Okt 292012
 

Basisdiskurs Religion XXVIII >>>mehr

Wenn ich nun fortfahre mit meiner Serie zu „Sein und Sollen“, möchte ich zu Beginn eine grundlegende Bemerkung zur Religion des Christentums einflechten, auch wenn sie sicher für viele meiner Leser überflüssig ist.

Der Apfel

Diese Lehre besteht im Wesentlichen aus drei Schichten,vielleicht etwa so, wie ein Apfel aufgebaut ist aus Kern, Fruchtfleisch und Schale:

  • Der Kern ist der altjüdische Monotheismus,
  • das Fruchtfleisch die Predigt des Jesus von Nazareth und
  • die Schale die Entwicklung nach seinem Tode, die vor allem von Paulus in seinen Briefen auf den Punkt gebracht wurde.

Es gibt ganz verschiedene Ansichten über das Verhältnis dieser drei Schichten zueinander. Einige christliche Fundamentalisten scheinen ihren Glauben aus dem Kern und der Schale zusammen zu setzen: Sie beziehen vor allem ihre Verhaltensvorschriften aus dem Alten Testament, natürlich mit ganz bestimmten Ausnahmen wie dem Bilderverbot, den Speisegesetzen und Ähnlichem. Dazu kombinieren sie ein (übrigens von ihnen neu erfundendes) Ritual der Annahme Christi als einem „persönlichen Retter“ Die Ideen dazu lesen sie aus den Briefen des Paulus heraus, während bei ihnen die Evangelien weitgehend unbeachtet bleiben.

Andere Christen, die sich selbst eher als progressiv betrachten, halten sich so gut wie ausschließlich an die Überlieferung der Predigten Jesu. Dabei heben sie gerne seine menschenfreundlichen Passagen hervor und lassen z.B. seine Androhung des kommenden Gerichtes Gottes eher im Schatten. Natürlich führt keine dieser beiden Versionen zu einem vollen Verständnis der christlichen Lehre.

Wo beginnen?

Wenn es um das schwierige Problem von Sein und Sollen geht, wäre eigentlich Paulus die erste Adresse, genauer gesagt, seine Briefe im Neuen Testament. Zwar sind sich die Forscher inzwischen einig, dass nicht alle Paulus zugeschriebenen Briefe wirklich von ihm selbst stammen, es bleiben aber genug übrig. Seine berühmtesten sind sicher der Brief an die Korinther und vor allem der an die Römer.

Dies sind immerhin die ältesten Texte im Neuen Testament (die Evangelien wurden erst später niedergeschrieben). Und, im Gegensatz zu den Evangelien, die aus mehreren Quellen zusammen komponiert wurden, stammen sie von einem einzigen Denker oder Prediger. Sie sollten also die beste Quelle für eine klare und verständliche Darstellung der christlichen Lehre sein, darunter auch für eine Antwort auf die Frage: Wie soll der Mensch handeln?

Paulus am Stammtisch

Leider scheint ihm aber nichts ferner zu liegen als die genaue Darstellung und Begründung des richtigen Tuns. In seinem Urteil über das Handeln der Menschen erhebt er sich manchmal nicht weit über das berühmte Stammtischniveau, z.B. wen er zu Beginn des Römerbriefs pauschal über die Heiden herzieht: Sie sind „voll von aller Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht; Zuträger, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hochmütig, prahlerisch, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig.“(Röm. 1, 29-31)

Weiß doch jeder

Paulus geht mit der Frage nach Richtig und Falsch ganz naiv um, etwa nach dem Motto: Es weiß doch im Grunde genommen jeder selbst, was er tun und lassen soll. Im Anschluss an die eben erwähnte Schimpfkanonade gegen die Heiden behauptet er z.B.: „Sie wissen, dass die, die so handeln, nach Gottes Recht den Tod verdienen.“(Röm 31, 2)

Und warum handeln sie trotzdem so, wie sie es nun einmal tun? Eigentlich müssen sie irgendwie pervers sein, vermutlich eine Strafe des einen Gottes dafür, dass sie nicht ihn, sondern irgendwelche anderen Gottheiten anbeten: „Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrtem Sinn, so dass sie tun, was nicht recht ist.“(Röm 28). Perverse Menschen treiben natürlich vor allem perversen Sex und Paulus malt das breit aus: Analverkehr, Homosexualität usw., alles Gottes Strafe für ihren falschen Glauben.

Das Gesetz

Der Inbegriff, die Zusammenfassung des richtigen Handelns ist für Paulus das „Gesetz“, das Gesetz ist „heilig, gerecht und gut“. Nicht nur das, sonder der Mensch, zumindest der normale, nicht pervertierte Mensch, hat ein natürliches Bedürfnis, diesem „Gesetz“ zu folgen: „Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz“ (Röm 7,27)

Gleichzeitig aber stimmt irgend etwas an diesem Gesetz ganz und gar nicht: „Ich aber starb; und es fand sich, daß das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war.“ (Röm 7,10) Es kommt hier bei Paulus der „Glaube“ ins Spiel, der bei ihm eine ganz besondere Bedeutung hat sowie der „Geist“, der einen irgendwie aus der massiven Problematik des Gesetzes befreit.

All diese Einzelheiten muss ich im Moment beiseite lassen, weil ich mich nur auf Sein und Sollen konzentriere. Und hier stelle ich fest, dass weder Glauben noch Geist dem Gesetz irgendwelche Gebote hinzufügen oder wegnehmen. Der Inhalt, das Sollen, ist das Gleiche, nur die Art, mit der dieses Sollen auf den Menschen zukommt, scheint sich zu verändern.

Fazit

So spannend sich auch die Themen anhören, die Paulus anschneidet, für das Problem von Sein und Sollen scheint er mir nichts Neues mitteilen zu können. Dafür muss ich mich offensichtlich mit der Predigt Jesu beschäftigen, mit dem, was ich eingangs das Fruchtfleisch des Apfels genannt habe.

(Fortsetzung folgt)

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitsitel „Sein und Sollen V: Die Bergpredigt„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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