Jun 062012
 

Mein heutiger Post befasst sich mit einem Teilaspekt des zeitgenössischen Christentums, der zahlenmäßig nicht besonders wichtig ist, der aber ein Symptom darstellt für die Abkopplung eines großen und vitalen Teils dieses Glaubens von der Kultur der Welt. Dieser Teil ist die katholische Kirche und das Symptom ist der Umbau dieser Kirche in eine Großsekte. Charakteristisch dafür ist die fast abgeschlossene Gleichschaltung ihrer Führungsschicht, sprich der Bischöfe, durch die römische Zentrale und das gleichzeitige Heranwachsen einer neuen Generation von Priestern und Gläubigen, die gerade das Sektenhafte schätzen, wenn auch mit einem besonderen Touch.

Diese Tendenzen sind nicht neu. Jedoch hat vor 50 Jahren das zweite vatikanische Konzil gezeigt, dass damals noch genügend gegenläufiges Bewusstsein vorhanden war, um einen vorübergehenden Kurswandel zu erzwingen, der so heute nicht mehr möglich wäre. Die Merkmale dieses reaktionären Neo-Katholizmus lassen sich sehr gut am Beispiel eines Artikels zeigen, der der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ (6/2012) aufgenötigt wurde und der die Antwort des Regensburger Erzbischofs auf eine zuvor erschienene Polemik darstellt, in der die Zulassung der Frauenordination gefordert wurde, also der Zulassung der Frauen zum Priesteramt.

Die Insel im Chaos

Seine Exzellenz Gerhard Ludwig Müller (der offizielle Titel für Bischöfe) bedient darin zunächst die Grundhaltung einer jeden Sekte, den Stolz auf eine geschlossene Gruppe mit einem geschlossenen Denksystem, das sich abgrenzt gegen die Wechselhaftigkeit der Welt. Die Wahrheit ist dort draußen so schwierig zu erkennen und so vielen Einflüssen unterworfen, nur hier im Inneren ist alles klar, weil jemand sagt, wo es langgeht:

Würde man die Formulierung der Bedingungen, unter denen Offenbarungslehre und Bekenntnisaussagen der Kirche wahr sind, der letztverbindlichen Erklärungsinstanz nichttheologischer Wissenschaften … überlassen, dann würde .. das menschliche Denken … über die Offenbarung als sein eigenes Produkt verfügen. Keine einzige Glaubenslehre … könnte … in Schutz genommen werden. Ob und dass nur eine getaufter Mann von Gott zum sakramentalen Amt berufen und vom Bischof wirksam zum Priester … geweiht und eingesetzt werden kann, vermag letztlich nur das Lehramt der Kirche verbindlich zu entscheiden.“ (S. 378)

Das Lehramt, sprich der Bischof und der Papst, retten also die Glaubenswahrheiten vor den fettigen Fingern der Wissenschaft und ähnlicher verdächtiger Unternehmen. Insbesondere retten sie sie vor dem Menschen, der sich die Offenbarung als Eigentum unter den Nagel reißen will, was natürlich gar nicht geht. Außer es handelt sich bei diesen Menschen um Gerhard Ludwig Müller und Papst Benedikt. Denen gehört die Offenbarung nämlich wirklich. (Das wussten Sie nicht?

Petrus hat nämlich laut katholischer Lehre die Glaubenswahrheiten mit nach Rom gebracht und dort abgelegt, das ist das depositum fidei, das Glaubensdepot, das seitdem den Päpsten gehört. Ich stelle mir das immer wie eine alte Holztruhe vor, die irgendwo in den Kellern des Vatikans herumsteht.)

Also, die Grundvoraussetzung jeder Sekte steht schon einmal, die Überzeugung, dass man drinnen die absolute Wahrheit kennt und draußen das Chaos des Irrtums herrscht. Das ist aber bei den Zeugen Jehovas nicht anders. Auf dieses Fundament müssen also noch ein paar Alleinstellungsmerkmale drauf.

Wir sind Jesus

Die meisten Sekten haben ihre Gurus, einen Hirten, der diese absolute Wahrheit als einziger kennt und verkündet. Papst und nach ihm Gerhard Ludwig Müller sind, wie wir gesehen haben, ebenfalls solche Quellen der Wahrheit, aber mit einer originellen theologischen Begründung, die einige Vorteile hat. Hören wir:

Wenn … Gott sich sich in der Person Jesu Christi, des fleischgewordenen Wortes, geschichtlich-eschatologisch geoffenbart hat, dann ist die Kirche als sein Leib die sakramentale Repräsentanz der Person Jesu Christi, ihres Hauptes. Christus als Person kann darum nur von Personen als Zeugen (und nicht durch ein Buch oder eine tradierte Praxis als solche) repräsentiert werden, sei als Haupt im Apostel … bzw. dem Apostelnachfolger und als Leib in der Kirche und den einzelnen Gläubigen, wie es die Lehre vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen zum Ausdruck kommt.“ (S. 376)

Das einleitende wenn / dann ist für platt denkende Menschen wie mich nicht ganz klar; zumindest wird hier kein logischer oder kausaler Zusammenhang sichtbar, den diese Sprachfigur normalerweise ausdrücken will. Aber weiter! Darum (?) steht Gerhard Ludwig Müller über der Bibel.

Erstaunlich, aber es ist so: Die Offenbarung ruht in der Person Jesu Christ, die Kirche ist der Leib Jesu, innerhalb dieses Leibes ist Jesus der Kopf, dieser Jesus wird durch die Apostel und die Apostelnachfolger (sprich Bischöfe) repräsentiert, also sind diese Personen (zu denen rein zufällig der Verfasser selbst gehört) entscheidend und nicht „ein Buch“. Na, welches Buch meinen wir denn da wohl? Und die tradierte Praxis, das ist der ganze Schrott, der sich da in 2000 Jahren angesammelt hat.

Bezeichnend ist übrigens, wie seiner Exzellenz am Schluss dieses Absatzes die Grammatik verrutscht. Es ist ihm wohl aufgefallen, dass er als Haupt der Kirche nicht alleine durch die Gegend kugeln kann, schon allein wegen der Kirchensteuer, und dass irgendwie noch ein Leib her muss. Eingeleitet wird nun der Teilsatz mit „sei es als Haupt“, und darauf müsste dann folgen „sei es als Leib“. Aber dies würde ein gewisses gleichwertiges Gegenüberstehen von Kirchenvolk (Leib) und Erzbischof(Kopf) suggerieren, eine Vorstellung, die das Unterbewusstsein des Verfassers energisch abblockt. Deswegen rutscht ihm statt des zweiten „sei es“ das unklare „und“ in die Tastatur.

Außerdem ist dieser Leib eben nicht das Volk Gottes als eigenes Subjekt, sondern „die Kirche“, (also wieder als Teil, was ja eigentlich der ganze Leib ist) und zuletzt kommt er auf „den einzelnen Gläubigen“. Dem Apostelnachfolger in Regensburg steht also gegenüber der von ihm geleitete Apparat und eine Streuung einzelner Individuen, die sich ihm gegenüber weder auf die Bibel noch auf die Praxis der Kirche berufen können, denn Chef ist er.

Damit ist die Diktatur der Hirten in Sachen Wahrheit in einem wahrhaft galaktischen Zusammenhang begründet. Und natürlich ist diese Stellung „unabhängig von der Würdigkeit des menschlichen Dieners Christi“ (S. 382), ein Grundsatz, den die Kirche durch Mittelalter und Renaissance hindurch verbissen verteidigte, notgedrungen verteidigen musste angesichts der jahrhundertelang schier ununterbrochenen Kette von Schurken und Parasiten in ihren Führungspositionen.

Es ist ja auch diese galaktische Macht, die auch im einzelnen Priester residiert und die das Zeremoniell, den Kult zu dem magischen Ereignis macht, als das die Neokatholiken z.B. die Messe (vorzugsweise auf Latein) wertschätzen.

Und jetzt noch der Sahneklecks

Nun braucht es aber für den Kenner noch eine kleine Prise eines besonderen Gewürzes. So theologisch überhöht der soeben skizzierte Grundsatz „ich Chef, du Turnschuh“ auch daherkommen mag, ist er doch allein ein bisschen mager. Der neokatholische Feuillitionschreiber liebt aber eine katholische Tradition, die in den Kirchenvätern und der Scholastik wurzelt. Von daher stammt die Überzeugung, dass eine vernunftgemäße Begründung, die sich auf allgemein einsichtige Wahrheiten und rationale Argumentation stützt, für den Glauben möglich und notwendig ist. Ein beliebter Aufhänger dafür ist die Regensburger Rede des Papstes, mehr darüber hier.

De facto kann natürlich nicht beides gleichzeitig nebeneinander bestehen: Entweder residiert die Wahrheit in den Oberhirten oder sie ergibt sich aus dem Sammeln und Sichten von Fakten und der Tradition, insbesondere der Bibel sowie dem rationalen Diskurs darüber. Und de facto ist natürlich auch klar, wer bei einem Konflikt zwischen diesen beiden Prinzipien gewinnen wird.

Dieses merkwürdige Gegenüber wird von Gerhard Ludwig Müller sehr schön dargestellt: „Die Bindung katholischer Theologie an das kirchliche Lehramt widerstreitet ihrer Freiheit so wenig, wie die Wurzel des Baumes ein Widerspruch ist zu Stamm und Ästen, an die sie das lebensnotwendige Wasser weiterleitet. Das unfehlbare Lehramt der Kirche garantiert die Freiheit der Theologie als Wissenschaft, indem es die fides relevata als die im Wort Gottes (im verbum incarnatum) offenbare Quelle, Norm und Richterin des wissenschaftlich-methodisch geordneten Glaubensverständnisses garantiert und somit immer Logos und Pneuma Gottes zum Maß ihres menschlichen Verstehens macht (ratio fide illustrata).“ (S. 377)

Keine Angst vor den lateinischen und griechischen Einsprengseln, sie sind irrelevant und dienen nur zum Aufblasen einer von vorneherein verfehlten Argumentation, die nur eine einzige Funktion hat: Hinter Nebelschwaden die Tatsache zu verschleiern, dass die katholische Theologie nach den Vorstellungen seiner Exzellenz keine Wissenschaft, sondern ihr persönlicher Hampelmann ist.

Der Nebel beginnt mit einem undurchsichtigen Vergleich. Es ist dem Verfasser wohl selbst nicht ganz klar, was da mit wem verglichen wird, wer hier die Wurzel und was das Wasser ist. Beim Grübeln über dieser Frage liest man nun vielleicht über den folgenden, wunderbaren Satz hinweg:

Das unfehlbare Lehramt der Kirche garantiert die Freiheit der Theologie als Wissenschaft“

Eine klare Ansage. „Die straffe Führung durch die Partei garantiert die Freiheit der Universität“, so ungefähr hört sich das an und genau so etwas ist damit gemeint. Ein bisschen hart, deshalb geht es gleich weiter in einen mit lateinischen Floskeln gespickten Dschungel, in dem der begriffliche Zusammenhang sogar für den Verfasser verloren geht. Dies zeigt sich am Schluss, wenn irgend jemand irgend etwas zum Maß „ihres menschlichen Verstehens macht“. Eigentlich ist in diesem Satz ja immer noch das Lehramt das Subjekt, es müsste also „seines menschlichen Verstehens“ heißen. Es bleibt wohl nur noch die fides relevata, die das Lehramt zum Maß ihres menschlichen Verstehens macht. Da diese fides irgendetwas, aber bestimmt kein Mensch ist, heißt das Ganze wohl: Das Lehramt macht Logos und Pneuma Gottes zum Maß, wie der Mensch die fides vernimmt.

Wenn irgend jemand herausbekommen sollte, was das heißt, wird es sich ohne Zweifel zeigen, dass das Lehramt hier eine bemerkenswerte Leistung vollbringt. Tatsächlich sollen sich die Gläubigen aber ihre niedlichen Köpfe nicht über solche Fragen zerbrechen, sondern die einfache Botschaft an die Theologie verinnerlichen, die da lautet: Schnauze, sonst Beule.

Apparat und Wahrheit

Dieses merkwürdige Ineinander von autoritär verkündeter und durchgesetzter Wahrheit und der ideologischen Vorstellung, diese Wahrheiten würden einer wissenschaftlichen Vernunft entspringen, wird notwendiger Weise widersprüchlich und meist verlogen sein. (Es muss nicht immer verlogen sein. Ich hoffe, ich werde noch einmal dazu kommen, das in einem Post zu erläutern)

In gewisser Weise erinnert es an Theorie und Praxis der kommunistischen Partei. Auf der einen Seite war da die Forderung nach absolutem Gehorsam („Die Partei hat immer recht“), auf der anderen Seite aber das Dogma, dass sich alles letztlich im dialektischen Materialismus wissenschaftlich begründen ließe. Vielleicht ist das der Grund, warum die eifrigsten Verfechter des Neokatholizismus aus der postkommunistischen Ecke kommen, als da sind Mattusek und Seewald.

All das geschieht nun in der im Moment zwar lautstarken, aber zur Sekte schrumpfenden Subkultur des real existierenden Katholizismus. Wahrscheinlich ist das alles nicht so wichtig, vielleicht ist mein persönlicher Schmerz darüber übertrieben. Vielleicht sollte ich es einfach von der lustigen Seite nehmen, dass eine grosse Tradition des systematischen Denkens in einer derart hirnzerfetzenden Travestie wie der dieser bischöflichen Polemik endet. Ich schaffe es noch nicht ganz. Vielleicht will ich es ja auch gar nicht.

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  7 Responses to “Der Essay seiner Exzellenz”

  1. Ich mß zugeben, ich verfolge diese Vorgänge in der Schwesterkirche mit Interesse, Entsetzen und ach ein wenig Sensationsheischerei. Wir Protestanten haben ja bei Leibe genügend eigene Probleme, aber zu sehen, wie sich da ne Weltkirche zumindest in hiesigen Breiten selbst zerlegt ist schon beeindruckend, wenn auch womöglich nicht im positiven Sinn.

    Womöglich eine Spätfolge der Auseinandersetzung mit der Moderne, ein natürlicher Ausschlag in eine bestimmte Richtung, nachdem vor ein paar Jahrzehnten in die andere Richtung ausgeschlagen wurde. Womöglich wird sich nach und nach alles wieder einpendeln. Womöglich wird es ach irgendwann liberaler denkende Priester und dann ach Bsichöfe geben, die den Traditionalisten das Wasser abgraben. Wenn nicht wird die Kirche von Rom (dann kann man sie wirklich nicht mehr „katholisch“ nennen) auf ein Häufchen „letzter Gerechter“ schrumpfen, die vielleicht überzeugt davon sind, im Recht zu sein, aber sonst keine Rolle mehr spielen. Freilich ist die Kirche groß genug, daß es bis dahin einige Jahrzehnte brauchen würde, es besteht also die Chance, daß zwischendurch noch andere zum Zuge kommen udn das Ruder wieder rumreißen.

  2. Der Link hinter: ….die Regensburger Rede des Papstes, mehr darüber … hier.- klappt leider nicht, bzw.führt ins Leere.
    LG
    Friedmut

    • Danke für den Hinweis. Keine Ahnung, was da los war. Ich habe einfach noch mal denselben Link gesetzt und jetzt hat es funktioniert – bis jetzt. Hast Du da was kaputt gemacht ;-)?

  3. Ja, sorry (hüstel, hüstel). Soeben erreicht mich eine sehr liebe Mail, dass ich den Titel der Zeitschrift falsch habe. Ich habe geschrieben „Zeichen der Zeit“; inzwischen habe ich es korrigiert in „Stimmen der Zeit“.

  4. „Ja, sorry (hüstel, hüstel). Soeben erreicht mich eine sehr liebe Mail, dass ich den Titel der Zeitschrift falsch habe. Ich habe geschrieben “Zeichen der Zeit”; inzwischen habe ich es korrigiert in “Stimmen der Zeit”.“ (Eric Djebe)

    Wenn Sie den Rest des Artikels verstanden hätten, wäre das ein zu vergessender Lapsus gewesen.

    • Hallo Charlene!
      Ganz ohne Ironie: Ein Blog braucht auch kontroverse Kommentare, insofern bedanke ich mich herzlich für Ihren Beitrag. Um aber in eine Diskussion einzutreten, bitte ich Sie, Ihre Kritik etwas schärfer zu fassen.
      Sie werfen mir vor, den „Rest des Artikels“ (vermutlich den von Gerhard Ludwig Müller) nicht verstanden zu haben. Meinen Sie damit, dass die von mir geäußerte Teilkritik falsch ist oder dass ich das Umfeld, das große Ganze nicht erfasst habe?

    • Ja, da kommt nichts mehr. War wohl wieder mal hit and run. Schade, aber erwartungsgemäß

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