Ich habe nun sehr lange Zeit auf meinem Blog geschwiegen. Ich habe das aus zwei kleinen und aus einem großen Grund getan.
Kleiner Grund 1
Zur Zeit bin ich schriftstellerisch mit meinem neuen Buch stark ausgelastet; vor allem ist es stilistisch so völlig anders als dieser Blog, dass es mir schwer fällt, hin und her zu schalten.
Kleiner Grund 2
Ein mir nahe stehender Mensch hat mich stirnrunzelnd darauf hingewiesen, dass meine ständigen Rundumschläge (gegen Feuilletonisten, Theologen und den Rest der Welt) auf Dauer wenig zielführend sind (und außerdem habe ich Feuilleton chronisch falsch geschrieben). Das hat wohl irgendwie einen Nerv bei mir getroffen, eine Ahnung, dass ich hier in einer Sackgasse stecke.
Großer Grund
Ein mir sehr nahe stehender und zudem sehr kluger Mensch hat mir einen Stupser verpasst, der mein zunehmend bröckelndes Weltbild oder vielmehr Religionsbild endgültig zum Einsturz brachte. Er meinte, ohne jeden Verve, mit reiner Sachlichkeit, dass das Christentum zumindest heutzutage, zumindest in den Generationen nach meiner eigenen, erledigt sei, genauer gesagt, dass dort der Glaube nicht mehr (wieder) hergestellt werden könne. Dies wäre mir eher als eine Meinung unter vielen erschienen, wenn diese Ansicht nicht so genau auf meine eigenen Erfahrungen passen würde.
„Vermeidbar?“
Der Untertitel dieses Blogs lautet „Der vermeidbare Tod des Christentums“. Das wird auch so bleiben, nur nimmt das „vermeidbar“ eine völlig andere Färbung an.
Dieser Tod, dieses ständige, lautlose Verdunsten aller Inhalte und Überzeugungskraft in der zeitgenössischen Erscheinung dieser uralten Religion schien mir im Grunde genommen nichts als eine merkwürdige Marotte meiner Zeitgenossen zu sein, die man mit genügend gutem Zureden doch sicher wieder abstellen könnte. Die Äußerungen und Gedanken auf diesem Gebiet waren immer wieder von einem Grad an Schwachsinn, der nur mit äußerster Anstrengung erreicht und aufrecht erhalten werden konnte, oder so schien es mir. Sobald ich diesen Schwachsinn entlarvt hätte, sobald ich die Leute mit der Nase darauf gestoßen hätte, würden sie sozusagen mit einem erleichterten Aufatmen auch hier wieder zu einer gewissen alltäglichen Rationalität zurückkehren.
Und, so hoffte ich (eigentlich war ich davon überzeugt), sobald sie die Hindernisse beiseite geschoben hätten, die ihnen einen klaren Blick auf das Christentum verstellen, würde diese Religion wieder von selbst Fahrt aufnehmen. Schließlich war sie hierzulande seit gut tausend Jahren das wichtigste Gefäß für die Spiritualität der Menschen (wie auch immer man diesen schwammigen Begriff der Spiritualität fassen will). Schließlich war sie vor nur 50 Jahren im Bewusstsein Europas allgemein präsent, man lese nur einmal die Begeisterung nach, mit der das Konzil rezipiert wurde.
Wunderbar, Meister! Publizieren? Ich bitte Sie!
Was mich schon lange hätte stutzig manchen müssen, war der fulminante Mißerfolg, den ich mit meinen wiederholten Anläufen erleiden musste, meine Gedanken in Buchform auf den Markt zu bringen. Ich habe das bisher in drei Wellen versucht, die erste eher logisch und wissenschaftstheoretisch orientiert, die zweite neuropsychologisch und die dritte als Entwicklungsroman. Die Reaktionen war jedes mal ähnlich.
Ein Lektor warf mich sogar am Samstag Morgen telefonisch aus dem Bett: „Unglaublich! Noch nie so was gelesen! Was sind Sie für ein Mensch! Wie? Publizieren? In unserem Verlag? Höhöhö, sie laufen wohl nicht ganz rund. Schauen Sie sich doch an, was läuft, da ist Ihr Meisterwerk viel zu hoch angesiedelt.“ Gut, ich gebe zu, das mit dem nicht ganz rund laufen hat er anders formuliert, aber sinngemäß war dies immer die selbe Wand, gegen die ich gelaufen bin, jeweils mit anerkennenden Lobsprüchen gepolstert, aber im Kern steinhart.
Ich bin dann jedes Mal gemäß meinem welthistorischen Auftrag, das Christentum zu retten, wieder zurück ans Zeichenbrett und habe mir den nächsten Weg überlegt, seine Grundlagen in den Geist meiner Zeitgenossen zu transplantieren. Nachdem ich all die Zeit bei all meinen Bauchlandungen den Fehler bei mir gesucht habe (den richtigen Dreh noch nicht gefunden), ist es vielleicht an der Zeit für die einfache Feststellung: Geht halt nicht.
Drinnen und Draußen
Die geistige Lage sieht so aus: Es gibt einen schrumpfenden Kern von Gläubigen, bei denen die überkommene Sozialisation noch gegriffen hat. Diese bewegen sich in einer geistigen Sonderwelt, die nach außen vor allem an einem sehr speziellen Vokabular sichtbar wird. Kennzeichnungen von Gott als dem „Urgrund des Seins“ rufen innerhalb dieses Kerns bestimmte reproduzierbare Emotionen ab, außerhalb haben sie vielleicht den Status dieser von innen erleuchteten Steinsalzkristalle, die man eine Zeitlang überall gesehen hat: „Sieht hübsch aus“ über „ziemlich überflüssig“ bis „völlig daneben“.
Der Kern differenziert sich in verschiedene Subkulturen. Bei einigen wird der religiöse Inhalt bis zur Selbstaufgabe banalisiert, andere bauen nach modernen Techniken von Sekten bei ihren Anhängern emotionale Abhängigkeiten auf und wieder andere finden Geschmack an einer hohlen Retro-Religiosität. Letztere Variante ist im Moment in der katholischen Kirche sehr beliebt.
Und außerhalb des Kerns? Da ist nichts. Es wird zwar immer wieder ein allgemeiner Hunger an Spiritualität festgestellt, aber die kurzlebigen Dschungelpflanzen, die auf diesem Markt hochschießen und wieder verfaulen, zeigen zumindest an, dass es bei der spirituellen Suche nicht wirklich anstrengend werden darf.
Ach ja, und außerhalb gibt es zur Zeit noch eine kleine Clique von ziemlich prolligen Atheisten, Marke Südkurve: Hunde, die einen toten Löwen anbellen. Uninteressant.
Betrogene Hoffnung
Wenn ich meine eigenen Erwartungen noch einmal dagegen stelle, so hatte ich – fälschlicherweise – in unserer Zeit ein offenes Fenster gesehen, an dessen Entstehen drei Faktoren mitwirken:
Erstens die abnehmende Programmierung durch die traditionelle christliche Sozialisation. Dadurch entsteht ein Blick auf die Notwendigkeit, die Botschaft neu und tiefer zu verstehen und gleichzeitig die geistige Freiheit, wirklich neu zu denken.
Zweitens die einmaligen Möglichkeiten, die uns die kritische Exegese an die Hand gegeben hat, um die Texte der Bibel zu analysieren und das Wesentliche vom Schmückenden zu lösen.
Drittens eine immer noch vorhandene Restenergie aus der christlichen Tradition, die einen Neuanfang anschieben und ein Stück weit tragen kann.
Dieses Fenster gibt es nicht. Der Grund liegt vermutlich darin, dass die Kombination aus eins und drei nicht funktioniert. Soweit es noch eine Restenergie gibt, existiert sie nur innerhalb des sozialisierten Kerns. Und innerhalb des Kerns erlaubt die Programmierung durch die Sozialisation nicht den Blick auf das Neue. Man kann sich nicht frei machen von den Codes, dem Jargon und der Denkungsweise der Gruppe.
Es besteht sicher das ehrliche Bemühen, nach außen zu erklären, was den eigentlich der Glaube sei, nicht aber die Möglichkeit, sich außerhalb zu stellen und von dort aus zu sehen, was nötig wäre und wie man es anpacken müsste. Ich denke entweder wie ein Christ oder wie ein Ungläubiger.
Vermeidbar
Ist der Tod des Christentums angesichts dieser Tatsachen wirklich vermeidbar? Erst einmal würden viele antworten, dass ich die Sache viel zu schwarz sehe. In Gruppe X, in Gemeinde Y ist noch reges Leben vorhanden, andere kommen dazu usw. Ich kann nicht und vor allem möchte ich nicht dagegenhalten. Meinen Glückwunsch aus ganzem Herzen. Persönlich, aus meinem Bauchgefühl heraus, glaube ich nicht an ein dauerhaftes Überleben in der kleinen, treuen Herde.
Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass die christliche Lehre in ihrem Kern eine der großen Entwicklungen der Menschheit ist. Wir gehen harten und schwierigen Zeiten entgegen und es ist für uns nicht gut, wenn uns diese geistige Ressource nicht mehr zur Verfügung steht. Ihr Potenzial ist so groß, dass es durchaus Möglichkeiten geben könnte, den Glauben von Null, vom nackten Felsengrund weg wieder zum Leben zu erwecken. Es müsste halt nur jemand draufkommen, wie.
Und wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht. Gott kann sich bekanntlich aus Steinen ein neues Volk schaffen. Aber dann kann er auch sein Volk in Steine zurück verwandeln. Und das geht er im Moment offenbar ziemlich konsequent an.