Apr 302013
 

Basisdiskurs Religion XXXVII>>>mehr

Da ich in diesen Tagen einen neuen Leser für diesen Blog dazu gewonnen habe, bin ich natürlich hoch motiviert, hier endlich mal wieder mit einen neuen Beitrag zu bringen. Nach der mühseligen Fußwanderung durch das Dickicht physikalischer Grundbegriffe bin ich jetzt am Fuße eines lichten Hügels angekommen, an dessen Spitze endlich der Gottesbegriff uns wartet.

Wissenschaft

Die englischsprachige Definition von Wissenschaft (science) lautet auf Wikipedia folgendermaßen (Übersetzung von mir): „Wissenschaft … ist eine systematische Unternehmung, die Wissen aufbaut und organisiert in Form von überprüfbaren Erklärungen und Voraussagen über das Universum. In einer älteren und nahe verwandten Bedeutung bezeichnet „Wissenschaft“ auch den Korpus von Wissen selbst, eines Wissens, das rational erklärt und verlässlich angewendet werden kann.“

In dieser Gegenüberstellung von „Unternehmung“ (neu) und „Korpus von Wissen“ (alt) spiegelt sich ein (nicht mehr so sehr) neues Selbstverständnis der Wissenschaft nach dem Untergang des alten Welt- und Wissenschaftsbildes à la Laplace, gegen den sich bis zuletzt Einstein stemmte mit seinem Ausruf: „Gott würfelt nicht!“

Die große Ausgrabung

Nach dieser alten Vorstellung ist die Wissenschaft eine Art archäologisches Unter­nehmen: Vorgegeben ist das Gelände unserer alltäglichen Beobachtung, auf dem sich mehr oder weniger klar die Umrisse der zugrunde liegenden Naturgesetze abzeichnen. Es gilt nun, durch die geschickte Anordnung von Experimenten den Schutt der störenden Umwelteinflüsse beiseite zu räumen, um zuletzt das klare Bild dieser Gesetze frei zu legen.

Bei dieser Arbeit war natürlich die Vorstellung eines nach Belieben schaltenden und waltenden Gottes hinderlich, wenn nicht fatal. Der springende Punkt ist dabei der, dass sowohl die Anhänger als auch die Gegner eines solchen Gottes das gleiche Weltbild teilten. Dementsprechend glaubten auch die Frommen daran, dass das Gelände unseres Lebens durch die Naturgesetze darunter bestimmt wird und konnten sich ein Eingreifen Gottes (z.B. in Form eines Wunders) nur als Durchbrechung dieser Gesetze vorstellen. Diese Idee mussten die Naturwissenschaftler natürlich strikt zurückweisen: Wenn bei einem bestimmten Stück Wirklichkeit nie klar war, ob es jetzt Ausdruck der Naturgesetze oder vielleicht doch des göttlichen Eigensinns war, konnte man das ganze Unternehmen gleich bleiben lassen.

Das Bergwerk

Wie bereits erwähnt, hat das hochgemute Ausgrabungsprojekt mit der Quantenlogik den entscheidenden Knacks bekommen. Das moderne Bild der Naturwissenschaften ist eher das eines Bergwerkbetriebs: Die einzelnen Disziplinen folgen laufend einzelnen Aspekten der Realität, die sich für eine systematische Erschließung eignen, wie Stollen in einem Bergwerk, die reichen Gesteinsadern folgen: Chemie, Biologie, Metereologie usw..

Natürlich gibt es immer wieder Querverbindungen zwischen den verschiedenen Ergebnissen, wie z.B. die Rückführung des chemischen Periodensystems auf die Atomphysik. Und immer noch gibt es die Vorstellung, dass sich „eigentlich“ alle Phänomene im Sinne einer starken Kausalität auf die Teilchenphysik zurück­führen lassen. Nur ist dies eine rein spekulative Aussage, die keine Entsprechung in der wissen­schaftlichen Praxis hat und auch nie haben wird und insofern garantiert keine wissen­schaftliche Aussage.

Das unwissenschaftliche Leben

Lässt sich nun in diesem dichten Geflecht wissenschaftlicher Stollen der Glauben von Deuterojesaias und Hiob unterbringen, der Glaube an einen einzigen, alles bewirkenden Gott?

Nein und ja.

Nein, weil diese Stollen, wie gesagt, systematisch erschließbaren Phänomenen folgen. Und das Phänomen, das der monotheistische Glaube behandelt, entzieht sich einer solchen Systematik. Es ist das Leben des einzelnen Menschen. Jeder von uns ist in jedem Augenblick in eine Unzahl verschiedener Systeme eingebunden, stark kausalen, chaotischen und stochastischen. Einzelne Aspekte daraus lassen sich methodisch erfassen, die Gesamtheit nicht.

Und ja, weil eben dieser grundsätzlich unsystematische Charakter der Grund dafür ist, dass dieses umfassende Phänomen des menschlichen Lebens grundsätzlich kein Gegen­stand einer wissenschaftlichen Disziplin sein kann. Das heißt, dass so etwas wie „Gott“ auch keiner wissenschaftlichen Erkenntnis widersprechen kann, so lange ich ihn gezielt auf diesen Bereich beschränke, wo er hingehört und falsche Vorstellungen wie „Durchbrechen der Naturgesetze“ vermeide. (Wie das im Einzelfall aussieht, zum Beispiel, wenn es um Wunder geht, wird sich zeigen – versäumen Sie nicht die nächsten Posts!)

Aequum

Da das menschliche Leben in seiner Gesamtheit nicht Gegenstand einer wissen­schaftlichen Disziplin sein kann, kann auch die monotheistische „Theorie“ keine wissen­schaftliche sein, wissenschaftlich im eingangs zitierten Sinn von experimentell testbar und stark für Voraussagen. Ziel meiner Darstellung muss das aequum sein, also der Nachweis, dass diese Theorie keine größeren Nachteile mit sich bringt, wie es die alte Idee „Durchbrechung der Naturgesetze“ tat.

Gott als Theorie

Die umfassende Allmacht eines einzigen Gottes lässt sich sehr einfach in dem einen Satz formulieren:

  • Es gibt genau ein Wesen, das alles, was geschieht, bewirkt und alles, was logisch möglich ist, bewirken kann.

Hinzu kommt eine einfache Definition:

  • Gott ist dieses eine Wesen.

Dieser Satz hört sich zwar nach einer extremen Aussage an, tatsächlich aber folgt daraus, für sich genommen, nichts als eine banale Umformulierung der Beschreibung eines beliebigen Geschehens. Beispielsweise wird aus „es regnet“: „Gott bewirkt das es regnet“ und, in die andere Richtung, aus „Gott bewirkt, dass die Sonne scheint“ der Satz „die Sonne scheint“. Wichtig ist, dass die beiden Varianten jeweils gleich bedeutend sind. Solange ich bei dem Grundsatz mitsamt der Definition bleibe, wird die Formulierung mit „Gott“ fügt dem beschriebenen Tatbestand nichts hinzufügen und die Eliminierung von „Gott“ dem Tatbestand nichts nehmen.

Natürlich hat die Harmlosigkeit dieser Theorie ihren Preis: Wissenschaftlich gesehen, ist sie absolut banal. Daraus ergeben sich einige Fragen, die ich im nächsten Post behandeln werde.

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Wunder V: Aequum et salutare„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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  3 Responses to “Wunder IV: Der Stollen Gottes im Bergwerk der Wissenschaft”

  1. […] möchte nun die sicherlich merkwürdige wissenschaftliche Formulierung des Monotheismus aus meinem letzten Post mit diesen vier Dimensionen […]

  2. Wieso kann Gott nur das bewirken, was logisch möglich ist? Ohne jtzt näher darüber nachgedacht zu haben, scheint mir das eine extreme Einschränkung Gottes zu bezeichnen, der zuzustimmen ich erst mal zurückschrecke.

    • Dies war eine der großen Streitfragen des Mittelalters im sogenannten Universalienstreit: Die „Realisten“ bestanden darauf, dass Wörter wie „Hund“ etwas Reales bezeichnen, die „Nominalisten“ meinten, dass ein Wort nur ein flatus voci sei, nur ein rein akustisches Phänomen ohne eigentliche Bedeutung. Die Diskussion wurde auch mit Hilfe von Scheiterhaufen geführt.
      Also: Kann Gott bewirken, dass 2*2 gleich 5 ist? Die Realisten hätten gesagt, dass das nicht geht, weil es die Entitäten hinter diesen Zahlen nicht zulassen, die Nominalisten hätten gesagt, dass „zwei“ und „fünf“ keine eigentliche Bedeutung haben und dass Gott deshalb ohne Probleme 2*2=5 bewirken kann.
      Ich meine, dass wir seit dem späten Wittgenstein weiter sind: Einerseits gibt es diese Zweiheit und Fünfheit nicht „wirklich“, andererseits sind aber „zwei“ und „fünf“ kein bloßer flatus voci, sondern in ihrer Bedeutung durch die Regeln der Sprache bestimmt (dem Sprachspiel, wie Wittgenstein sagte). Das heißt, dass „2*2=5“ einfach den Regeln für den Gebrauch dieser Ausdrücke widerspricht. Wenn Gott also „2*2=5“ bestimmt, dann ändert er damit nur die Bedeutung dieser Ziffern, sonst nichts.

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