Jan 032012
 

Die stets bemühte Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ hat das neue Jahr begrüßt mit einem großen Artikel unter der Überschrift „Das Neue“ („Stets bemüht“ ist in meinem Vokabular übrigens ein hohes Lob). Es werden darin zwei Wege gegeneinander gestellt, den christlichen Glauben weiter zu vermitteln angesichts des Massenphänomens seiner „Verdunstung“:

  • Erstens der traditionelle, der funktionieren soll durch „Indoktrination, pures Anbieten, Einfordern und Vermitteln von Wissen und Botschaften„, wie der Artikel meint und der zur Lösung des Problems wenig beiträgt.
  • Zweitens ein neuer Weg, den der Autor propagiert und der auf hirnphysiologische Erkenntnisse über das menschliche Lernen setzt. So unterschiedlich diese Wege auch sind, beide schlagen einen großen Bogen um ein großes schwarzes Loch im Zentrum der gesamten Problematik.

Training und Entwicklung

Auf beiden Wegen finden sich Spuren dieses zentralen Defizits, aber auf jeweils charakteristische Art und Weise. Der vorgestellte neue Weg weist in seiner Beschreibung ein eigenartiges Schillern auf. Aus der Erkenntnis, dass nicht trainierte Fähigkeiten des Gehirns verkümmern, folgert der Autor zunächst: „Wo Religiöses nicht von klein auf trainiert, eingeübt und auf der Grundlage von Bekanntem zu Unbekanntem weiterentwickelt wird, verkümmert der Glaube zwangsläufig. Er kann später nicht mehr beliebig nachgeholt werden.

Ich lasse die ziemlich schwarze Prognose beiseite, die sich hier für die Zukunft des Christentums ergibt, da ja dann die jetzigen, areligiös aufwachsenden Generationen für den Glauben auf immer verloren wären. Die Frage ist vielmehr zunächst, was hier gemeint ist mit „Religiöses“ und „Glaube“. Der Glaube wird wohl der christliche sein, bei dem Religiösen wird es sich wohl eher um Religion im Allgemeinen handeln, etwa auch der Glauben an viele Götter. So wären dann die Bekehrungserfolge des frühen Christentums zu verstehen: Die betreffenden Völker waren durch ihren eigenen Glauben religiös trainiert und von dieser Grundlage aus offen dafür, sich von Bekanntem zu Unbekanntem weiter zu entwickeln, von ihrem eigenen Polytheismus zum neuen Christentum.

Einen ähnlichen Prozess fordert anschließend der Autor von jedem Christen ein: „Wahrhaft zeitgemäß glauben kann nur, wer bereit ist, seinen Glauben selber … ständig umzubauen.“ Hier nun erscheint unvermittelt der „Glaube“ und tritt an die Stelle des nur „Religiösen“. Ja, er muss weiter entwickelt werden, aber woher kommt die Urfassung, die erste Version, das Ausgangsmaterial?

Woher? „Dazu braucht man Lehrer. … Wie steht es da um die Glaubenslehrer, die Priester … oder den Papst selbst?“ Gut, man bekommt ihn von jemandem vermittelt, von Priestern usw.. Woher haben die ihn? Keine Antwort. „Glaube“ ist offensichtlich zunächst einmal alles, was einem in diesem Kulturkreis als solcher vermittelt wird.

Hauptsache Umbauen. Ständig.

Diese Frage nach dem Woher wird deswegen nicht wahrgenommen, weil im Vordergrund das große Wohin steht, die Entwicklung, der bereits erwähnte ständige radikale Umbau dieser ziemlich beliebigen Ausgangsform des Glaubens. Wenn nur kein Stein auf dem anderen bleibt, wird es schon hinhauen. Denn nur durch Stagnation sterben Religionen: „So sind viele – die allermeisten – Religionen … abgestorben. Die „alten“ Religionen haben den Sprung aus der Antike und über die Antike hinaus mangels Neuerungen nicht geschafft„.“

Dieser Satz lässt deprimierend tief blicken. Er leugnet letztlich die Möglichkeit, dass eine Religion überhaupt eine Identität hat, einen begrifflichen Kern, den sie nicht ablegen oder ändern kann, ohne sich selbst zu verleugnen. Nicht seine unbehebbare begriffliche Schwäche hat den altrömischen Götterkult absterben lassen, sondern mangelnde Neuerungen, vielleicht ein paar neue Götter alle paar Jahre oder einen Ringtausch der Tempel oder irgend etwas in dieser Richtung.

Und wie steht es an diesem Punkt mit dem Christentum? Die Antwort steht am Ende des Artikels: „In biblisch-christlicher Sicht heißt es: Gott ist Geist. Geist schaftt Leben. … Wo Religion dieses heilige Experiment des Neuen, der Neugier nach dem stets anderen, neuen Gott zulässt, fördert und bewegt, wird sie sinnvoll, geistvoll, neu. … Gott macht neu. Gott ist neu.

In dieser Aussage ist alles klar bis auf ein Detail. Klar ist, dass jede Frage nach einem begrifflichen Kern der christlichen Lehre, nach ihrer Identität, bestenfalls überflüssig und schlimmstenfalls schädlich ist, weil sie die geforderte Dynamik der immerwährenden Innovation behindert. Das störende Detail dabei ist „biblisch“. Was diese seit knapp 2000 Jahren unveränderte Textsammlung in dieser Umgebung der ständigen Umwälzung soll, ist rätselhaft, Vermutlich dient sie einfach, wie im Mittelalter, als Krabbelkiste für passende, weil aus dem Zusammenhang gerissene Zitate.

So nicht. Aber wie dann?

Nun ist die grundlegende Diagnose dieses Artikels vermutlich wahr: Die heutige Verdunstung des Glaubens stellt eine echte, vermutlich sogar tödliche Gefahr für das Christentum dar. Ebenso leuchtet ein, dass etwas Neues geschehen müsste, um diesen Trend zu stoppen oder gar umzukehren. In der Neuerung um der Neuerung willen, wie es dieser Artikel zu fordern scheint, kann diese Rettung nicht liegen. Wo dann?

Die Antwort setzt an bei dem „Woher“. Woher wissen wir, wie wissen wir, was der Glaube ist, was Gott ist , was die Predigt Jesu, was die Lehre des Paulus im Tiefsten bedeutet? Diese Fragen sind alt. Neu wäre die heute einzig wahrhaftige Antwort: In Wahrheit wissen wir es nicht.

In Wahrheit wissen wir nicht, welche der vielen Texte der Bibel die maßgeblichen sind, wie sie zusammengehören. In Wahrheit wissen wir nicht, wie all das mit unserem Wissen von der Welt zusammenpasst und was dies für unser Schicksal in dieser Welt bedeutet. In Wahrheit können wir den nachfolgenden Generationen nichts übergeben, was ihre Fragen beantworten und ihren natürlichen, menschlichen Hang zur Wahrheit befriedigen könnte.

Neu anfangen, nicht neu renovieren.

Neu wäre es, neu zu beginnen. Neu wäre es, all die zeitgemäßen Erklärungen beseite zu legen, die uns Lösungen vorgaukeln, wo nur Lücken sind, die Wärme statt Wahrheit verbreiten und Theologenjargon statt Aussagen. Neu wäre es, die Kinderfragen ernst zu nehmen: Gibt es Gott? Was ist das, Sünde?

Wo bleibt dann hier, am Punkt Null, der Glaube? Dort, wo es für ihn am schwersten ist. Dort, wo es gilt, auf Nichts hin festzuhalten an der Zuversicht, dass in dieser riesigen, oftmals umgepflügten Tradition, in den widersprüchlichen Versen der Bibel, im Theologengezänk der ersten Jahrhunderte die Schlüssel liegen, die uns aufschließen, wie das alles gemeint war.

Aber wenn das so ist, was ist mit dem anderen Weg, dem traditionalistischen, wo ja alle Erklärungen schon fix und fertig da sind? Damit werde ich mich im nächsten Post befassen.

  2 Responses to “Das Neue und das Fehlende”

  1. Also hat man keine Antwort, sondern sucht nach ihr. Mit Zuversicht, daß der Schlüssel schon irgendwo im Acker liegen wird. Aber auch diese Zuversicht muß ja irgendwoher kommen. Oder muß sie das? Ist sie vielleicht einfach irgendwann da, ohne woher?

    • Schon der zweite Kommentator auf meinem Blog! (Ich bin das einfach noch nicht gewohnt, deshalb hat es so lange gedauert, ihn freizuschalten, sorry) Herzlich willkommen erst einmal!
      Zu Ihrer Anfrage: Das mit der „Zuversicht“ ist so schillernd und widersprüchlich gemeint, wie es dasteht: „Auf Nichts hin festzuhalten an der Zuversicht“. Und: Dies ist das Schwerste.
      Die Zuversicht, dass ich da irgendwo die Schlüssel finden werde, ist auf den ersten Ansatz hin so irrational, wie es z.B. @cydonia immer darstellt. Ich würde sagen, es gibt zwei Motive, die Sache trotzdem guten Mutes anzupacken, eines objektiv und eines subjektiv.
      Das Objektive: Wenn ich auf der einen Seite den umfassenden, machtvollen und andauernden Erfolg des Christentums betrachte und auf der anderen Seite die gerade aktuellen Erläuterungen, worum es bei dieses Lehre eigentlich geht, muss ich zu dem Schluss kommen: Das KANN es doch nicht gewesen sein, da MUSS es doch irgendwo noch etwas geben.
      Das Subjektive: Dazu kam bei mir etwas, was ich als persönliche Verpflichtung empfunden habe. Pathetisch gesagt, wollte ich den Glauben meiner Vorfahren nicht einfach beiseite legen, ohne mir Rechenschaft darüber abzulegen, was ich denn da konkret entsorge. Und (s.o.), das musste ich offensichtlich selbst herausfinden.
      Und natürlich spreche ich inzwischen von der Warte eines Suchers aus, der auch eine Antwort gefunden hat (Siehe mein Buch).

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