Okt 252012
 

Basisdiskurs Religion XXVII >>>mehr

Im vorangegangenen Post „Sein und Sollen II“ habe ich gemeint, dass das Verbot von Abbildungen Gottes dem altjüdischen Monotheismus den Status einer „Hochreligion“ verleiht. Nun ist aber die Bezeichnung „Hochreligion“ inzwischen politisch nicht korrekt, es muss stattdessen „Weltreligion“ heißen. Aber, was bedeutet das?

Weltreligion

Diesen Ausdruck kann man auf zweierlei Arten verstehen. Entweder bedeutet er, dass der betreffende Glaube einen ansehnlichen Anteil der Weltbevölkerung auf sich vereint, oder er meint, dass er von seiner Art her nicht an ein einzelnes Volk oder eine einzelne Kultur gebunden ist, sondern überall auf der Welt seine Wirkung entfalten kann.

Im ersteren Sinne ist auf jeden Fall der Hinduismus und vielleicht auch der Shintoismus eine Weltreligion, im zweiten aber nicht: Außer vielleicht ein paar alternden Hippies glaubt außerhalb des indischen Kulturkreises niemand an Vishnu, Brahma und Shiva oder außerhalb von Japan an die Reisgöttin Inari.

Die Mauer

So gesehen, kann das Judentum keine „Weltreligion“ sein und hat auch selbst nicht diesen Ehrgeiz. Dieses Volk musste Jahrhunderte lang um seine religiöse Identität kämpfen und sie durch zum Teil blutige Verfolgungen hindurch verteidigen. Das konnte es nur, indem es sich immer fester zusammen schloss und eine klare Verteidigungslinie zog zwischen sich selbst, also dem „auserwählten Volk“ und einer andersgläubigen Umwelt.

Entlang dieser Verteidigungslinie stand die Mauer der 613 Gebote, als klare Unterscheidung zwischen drinnen und draußen. Und so ergibt sich tatsächlich eine Antwort auf die Frage: „Wie hängen all diese Gebote zusammen mit der Idee des einen, allmächtigen Gottes?“, nämlich: „Sie helfen, diese Idee, diesen Glauben zu bewahren, indem sie das für lange Zeit eine und einzige Volk bewahren, das diese Idee vertritt.“

Über die Mauer zur Weltreligion: Und dann?

Das Judentum war selbst keine Weltreligion, aber es entließ aus sich das Christentum, das sehr schnell die Grenzen der jüdischen Kultur und des jüdischen Volkes überschritt. Das hieß, das nun neue Begründungen gefunden werden mussten für neue Gebote. Das Problem war immer noch das alte: Nach wie vor war der Kern der Lehre ein Satz über das Sein: Es gibt nur einen Gott. Und nach wie vor war die Frage: Wie komme ich von diesem Sein zum Sollen, zu einer Aussage, wie man handeln soll?

Gott als Rollenmodell

Vorweg ein häufiger Versuch, vom Sein Gottes zum Sollen der Menschen zu gelangen, geht so: Es wird eine bestimmte Eigenschaft Gottes propagiert, z.B. die der Barmherzigkeit. Und dann werden die Zuhörer aufgefordert, dieser Eigenschaft nachzueifern: „Seid barmherzig, wie es auch eurer Vater ist!“(Lk 6:36) Tatsächlich liegt natürlich mehr und Tieferes hinter diesem Aufruf. An der Oberfläche aber ist er ein Appell: „Sei in diesem Punkt wie Gott!“

Das wäre tatsächlich ein recht kurzer Weg vom Sein Gottes zum Sollen der Gläubig. Allerdings bringt dieser Ansatz mehr Fragen mit sich als dass er löst: Warum gerade in diesem Punkt und nicht in anderen, z.B. dem der Allmacht? Was ist mit anderen Geboten, für die Gott nicht als Rollenmodell herhalten kann, z.B. dem der ehelichen Treue?

Und, vielleicht die tiefste Frage: Sind denn irgendwelche Eigenschaften Gottes von der Art, dass sie von Menschen nachgeahmt werden können? Nein, die imitatio dei (Nachahmung Gottes) liefert uns keine Fundament für unser Handeln. Wir stehen hier an einem kritischen Punkt aller monotheistischen Religionen.

Die große Sollbruchstelle

Laut Wikipedia ist eine Sollbruchstelle ein „vorgesehenes Konstruktionselement. Im … Überlastfall wie dieses Element gezielt und vorhersehbar versagen“. Das große Versagen des Monotheismus war sein Auseinanderbrechen in drei Religionen, in das Judentum, das Christentum und den Islam, drei Religionen, die sich untereinander als scharf unterschiedlich begreifen und bisweilen auch erbittert bekämpfen. Keine andere Religion, auch z.B. der Buddhismus nicht mit seinen drei Richtungen Theravada, Mahayana und Vajrayana hat eine so radikale Spaltung hervorgebracht.

Dieses Auseinanderfallen war zwar nicht „gezielt“, aber „vorhersagbar“ und die Sollbruchstelle war und ist die zwischen Sein und Sollen, zwischen dem Ausgangspunkt des einen Gottes und den unterschiedlichen Verhaltensregeln, die in den drei Religionen hinzutraten. Am klarsten zeigt sich diese Bruchstelle im Christentum, das die radikale Konsequenz zog und den Gottesbegriff in die drei Personen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes aufspaltete (was das mit Sein und Sollen zu tun hat, davon mehr im nächsten Post).

Du sollst! Noch Fragen?

Wie bereits erwähnt, gibt es eine sehr einfache Form, um ein Sollen zu begründen: Tu dieses und unterlasse jenes, weil Gott es so will. Einige sehr unbedingte Monotheisten sind sogar der Meinung, dass jede Begründung eines solchen Gebots zu vermeiden ist: Es soll nur und ausschließlich deshalb befolgt werden soll, weil Gott diese Regel vorgibt.

Natürlich könnte man zur Antwort darauf hinweisen, dass es, im Alten Testament, Neuen Testament und im Koran unterschiedliche Gebote gibt und dass sich diese Schriften teilweise sogar selbst widersprechen oder dass der Wortlaut ihrer Vorschriften nicht völlig klar ist. Ein stärkeres Argument für die Begründung eines Sollens (statt der einfachen Antwort: „Gott will es“) liegt in der Tatsache, dass sich diese heiligen Schriften selbst nicht zu schade sind, einzelne ihrer Gebote zu begründen. Dies wäre im Alten Testament etwa das Gebot der Elternliebe „damit es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden.“ Ein Beispiel aus dem Neuen Testament habe ich schon angeführt („… wie euer Vater …“) und eines aus dem Koran folgt sogleich.

Der Koran

Bevor ich im nächsten Post das Christentum behandle, nehme ich den Islam vorweg. Zugespitzt gesagt, hat diese Religion das Problem von Sein und Sollen weniger gelöst als vielmehr über den Haufen gerannt. Die Erleuchtungserlebnisse Mohammeds, der jähe, steile Aufstieg dieses Glaubens und seine rasante Ausbreitung verliehen ihm einen unwiderstehlichen Schwung. Hinzu kam die verbindliche Festlegung seiner zentralen Schrift, des Koran, durch eine hochkarätige Kommission kurz nach Mohammeds Tod. Keine andere Religion hat so schnell einen so klar definierten Kern geschaffen, noch mitten im Impuls eines fabelhaften Anfangserfolges.

Die betäubende Authorität, die dem Koran aus diesem Grunde zuwuchs, ließ alle Rückfragen vergessen zu der Qualität der dort verkündeten Handlungsanweisungen. Ein hübsches Beispiel dafür ist die obsessive Beschäftigung mit dem Haupthaar der Frau, die sich sowohl hier als auch im Neuen Testament bei Paulus zeigt (dazu komme ich noch). Hier zunächst die berühmte Sure, die die Verschleierung islamischer Frauen begründen soll: „… sie sollen ihre Gewänder tief über sich ziehen. So ist es am ehesten geährleistet, dass sie erkannt und nicht belästigt werden …“(Sure 33,59)

Die Begründung eines göttlichen Verbotes durch den Hinweis auf unerzogene Männer, die sich ansonsten zu rüpelhaftem Verhalten ermuntert fühlen könnten, ist sehr schwach; es werden hier ganz offen die Vorurteile der zeit in den Willen Gottes übersetzt.

Der große Schwung

Es ist der große Schwung des Islam, der den Koran als Kern vereint mit einigen wenigen einfachen Bräuchen und einer faszinierenden Ästhetik, die auf der arabischen Sprache und vor allem Schrift beruht, dieser große Schwung, der alles zusammen zu einem einleuchtenden Lebensentwurf macht.

Die Antwort des Christentums ist in diesem Punkt wesentlich schwächer, wesentlich zersplitterter, aber, wie ich meine, auch wesentlich interessanter.

(Fortsetzung folgt)

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitsitel „Sein und Sollen IV (Paulus)„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

Zur Übersicht

 Hinterlasse eine Antwort

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

(required)

(required)