem beliebigen Konsumprodukt zusammen gemanscht zu werden.
Gestreng und gestrig
Das bekannte Qualitätsblatt der Süddeutschen Zeitung hat das richtige Wort für solche schrulligen Querköpfe gefunden. Es fiel in einer sehr positiven Besprechung für den neuen Film „Dein Weg“, in dem eine Gruppe von Leuten den Jakobsweg geht, die unter anderem Gewicht verlieren, das Rauchen aufhören oder eine Schreibblockade lösen wollen. Was in der Gruppe fehlt, sind alternde Playboys, die ihre Impotenz überwinden wollen, Banker, denen unbedingt ein neues Hochrisikopapier einfallen muss und Filmstars, die sich an ihre neuen supergroßen Brustimplantate gewöhnen wollen. Kommt alles noch. Im nächsten Film.
Der Kritiker weiß, dass da einige engstirnige Opas und Omas vielleicht darüber maulen und was sind das für Leute? Er weiß es. Es sind „gestrenge Theologen.“
So heißen also Leute, denen es nicht passt, wer noch irgendwelche spirituelle Substanz bewahren möchte in diesem halbnarkotisiert vor sich hinmasturbierenden Europa (wobei es dem Kontinent schwerer und schwerer wird, dabei zum Höhepunkt zu kommen). „Theologen“, weil wohl niemand, der sich nicht akademisch mit irgendwelchen abgehalfterten Religionen beschäftigt, sich überhaupt Gedanken darüber macht. Und „gestreng“, weil ihre Haltung der einer alten Gouvernante ähnelt, die mit erhobenem Zeigefinger herauskeift aus dem Kellerabteil, in das sie von den lockeren Jungs und Mädels der nachfolgenden Generation abgestellt wurde.
Religion und Spiritualität
Angeblich hat der Hauptdarsteller Martin Sheen bei der Präsentation des Films gemeint: „Religion trennt uns, Spiritualität vereint uns.“ Ich sage mal ungerechter Weise: Man trifft sich auf dem größten gemeinsamen Teiler, und das ist im Zweifelsfall die Eins.
Ungerecht ist das deshalb, weil Eins eine viel zu große Zahl ist für die „Spiritualität“ von Rauchern und Diätfans. Wenn der Jakobsweg durch die Wurstmaschine gedreht wird, muss das Endprodukt so billig wie möglich sein, um erfolgreich vermarktet zu werden.
Wissen Sie eigentlich, was die Kunst der Metzger beim Wurstmachen ist? Sie besteht darin, Wasser schnittfest zu bekommen.
Die Motive der Leute sich dem „Himmel“ zuzuwenden, waren in der Regel nicht uneigennützig.
Wenn Kaiser Konstantin das Kreuz auf die Fahnen heftete, weil er meinte,“ in diesem Zeichen wirst du siegen“? Da ist Rauchen aufhören vielleicht ein unblutiger Wunsch.
Die Hoffnung bleibt, dass dann am Ende des Weges was anderes rauskommt, als das Motiv zunächst erhoffen ließ. Dazu eine buddhistische Geschichte: Ein Räuberhauptmann kam zu einem berühmten Lama und sagte: „Es heißt, wenn man die Siddhis (die wunderbaren Eigenschaften) erlangt, wird man unbesieglich.“ Na ja. Der Lama erklärt ihm, die Übungen, denen er sich unterziehen muss. Der Räuber, scharf auf seine Unbesieglichkeit stürzt sich mit Eifer in die Schulung. Er erlangt die Siddhis und räubert nie mehr…