Nov 082012
 

Basisdiskurs Religion XXXI>>>mehr

Der letzte Post war bei der Frage stehen geblieben: Wo sieht Jesus das Defizit der Menschen und wie stellt er sich ihre Behebung vor?

Die Reichen und die Satten

Beim Evangelisten Lukas findet sich eine kürzere Version der Bergpredigt, sozusagen ihr Skelett. Nur an einem Punkt ist der Text üppiger als bei Matthäus und das sind die Seligpreisungen am Anfang. Lukas bringt anschließend als Gegenstück die „Weherufe“, und zwar für jede Seligpreisung das entsprechende Gegenteil.

Zwei Beispiele dazu:

  • Selig seid ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes

und später das Gegenstück:

  • Aber wehe euch Reichen, denn ihr habt euren Trost jetzt schon

Oder, das nächste Gegensatzpaar:

  • Selig seid ihr Hungrigen, denn ihr werdet satt werden

und

  • Wehe euch Satten, denn ihr werdet hungern

 

Dieses Paar Hungrig/Satt sieht auf den ersten Blick einigermaßen banal aus: Sowohl die Satten, als auch die Hungrigen gehören zum jetzigen, schlechten Zustand der Welt. Den Satten geht es gut dabei, den Hungrigen schlecht. Und in der Zukunft, im Reiche Gottes, wird sich das umkehren.

Alles nur Illusion?

Die Diagnose Jesu, was an der jetzigen Welt falsch ist, ist also recht einfach: Es gibt, unter anderem, Hungernde. Und die Behebung dieses schlechten Zustands ist auch einfach: Sie werden satt werden. Und die Art und Weise, wie diese Behebung zustande kommen soll, ist gleichermaßen einfach: Es ist das Reich Gottes, das nahe bevorsteht und das durch den Eingriff Gottes zustande kommt.

So betrachtet, wäre der Kern seiner Predigt das pure Wunschdenken. Es wäre doch schön, wenn es keinen Hunger mehr in der Welt geben würde. Und weil ich keine Vorstellung davon habe, wie man diesen schönen Zustand herbei führt, greife ich zur Illusion, dass ein allmächtiges Wesen kurz davor steht, die ganze Welt heil zu machen, einschließlich der Ernährungssituation.

Der Trost der Reichen

Aber, das ist noch nicht alles. Denn was ist mit den Weherufen? Wenn genug zum Essen da ist, dann könnten doch auch die was abbekommen, die auch bisher satt waren. Warum sollen oder müssen sie offensichtlich in diesem zukünftigen Reich hungern? Ist es Rache oder ein übertriebenes Gerechigkeitsgefühl von Seiten dieses allmächtigen Wesens?

Eine erste Ahnung, dass die Sache doch nicht so einfach ist, kann ich gewinnen, wenn ich den Weheruf über die Reichen ansehe: Wehe euch, „denn ihr habt euren Trost jetzt schon“.

Es ist dies meine eigene Übersetzung und sie soll auf eine Besonderheit dieser Stelle aufmerksam machen. Bei den Seligpreisungen wird jetzt (schlecht) und später (gut) einander gegenübergestellt. Der Weheruf über die Satten dreht dieses Schema einfach um: Für sie ist es jetzt gut (satt) und später schlecht (hungrig).

Das Wehe über die Reichen macht es aber anders. Das „ihr habt jetzt“ heißt im griechischen Original „parechete“, ist also in einer Präsensform, die einen Zustand in der Gegenwart bezeichnet.

Der Sheriff und der Pferdedieb

Den Unterschied ist derselbe wie in dem folgenden Beispiel: Ein Sheriff erwischt einen Pferdedieb auf frischer Tat und sagt: „Du hast Pech.“ Er kann dazu zwei Begründungen nachschieben: „Wir haben hier strenge Gesetze gegen so was“ oder „Du wirst hängen“.

Die erste spricht über die Gegenwart (in der es diese Gesetze gibt), die zweite auf die Zukunft (in der er hängen wird). Um den Unterschied zwischen diesen beiden Begründungen deutlich zu machen, nenne ich die erste eine Verknüpfung und die zweite eine Prophezeiung.

Prophezeiungen und Verknüpfungen

Die Prophezeiung des Sheriffs ist eine Aussage über die Zukunft, die, streng genommen, keine Verbindung mit dem Pferdediebstahl hat. Genau so gut könnte das z.B. ein Landstrich sein, in dem man einfach alle Fremden hängt, Pferdediebe oder nicht, weil man ihnen nicht traut und weil das Leben dort sonst zu langweilig ist.

Die Verknüpfung dagegen stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Pferd, das der Dieb da am Zügel hat und der Strafe, die auf ihn zukommt: Er wird gehängt, weil es ein Gesetz gibt, das genau diese Handlung bestraft. Wenn ich ein Forscher bin, der wissen will, warum der arme Mann hingerichtet wird, hilft mir diese Verknüpfung natürlich viel mehr als die bloße Prophezeiung.

Der Geburtsfehler der Welt

So gesehen, ist der Weheruf über die Satten eine Prophezeiung (ihr werdet hungern) und der über die Reichen eine Verknüpfung (denn ihr habt euren Trost jetzt schon). Diese Verknüpfung sollte mir eigentlich erklären, warum es denn den Reichen in der Zukunft schlecht gehen wird, um bei dem Beispiel mit dem Pferdedieb zu bleiben, nach welchem Gesetz sie gehängt werden. Leider ist mir damit nicht wirklich geholfen. Denn die Erklärung, die mir Jesus hier liefert, sieht etwa so aus: Es wird ihnen schlecht gehen, weil es ihnen jetzt gut geht, weil sie ihren Trost schon jetzt haben.

Aber bei genauem Hinsehen kann ich daraus einen kleinen, ersten Ansatz gewinnen: Es ist nicht diese oder jene Handlung, die schlecht ist und es ist nicht dieser oder jener Zustand in der Welt, der im künftigen Reich Gottes seine Umkehrung erfahren wird. Der Reiche ist nicht deshalb verdammt, weil er reich ist, so, als könne man die Welt besser machen, indem man die Leute enteignet. Vielmehr wird das Wehe über ihn gerufen, weil er in Komplizenschaft mit den Zuständen lebt, mit der Herrschaft Satans, um die Worte Jesu zu gebrauchen.

Es geht also um das Ganze. Und es sind nicht die Details, die das Ganze schlecht machen. Irgendwo in dieser Welt gibt es wohl einen Geburtsfehler, eine Quelle des Übels, aus der sich die Herrschaft Satans speist.

Aber wo?
(Fortsetzung folgt)

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Basileia III : Feuer oder Senfkorn„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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