Nov 042012
 

Basisdiskurs Religion XXX>>>mehr

Die Frage, die das Christentum beantworten muss, lautet also: Wie komme ich vom Sein des einen Gottes zu meinem Sollen, zu der richtigen Art, zu leben? Und letztlich entwickelt sich der ganze Sonderweg des Christentums, bis hin zu dem schwierigen Kapitel der Dreifaltigkeit, aus dieser Antwort.

Ein neues Licht

Es sieht so aus, als würde hier noch irgend eine Grundlage fehlen, um die Bergpredigt zu verstehen, irgend eine alles umfassende Sicht auf die Welt und Einstellung zum Leben. Ganz sicher war es dieser große Wurf, den Jesus damals seinen Zuhörern vermitteln wollte, nicht eine Folge von Verhaltensregeln, den er ihnen eine nach der anderen in den Rachen stopfte und mit der er sie anschließend allein ließ, nach dem Motto: Jetzt seht einmal zu, wie ihr damit fertig werdet.

Und, wie alle anderern Propheten und Religionsstifter, musste Jesus erst einmal selbst diese Weltsicht, diese Lebensart entdecken und verstehen. Dieses radikale Umschalten, dieser Übertritt in eine ganz neue Art, die Dinge zu sehen, wird am Besten durch das altmodische Wort „Erleuchtung“ bezeichnet.

Der Blitz

Um bei diesem Bild der Erleuchtung zu bleiben: Das Licht, das ganz neue Ideen sichtbar macht, sieht bei den verschiedenen religiösen Denkern und Visionären ganz unterschiedlich aus, je nach ihrem Temperament und ihrer Lehre.

Bei Konfuzius kann man sich es vorstellen als den eine Studierlampe, in deren Schein er über dem Studium alter Schriften systematisch seine Vorstellungen entwickelte. Bei Buddha war es wohl eher so, als würde ein Schleier von den Augen weggezogen werden. In der Überlieferung werden die Bekehrungen, die er erwirkte, jedes Mal so beschrieben: „Da gibt ihm das aufgeklärte, abgespülte Auge der Erkenntnis auf“ (oder so ziemlich ähnlich, ich finde jetzt gerade in meinem Bücherverhau mein Exemplar der Lehrreden Buddhas nicht).

Jesus war kein systematischer Denker wie diese beiden, er war ein Prophet, ein Visionär. Und so kam ihm auch seinew Erleuchtung in einer plötzlichen, überwältigenden Vision. Er beschreibt sie so: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.“

Die Originale

Die sogenannten kritischen Exegeten, also die Forscher, die die Bibel auf Herkunft und Authentizität ihres Inhalts prüfen, sind in der Tat ein sehr kritisches Volk. Und sie tun nichts lieber, als angebliche Aussagen Jesu, die in den Evangelien überliefert sind, als spätere Zutaten entlarven. Bei diesem Bibelvers aber sind sie sich ziemlich einig, dass er tatsächlich eine Auskunft des historischen Jesus über den Beginn seiner prophetischen Laufbahn wiedergibt.

Zu den wenigen Versen im Evangelium, die zu diesem exklusiven Klub der anerkannten Jesusworte gehören, zählt dann auch sein Bußruf: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe. Denkt um und lasst euch auf die gute Botschaft ein!“ (meine Übersetzung). Vielleicht hat Jesus das nicht in genau diesen Worten gesagt, aber es ist auf jeden Fall eine gültige und prägnante Zusammenfassung des Kerns seiner Predigt.

Die große Waage

Zwei Bibelverse, das hört sich nicht nach viel an. Diese beiden haben es aber in sich, sie umfassen den Kern der Predigt Jesu.

Das Alte und das Neue

Beginnen wir ganz einfach: Es hört etwas Altes, Schlechtes auf und etwas Neues, Gutes beginnt: Satan stürzt vom Himmel und dafür kommt das Reich Gottes herbei, ist schon ganz nahe. Diese beiden Ereignisse hängen mit einander zusammen, sie beschreiben den selben Sachverhalt, nur jeweils unter einem anderen Blickwinkel. Es ist wie bei einer Waage, bei der die eine Schale sinkt, das ist die Satans, und die andere emporsteigt, das ist das Reich Gottes.

basileia ton uranon

Hier muss ich erst einmal die Begriffe ein bisschen auseinander sortieren, die sich im Lauf der Jahrtausende gegeneinander verschoben haben. „Reich Gottes“ und „Himmelreich“ haben zu Beginn dasselbe gemeint: Die Evangelisten Markus und Lukas haben den Begriff „Reich Gottes“ verwendet, Matthäus den des „Himmelreichs“. Im griechischen Orginal hieß das „basiléia tú theú“ bzw. „basiléia tón uranón“.

(Falls Sie einmal diese Stichworte auf einer Party lässig in die Debatte werfen wollen, denken Sie daran, dass das ‚u‘ und das ‚o‘ am Ende lang gesprochen wird. Ich würde allerdings von dem Versuch abraten. Meiner persönlichen Erfahrung nach können Sie mit diesem Thema zur Zeit nicht wirklich punkten.)

Das „Himmelreich“ hat allerdings seither eine andere Bedeutung bekommen. Heutzutage verstehen die meisten Menschen darunter den angenehmeren Teil des „Jenseits“, in dem die Guten nach ihrem Tode auf den Wolken sitzen und Gott lobpreisen, während die Bösen in der Hölle schmoren, oder zumindest war das in meiner Jugendzeit noch so.

Aber, um zum Anfang zurückzukehren: Was hat Jesus gemeint, wenn er vom Reich Gottes sprach? Und was hat für ihn dieser „Satan“ bedeutet, den er vom Himmel stürzen sah?

Aus Nacht zum Licht. Was ist die Nacht? Was ist das Licht?

Religion, Lebensphilosophie oder dergleichen entsteht eigentlich erst, wenn man unzufrieden ist mit den Dingen, wie sie sind, so wie Medizin erst dann gebraucht wird, wenn einer krank ist. Für Konfuzius und Buddha waren die Zeiten und die Menschen krank. Sie haben jeweils unterschiedlichen Medizinen verschrieben, weil sie unterschiedliche Diagnosen gestellt haben. Für Konfuzius war die Gemeinschaft, das Staatswesen defekt geworden und damit auch der Mensch, der ein Gemeinschaftswesen ist. Für Buddha war der menschliche Geist von vorne herein falsch organisiert, ein Opfer seiner eingebauten Gier. Die Heilung dafür? Für den einen das richtige Tun von der Ebene des eigenen Lebens bis zur Ebene der Staatsführung und für den anderen der achtfache Weg zum Nirvana.

Und für Jesus? Da beginnt das Problem. Jesus folgte dem selben Muster, aber auf seine ganz eigene, ganz andere Weise.

(Fortsetzung folgt)

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Basileia II: Der Geburtsfehler der Welt„. Wenn Sie beim Erscheinen eines neuen Posts benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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  One Response to “Basileia I: Eine neue Botschaft”

  1. […] Deshalb kurz und einfach: Ich mache weiter bei dem Bild der zwei Waagschalen, wie ich es hier zum ersten Mal gebracht […]

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