In den letzten Tagen habe ich mich, in vielleicht unvorsichtiger Weise, in eine Kommentarschlacht zu einem atheistischen Post eingelassen. Ich hätte wissen müssen, dass es nichts bringt, in einer solchen Umgebung in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Atheistenversteher“ herumzulaufen, das bringt dir nur eine extra Tracht Prügel ein. Trotzdem hat es mich angeregt, meinen Standpunkt in dieser Sache noch einmal zu kondensieren und möglichst genau auf den Punkt zu bringen. Das Ergebnis ist, wie nicht anders zu erwarten, extrem heavy. Aber, es muss einmal gesagt werden und, wenn nicht hier, dann bitte wo sonst? Also, los:
Einordnung des Monotheismus
Ähnlich wie Buddhismus, Konfuzianismus usw. ist der Monotheismus in all seinen Varianten eine mentale Technik, die zu einem gelungenen Leben führen soll. Ansätze dazu sind: Beim Buddhismus der Blick nach innen, beim Konfuzianismus der Blick auf die Gesellschaft, beim Monotheismus der Blick auf die Lebenswelt des Menschen, auf die Gesamtheit seiner Erfahrungen.
Technik des Monotheismus
Die mentale Technik des Monotheismus besteht darin, diese ganze Lebenswelt unter den Willen eines einzigen, völlig unabhängigen, allmächtigen Wesens (im Folgenden „Gott“ genannt) zu stellen. Der spirituelle Mehrwert dieser Technik ist, wie immer im Bereich der Spiritualität, dem außen Stehenden schwer zu vermitteln, für den Gläubigen steht er außer Frage.
Fragen der Naturwissenschaft
Dieser Blick auf die Welt überschneidet sich mit anderen Blickwinkeln, insbesondere dem der Naturwissenschaften. Insofern ist es angezeigt, das Verhältnis zwischen diesen unterschiedlichen Perspektiven zu klären:
- (A) Stehen sie im Widerspruch zueinander?
- (B) Falls nein: Erfordert Ockhams Rasiermesser zwingend die Eliminierung von Gott?
- (C) Falls keines von beiden: Wie kann man sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Blickwinkeln vorstellen?
Banalität der Allmacht
Zu (A): Allmacht bedeutet in seiner höchsten, entwickelten Form, dass Gott jedes Geschehnis g in der Welt bewirkt. D.h. jede Formulierung von g kann überführt werden in „Gott bewirkt g“ und umgekehrt. Dies ist – für jemand außerhalb des Glaubens – nichts als eine banale Umformulierung ohne inhaltliche Aussage.
Ein stumpfes Rasiermesser
Zu (B): Für diesen nicht Glaubenden liegt hier ein tatsächlich ein Fall für Ockhams Rasiermesser vor: Mit „Gott“ wird ein zusätzlicher, Term eingeführt, der aufgrund seiner Funktionslosigkeit eliminiert gehört. In gewisser Weise ist es also berechtigt, dem Glaubenden Irrationalität vorzuwerfen, weil er diesen Schritt nicht tut. Dieser Vorwurf ist aber extrem schwach: „Gott“ verletzt keine „Naturgesetze“ (um diesen naiven Ausdruck zu gebrauchen), behindert keine Hypothesenbildung und erfordert keinen relevanten zusätzlichen Aufwand. Der Entschluss des Glaubenden, Gott aufgrund des spirituellen Mehrwerts beizubehalten, sollte also respektiert werden.
Aber wie sieht es im Einzelfall aus?
Noch einmal (C): Trotzdem kann die Frage bleiben, ob damit alles gesagt ist: Irgendwie muss der Glaubende seinen Monotheismus ja mit Inhalt füllen und insbesondere für jedes Geschehnis g den Satz: „Gott bewirkt g„. Wie auch immer diese Implementierung aussieht, muss sie nicht notwendigerweise die Rationalität und unser Wissen über die Welt verletzen? Immerhin arbeitet die Naturwissenschaft an einer umfassenden kausalen Erklärung der Welt und damit auch für jedes g. Und damit wird sie in Widerspruch geraten zu jeder (auch noch so spirituellen) Auffassung, nach der Gott dieses g bewirkt.
Das Leben ist nicht wissenschaftlich
Antwort: Der Monotheismus liefert dem Gläubigen ein Modell für seine menschliche Lebenswelt. Diese besteht aus einem unübersehbaren Ineinander von von größtenteils stochastischen und chaotischen (schwach kausalen) Systemen. Die Naturwissenschaft hat für diese Gesamtheit kein Modell anzubieten und strebt dies, nach ihrem neueren Selbstverständnis, auch gar nicht an.
Naturwissenschaft und Monotheismus: Zwei Modelle
Da also dieses alternative Modell bereits grundsätzlich keinen Widerspruch zur Naturwissenschaft enthält, bleibt nur noch ein möglicher Vorwurf der Irrationalität oder Wissenschaftsfeindlichkeit an den Gläubigen: Wenn er ein bestimmtes Ereignis g wahlweise unter dem Blickwinkel der Naturwissenschaften oder des Monotheismus betrachtet, so ist bereits die bloße Existenz dieses zweiten Blickwinkels vernunftwidrig.
Wie schwach ein solches Argument ist, zeigt ein Blick auf die Anwendung unterschiedlicher Modelle in der Wissenschaft, z.B. mit denen der Atomphysik: Die Elektronenhülle wird einmal als Schale gesehen (Orbitalmodell) und einmal als idealisiertes Gas (Thomas-Fermi). Jedes Modell erklärt bestimmte Verhaltensweisen der Elektronen gut und andere schlechter oder gar nicht. Ebenso wird bei der systematischen Forschung der Blickwinkel des M nutzlos sein, während eben diese Systematik kein brauchbares Bild meiner Gesamtexistenz liefert.
Das war’s
Das war’s.
Dieser Post ist eine leicht aufgemotzte Version meines folgenden Kommentars auf dem o.a. Blog:
– Ähnlich wie Buddhismus, Konfuzianismus usw. ist der Monotheismus (ab hier: M) in all seinen Varianten eine mentale Technik, die zu einem gelungenen Leben führen soll. Ansätze dazu sind: Beim Buddhismus der Blick nach innen, beim Konfuzianismus der Blick auf die Gesellschaft, beim M der Blick auf die Lebenswelt des Menschen, auf die Gesamtheit seiner Erfahrungen.
– Die mentale Technik des M besteht darin, diese ganze Lebenswelt unter den Willen eines einzigen, völlig unabhängigen, allmächtigen Wesens (W) zu stellen. Der spirituelle Mehrwert dieser Technik ist, wie immer im Bereich der Spiritualität, dem außen Stehenden schwer zu vermitteln, für den Gläubigen steht er außer Frage.
– Dieser Blick auf die Welt überschneidet sich mit anderen Blickwinkeln, insbesondere dem der Naturwissenschaften. Insofern ist es angezeigt, das Verhältnis zwischen diesen unterschiedlichen Perspektiven zu klären: (A) Stehen sie im Widerspruch zueinander? (B) Falls nein: Erfordert occams razor zwingend die Eliminierung von W? (C) Falls keines von beiden: Wie kann man sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Blickwinkeln vorstellen?
– Zu (A): Allmacht bedeutet in seiner höchsten, entwickelten Form, dass W jedes Geschehnis g in der Welt bewirkt. D.h. jede Formulierung von g kann überführt werden in “W bewirkt g” und umgekehrt. Dies ist – für den außen Stehenden – nichts als eine banale Umformulierung ohne inhaltliche Aussage.
– Zu (B): Für diesen nicht Glaubenden liegt hier ein Fall für occams razor vor: Mit W wird ein zusätzlicher, Term eingeführt, der aufgrund seiner Funktionslosigkeit eliminiert gehört. In gewisser Weise ist es also berechtigt, dem Glaubenden Irrationalität vorzuwerfen, weil er diesen Schritt nicht tut. Dieser Vorwurf ist aber extrem schwach: W verletzt keine “Naturgesetze” (um diesen naiven Ausdruck zu gebrauchen), behindert keine Hypothesenbildung und erfordert keinen relevanten zusätzlichen Aufwand. Der Entschluss des Glaubenden, W aufgrund des spirituellen Mehrwerts beizubehalten, sollte also respektiert werden.
– Noch einmal (C): Trotzdem kann die Frage bleiben, ob damit alles gesagt ist: Irgendwie muss der Glaubende seinen M ja mit Inhalt füllen und insbesondere für jedes Geschehnis g den Satz: “W bewirkt g”. Wie auch immer diese Implementierung aussieht, muss sie nicht notwendigerweise die Rationalität und unser Wissen über die Welt verletzen? Immerhin arbeitet die Naturwissenschaft an einer umfassenden kausalen Erklärung der Welt und damit auch für jedes g. Und damit wird sie in Widerspruch geraten zu jeder auch noch so spirituellen Auffassung, nach der W dieses g bewirkt.
– Antwort: Der M liefert dem Gläubigen ein Modell für seine menschliche Lebenswelt. Diese besteht aus einem unübersehbaren Ineinander von von größtenteils stochastischen und chaotischen (schwach kausalen) Systemen. Die Naturwissenschaft hat für diese Gesamtheit kein Modell anzubieten und strebt dies, nach ihrem neueren Selbstverständnis, auch gar nicht an.
– Da also dieses alternative Modell bereits grundsätzlich keinen Widerspruch zur Naturwissenschaft enthält, bleibt nur noch ein möglicher Vorwurf der Irrationalität oder Wissenschaftsfeindlichkeit an den Gläubigen: Wenn er ein bestimmtes Ereignis g wahlweise unter dem Blickwinkel der Naturwissenschaften oder des M betrachtet, so ist bereits die bloße Existenz dieses zweiten Blickwinkels vernunftwidrig. Wie schwach ein solches Argument ist, zeigt ein Blick auf die Anwendung verschiedener Modelle in der Wissenschaft, z.B. mit denen der Atomphysik: Die Elektronenhülle wird einmal als Schale gesehen (Orbitalmodell) und einmal als idealisiertes Gas (Thomas-Fermi). Jedes Modell erklärt bestimmte Verhaltensweisen der Elektronen gut und andere schlechter oder gar nicht. Ebenso wird bei der systematischen Forschung der Blickwinkel des M nutzlos sein, während eben diese Systematik kein brauchbares Bild meiner Gesamtexistenz liefert.
speziell @naseweis: Dies ist die Widerlegung des Vorwurfs, der monotheistisch Glaubende müsse notwendigerweise irrational oder wissenschaftsfeindlich sein, nicht mehr und nicht weniger. Es ist kein Argument für die Existenz Gottes.