Basisdiskurs Religion XXXV>>>mehr
Diese Serie „Wunder“ in meinem Basisdiskurs Religion hat es in sich. Mittlerweile möchte ich darin die genaue Positionierung des christlichen Glaubens innerhalb der Wissenschaften allgemein und der Naturwissenschaften im Besondereren ein für allemal per saecula saeculorum festlegen.
Ich habe inzwischen gemerkt, dass ich in dieses bescheidene Ziel doch etwas mehr investieren muss, als ich es mir vorgenommen hatte. Zum Beispiel ist es jetzt notwendig, dieses ganze Unternehmen vom christlichen Glauben aus zu beleuchten, eine Selbstaussage des Glaubens zu finden, ob er eine solche Positionierung überhaupt will oder braucht und wie sie aussehen könnte. Und daraus ist mir unter der Hand fast so etwas wie eine kleine hübsche Predigt geworden (Ich betone: Fast. Mir als katholischem Laien ist das Predigen gemäß can. 767 A1 kirchenrechtlich natürlich untersagt).
Da dieser Text für das Thema „Wunder“ zwar unerlässlich ist, aber doch ziemlich weit davon abführt, habe ich ihn erst einmal aus der Numerierung (Wunder X) heraus genommen.
Dignum, justum, aequum, salutare
Diese Formel, diese vier Stichworte, stammen aus der Einleitung zur Präfation, der Eröffnung des sogeannten Hochgebets der alten Messe. Ich möchte sie als Überschriften benutzen, um die vier entscheidenden Dimensionen eines Glaubens zu kennzeichnen, nicht nur des christlichen, sondern jedes Glaubens, jeder ausgeübten Religion überhaupt.
Der gesamte Text beginnt mit „Vere dignum et justum est, aequum et salutare, nos tibi semper et ubique gratias agere„, übersetzt als „es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, Dir immer und überall Dank zu sagen“. Wenn ich hier das Danksagen als Kürzel für die gesamte Tätigkeit „Religion“ nehme, stecken hinter diesen vier Adjektiven genau die entscheidenden Aspekte dieser Tätigkeit:
- dignum (würdig): Der fromme Schauder, die mystische Schau, der spirituelle Flash oder wie auch immer man dieses Ergriffenwerden nennen will, das die eigentliche Voraussetzung für das ganze Unternehmen ist.
- iustum (recht): Das Fragen nach der inneren Logik des Unternehmens: Was will es, was ist nach seiner eigenen Aussage sein Wesen? Und was folgt daraus für mich?
- aequum (s. u.): Das Abwägen dieser religiösen Option im Rahmen meines gesamten Lebens: Wie passt es hinein? Und passt es überhaupt? Und was wäre der Preis? Verlangt es mir zum Beispiel das sacrificium intellectus ab, die Unterdrückung eigenen Denkens? Und wäre es das wert? (Natürlich nicht. Niemals. der Verf.)
- salutare (heilsam): Das Aufspüren seines existenziellen Wertes für mich: Wie und wo ist es für mich gut, heilt es mich?
Das große Stirnrunzeln
Nun wäre diese short list für viele Christen weniger problematisch, wenn man die letzten zwei oder drei Punkte einfach streichen würde. Zum Stichwort salutare, also heilsam, hat z.B. Meister Eckard einiges zu sagen:
„Manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und wegen deines eigenen Nutzens. So halten es alle jene Leute, die Gott äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren Eigennutz.“
Und dann gar das aequum! Karl Barth z.B. würde einen Anfall bekommen, wenn hier der Mensch mit seinen fettigen Fingern am Ganz Anderen Gottes herumtatscht, um es auf die Wagschale seines verkrüppelten irdischen Verstandes zu quetschen. Nun, solche Arbeit an der Wagschale hat zumindest zur Folge, dass man ein wenig vorsichtiger wird mit vollmundigen Erklärungen zu jedem beliebigen Detail des Glaubens. Verfechter einer absoluten und dem menschlichen Geist nicht zugänglichen Religion zeichnen sich nämlich im Allgemeinen durch die Produktion ganz besonders umfangreicher Werke über eben jenen unzugänglichen Inhalt aus.
Aber zurück zu diesen vier Dimensionen des Glaubens:
dignum
Gott ist der Anbetung würdig. Das ist ein Adjektiv, das man mit Worten auskleiden kann, Worten wie unendlich, erhaben, transzendent, mysterium tremendum et faszinosum und so weiter. Letztlich ist aber damit gleichzeitig viel zu wenig und viel zu viel gesagt. Da mir hier aber nur Worte zur Verfügung stehen, nenne ich diese Dimension eines Glaubens einfach seinen nicht völlig kommunizierbaren Kern. Und damit genug.
iustum
Dies und das nachfolgende aequum sind Ausdrücke, die der juristischen Praxis Altroms entnommen sind. Iustum bedeutet, dem geschriebenen Recht entsprechend. Die Bezeichung iustus für einen Menschen oder eine Tat entspricht hier durchaus dem Begriff der Gerechtigkeit im Alten Testament als Einhalten des Vertrags zwischen Gott und Israel bzw. Gott und dem einzelnen Juden. Wenn ich also eine religiöse Praxis als iustus bezeichne, dann meine ich, dass sie sich aus den Regeln, dem dokumentierten Inhalt dieser Religion ableiten lässt, z.B. aus der Bibel.
aequum
Im altrömischen Recht steht dahinter die Vorstellung einer objektiven Gerechtigkeit, die herangezogen werden muss, wenn das iustum in einem bestimmten Fall offensichtlich dem allgemeinen Rechtsempfinden oder den Intentionen des Gesetzgebers widerspricht. Aequum heißt im Wortsinne „gleich“, es entspringt dem Bild einer Waage, des objektiven Messens und Beurteilens von Tatbeständen. Und das größere Gewicht eines Arguments oder Tatbestandes wird dabei die Oberhand behalten.
Das dignum und das iustum bleiben beide im Referenzrahmen der Religion. Das aequum geht darüber hinaus. Es sucht außerhalb davon Gründe und Tatsachen, um sie in Beziehung zu setzen zum iustum und daraus kann dann auch ein negatives Ergebnis entstehen: Passt nicht, kommt nur Unsinn dabei heraus, steht im Widerspruch zu offensichtlichen Tatsachen usw. Die Frage z.B., wie die Brotbitte im Vaterunser angesichts von massenhaften Hungertoden zu verstehen ist, ist eine Frage des aequum.
salutare
Dies ist die Frage nach dem Heil, im Sinne von Eckard nach der Milch und dem Butter des Glaubens. Dient er, im Ganzen und in den Einzelheiten, meiner Heilung? Macht er mich zu einem besseren, glücklicheren Menschen? Dies ist eine Kategorie, die viel mit Intuition und Erfahrung zu tun hat, eine Kategorie des Nachspürens, der Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Leben und, wie ich von der schwindelnden Höhe meiner 61 Jahre sagen würde, auch eine Kategorie der Erfahrung, was mir guttut und was nicht und insbesondere dessen, was die Symptome für das Eine oder das Andere sind.
Auch diese Kategorie geht, wie die des aequum über den Bereich des Religiösen hinaus. Das salutare ist zwar subjektiv, aber zumindest teilweise unabhängig von den Maßstäben des Glaubens. Ob mir etwas guttut oder nicht, kann ich vom Gebet ebenso wie von einer Therapie fragen und die Kriterien, nach denen ich dabei urteile, werden zwar nicht gleich sein, sie sollten sich aber überschneiden.
Blutaustausch
Es scheint mir, als wäre es heute die häufigste Strategie, sich auf das dignum und das iustum als zwei isolierten Inseln zurückzuziehen. Gott wird mit Beschreibungen wie „Urgrund des Seins“ belegt und als „nichtverfügbar“ von allem anderem abgekapselt. Das iustum wird dogmatisch verfügt oder zur Nichtgreifbarkeit verflüchtigt. Auf Dauer kann der Glaube aber nicht ohne das aequum und das salutare überleben und vor allem nicht ohne den lebendigen Blutaustausch zwischen seinen vier Dimensionen, je stärker, desto besser.
Blutaustausch, das bedeutet, die Verbindung zwischen dem dignum und dem iustum zum Leben zu erwecken (die Aufforderung in der Bergpredigt: Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist). Es bedeutet, das salutare zum Sprechen zu bringen, um dignum und iustum aus einer abstrakten Übung zu einem Bestandteil des täglichen Lebens zu machen. Und es bedeutet, das aequum wieder zu entdecken.
Der Quell der Wirklichkeit
Es handelt sich dabei nämlich keineswegs um Apologetik (wie kann man den Glauben gegen den Anspruch der Naturwissenschaften verteidigen). Vielmehr sollte es das Ziel sein, die äußere Welt und damit auch die Naturwissenschaften als ihre stringenteste Beschreibung, als Quell der Erkenntnis anzugehen. Wo passt der Glaube hier hinein? Und eine belastbare Antwort wird das ganze System, wird alle vier Dimensionen vitalisieren.
Voraussetzung ist natürlich das Vertrauen, dass ein solches Unternehmen gelingen kann. Und dieses Vertrauen ist schwer erschüttert worden, seitdem sich der Glaube im Verkehr mit den Naturwissenschaften regelmäßig schwere Beulen zugezogen hat. Aber das liegt ja vielleicht auch an uns. Das Selbstverständnis der Naturwissenschaften hat sich vor allem seit dem epochalen Werk von Thomas S. Kuhn 1962 stark gewandelt. Und nach über 50 Jahren könnte man durchaus einmal nachsehen, was diese neuen Erkenntnisse für das aequum bedeuten.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Wunder III: Würfel und Wetter„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.
Ich wollte nur mitteilen, dass ich den Blog weier verfolge. Ich weiß nicht, ob der Spannungsbogen sozusagen aufgelöst wird, oder ob es so ausgeht wie bei Gregory Bateson, dessen Studenten sich beschwerten „Bateson weiß was, aber er sagt es uns nicht“, was übrigens auch schon mir vorgeworfen wurde. Vielleicht die Krux von Erkenntnistheoretikern?
Wenn mit Spannungsbogen die „Wunder“-Folge gemeint ist, die geht weiter. Ich muss ja hier zwei Dinge zur Deckung bringen: Das Wunder (ein Begriff des Glaubens) und die Naturwissenschaften. Und dafür musste ich jetzt dazwischen einmal die Seite des Glaubens analysieren. Beim nächsten Post wird klar werden, warum. Nicht versäumen! 😉
Ich kann verstehen, wieso es problematisch wird, wenn man Relgiion nur auf dignum und iustum verkürzt. Das wird dann hölzern und formalistisch, ja fundamentalistisch. Allerdings frage ich mich auch, wie das aequum über das dignum entscheiden kann. Bzw wo man überhaupt anfängt, bei nochmaligem Nachdenken scheint es mir nämlch so zu sein, daß alle vier auf einmal vorgefunden, aber nicht voneinander abgeleitet werden…
Ich stimme zu, dass wohl in jedem Fall alle vier Dimensionen auf irgend eine Art vertreten sind. Manchmal überwiegt aber eine oder eine Gruppe davon so stark, dass die anderen kaum mehr spürbar sind. Es kann zum Beispiel eine rigide Buchstabengläubigkeit geben, die letztlich nur aus dem iustum besteht. Und ich behaupte, dass das aequum bereits seit längerer Zeit vernachlässigt wird, zum Teil auch systematisch (Gott ist grundsätzlich dem menschlichen Geist unzugänglich, nicht verfügbar und was dergleichen Ausreden mehr sind).
Deshalb kann das aequum auch nicht über das dignum entscheiden, weil man offensichtlich auch ohne auskommt. Ich bin mir allerdings sicher, dass dies dem Glauben eine wertvolle Dimension raubt und dass dieses Defizit auch nicht ohne ernste Folgen bleibt.
Nun, daß Gott nicht voll zugänglich ist für den menschlichen Geist, dem würde ich ohne weiteres zustimmen. Daß es gar nicht ginge, geht mir etwas zu weit daß es kein Problem sei aber auch.
Ich hatte bisher den Eindruck, daß es vor allem Kritik an zu viel aequum gibt, daß die Kirche nur noch zeitgeistverfangen wäre und quasi iustum oder dignum aufgebe. Salutare und aequum sozusagen, also Wohlfühl-Kuschelchristentum.
Auf den ersten Blick jedenfalls scheinen mir alle diese 4 Aspekte vorzukommen im Glauben und ja, es sollte nicht dahin gehen, daß eins davon gegenüber den anderen übergewichtet wird. Ich verstand es zuerst so, als ob sich diese Aspekte voneinander ableiten, aber bei nochmaligem Nachdenken scheint es eher so zu sein, daß sie unabhängig voneinander von Anfang an da sind.
Hallo Eric, es gehört zwar nicht hier hin aber zu dem was du bei S.B. über Buddha geschrieben hast hätte ich noch ne Frage „man kann die verblüffenden Parallelen zwischen seiner Analyse und den neuen Erkenntnissen der Hirnforschung aufzeigen“
Erzähl mal was darüber.
Hallo naseweis,
freue mich sehr über Dein Auftauchen hier! Sei mir nicht böse, wenn ich Dich zu Deiner Frage zu dem Post verlinke, in dem ich mich ausführlich mit der Frage befasst habe:
Weltreligionen: Buddha.