Feb 212013
 

Basisdiskurs Religion XXXIII>>>mehr

In der langen Zeit, in der ich hier keine Beiträge mehr geschrieben habe, hat natürlich auch mein Basisdiskurs Religion sehr gelitten. Dort bin ich ja mittlerweile bei den Evangelien angelangt. Vielleicht haben einige meiner Leser gehofft, damit endlich den wissenschaftstheoretischen Ausführungen entflohen zu sein, die vor allem in meiner Diskussion der Allmacht Gottes breiten Raum eingenommen haben. Wenn dem so wäre, würden sie jetzt grausam enttäuscht; diese Themen kommen mit Wucht zurück, wenn ich nun die Frage der Wunder Jesu behandle.

Steh auf und nimm dein Bett

Zunächst sollte man sich hüten, alle Wunder, von denen die Evangelien berichten, in einen Topf zu werfen und sich dazu zu verpflichten, sie entweder alle als komplett erfunden oder alle als tatsächliche Ereignisse anzusehen, zumindest im Kern. Wo jemand die Grenze zieht, sollte jedem selbst überlassen bleiben und ist auch nicht besonders wichtig. Ich persönlich halte z.B. die Erzählungen vom Wandeln auf dem Wasser für märchenhaft, diejenigen von den Wunderheilungen aber zumindest teilweise für authentisch. Krankheit und Gesundheit sind komplexe Zustände und es gibt zu viele Berichte aus den verschiedensten Zusammenhängen, um zu leugnen, dass es hier dramatische Umschläge geben kann, die von bestimmten Personen, Orten oder Ritualen ausgelöst werden.

Viel wichtiger als der Streit, welche Wunder denn nun gelogen wären und welche nicht, ist die Frage, welche Rolle sie innerhalb der Botschaft Jesu vom Gottesreich einnehmen. Eine gute Antwort gibt hier Markus in seiner Erzählung vom Gichtbrüchigen. Jesus sagt ihm zuerst: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Als sich nun einige darüber aufregen, fragt er sie, was leichter ist: Jemandem die Sünden zu vergeben oder ihn zu heilen. Gemeint war natürlich, dass das erste unvergleichlich schwerer ist als das zweite. Um aber seine Macht zur Vergebung zu demonstrieren, sagt er zum Kranken: „Steh auf, nimm dein Bett und gehe heim“. Und als der dies tatsächlich tut, ist die Reaktion der Leute: „Wir haben so etwas noch nie gesehen.“

Loch im Fuß

In diesem Text von Markus ist alles enthalten, was nötig ist, um die Wunder richtig zu verstehen. Leider schaut wieder einmal niemand so richtig hin. Vielmehr hat sich die Theologie in Sachen Wunder nicht nur selbst in den Fuß geschossen, sondern hat sich dafür auch noch mit hohem Aufwand ein kompliziertes Präzisionsgewehr samt Zielfernrohr zulegt. Sie hat sich darauf geeinigt, dass Wunde als Eingreifen Gottes in die Naturgesetze anzusehen ist, bei dem sie zeitweise außer Kraft gesetzt werden (das Loch im Fuß) und hinter dieser Erklärung steht nicht nur die ganze Unterscheidung zwischen natürlich und übernatürlich, sondern auch letztlich die Vorstellung eines vernünftigen Schöpfergottes (das aufwendige Präzisionsgewehr).

Das geordnete Universum

Diese Idee von einem vernünftigen Schöpfer wurde z.B. vom gerade noch amtierenden Papst Benedikt in seiner berühmten Regensburger Rede ausgeführt. Hier erklärt er den anwesenden Naturwissenschaftlern, dass ihr Tun auf der Voraussetzung beruhe, dass die Materie rational aufgebaut ist, ansonsten könnten sie sie nicht rational erfassen. Hinter diesem vernunftgemäß organisierten Universum steckt selbstredende der vernünftige Schöpfergott, der von ihm so viel beschworene Logos.

Bei einer solchen Weltsicht wird dann aber das Wunder sofort zu einem Problem. Wenn sich der vernünftige Gott gerade im rationalen Aufbau der Welt, also den Naturgesetzen wiederspiegelt, dann passt die beliebige Durchlöcherung dieser Gesetze von seiten eines jüdischen Wanderpredigers nicht so recht dazu. Natürlich kann man diesen Vorgang erklären, aber das ist es ja gerade: Man muss diesem Gott dann in einem zweiten Schritt noch ganz andere Eigenschaften hinzufügen, die nicht zum Logos passen. Und es erstaunt dann nicht, dass sich viele weigern, diesen Schritt mitzumachen und dabei gleich die ganze Vorstellung von Gott überhaupt über Bord zu werfen.

Diese Gegenposition wird bündig von Dawkins formuliert, wenn er sagt: „The universe is a orderly place which we can understand and which is devoid of capricious, wanton interventions.“ Also: In unserem geordneten, rationell verstehbaren Universum ist kein Platz für willkürliche Eingriffe von außen, sprich durch Gott.

Sich wundern

Angesichts dieser Problemlage ist es geraten, von vorne zu beginnen und zur ursprünglichen Bedeutung von „Wunder“ zurückzukehren. Sie liegt auf der Hand: Ein Wunder ist etwas, über das man sich wundert, das ist nicht nur im Deutschen so: Lateinisch miraculum / mirari, Griechisch thauma / thaumasein. Dieser Bedeutungskern zeigt sich auch in der angeführten Erzählung des Markus, wenn es zum Schluss heißt: „Wir haben so etwas noch nie gesehen.“ Theologisch „korrekt“ müsste es ja heißen: „Das durchbricht die Naturgesetze,“ aber es ist evident, dass den Zuschauern die Naturgesetze in diesem Moment völlig egal sind, Physik, Chemie und ähnliche haben dort einfach nichts verloren.

Dabei könnte ich es einfach belassen. Wunder sind zum sich wundern da und fertig. Allerdings kann ich einige Einwände nicht einfach ignorieren. Erstens ist das „sich wundern“ eine Allerweltsache, die auch in ziemlich banalen Zusammenhängen vorkommt. Ferner: Sind Wunder ein nur subjektives Phänomen (dessen, der sich wundert)? Kann also ein Ereignis für eine Person ein Wunder sein und für eine andere keines, weil es für die zweite etwas Gewohntes ist, so wie z.B. ein guter magischer Trick? Verliert es nicht seinen Status als Wunder, wenn auch nur eine Person eine alltägliche oder wissenschaftliche Erklärung dafür hat?

Es scheint also, als sei es trotz allem notwendig, das Verhältnis zwischen Wundern und den Naturwissenschaften zu klären, wenn wir die Naturwissenschaften als die Summe des nachprüfbaren menschlichen Wissens über die Ereignisse dieser Welt ansehen.

Aristoteles

Wenn die erste Formulierung von Wundern als Durchbrechung der Naturgesetze über­haupt eine systematische Vorstellung von diesen Naturgesetzen hatte, dann war das in den ersten Jahrhunderten und durch das ganze Mittelalter hindurch vor allem die der Physik des Aristoteles. Diese Lehre wies einige wichtige Unterschiede zu unserer heutigen Vorstellung von Physik auf.

Aristoteles unterschied zwischen translunarer und sublunarer Physik, also Vorgängen jenseits der Umlaufbahn des Mondes und denen darunter. Translunar waren alle Vorgänge ewig und regelmäßig, wie vor allem die Bahnen der Planeten. Sublunar war alles in stetigem Wandel begriffen. Aus dieser Einteilung heraus wurden z.B. Kometen als unregelmäßige Vorgänge begriffen als sublunar: Nur unterhalb des Mondes war Platz für solch unordentliche Phänomene. Insofern konnten für diese Sphäre auch keine so strengen Gesetze formuliert werden wie für die translunare.

So gut wie alle der überlieferten Wunder gehörten also der sublunaren Welt an: Heilungen, auf dem Wasser laufen, Wasser in Wein verwandeln usw. Natürlich wurden sie von den Theologen als übernatürlich verstanden, als Eingriff eines höheren Wesens in den normalen Geschäftsgang der Welt. Nur waren diese Verstöße gegen die Normalität weit weniger gravierend als später zu Zeiten der Newtonschen Physik. Da ohnehin die Naturgesetze nicht die Stringenz des Translunaren hatten, da ohnehin alles immer im Wandel war, war der Übergang von krank zu gesund, von Wasser zu Wein und von flüssig zu begehbar nichts, was mit den Gesetzen der sublunaren Sphäre grundsätzlich unvereinbar gewesen wäre.
(Fortsetzung folgt)

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Wunder II: Das große Uhrwerk„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

Zur Übersicht

 Hinterlasse eine Antwort

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

(required)

(required)