Basisdiskurs Religion XXVI >>>mehr
Ein Satz der Philosophie, der mit unnötig großem Aufwand verkündet wird, ist das sogenannte Humesche Prinzip, auch als „Sein-Sollen-Problem“ bekannt. Danach kann man aus nur beschreibenden Aussagen keine normativen Aussagen ableiten, also aus Aussagen der Form „So und so ist es“ eine Aussage der Form folgern: „So und so soll gehandelt werden“.
Wenn ich „ableiten“ im streng logischen Sinne verstehe, dann ist dieses Prinzip einigermaßen trivial, wie ich gleich zeigen werde. Wenn ich es etwas intuitiver und weiter fasse, ergeben sich interessante Unterschiede zwischen den großen Ansätzen des Konfuzianismus, des Buddhismus und des Monotheismus mit seinen drei Spielarten Judentum, Christentum und Islam.
Ein Stein und seine Farbe
Nehmen wir einen Stein. Ich beschreibe sein Gewicht, seine Maße und seine Oberfläche.
- Er ist 200g schwer
- Er ist 8 cm lang
- Er ist glatt
Es ist einleuchtend, dass ich aus diesen Angaben keine Aussage über seine Farbe machen kann. Wenn jemand sagen würde „also ist der Stein rot“, dann würde ich antworten „Woher willst du das wissen? Ich habe doch überhaupt nichts über seine Farbe gesagt.“
Allgemein gesprochen heißt das: Solange ich keine Angabe über die Farbe gemacht habe, kann ich auch nichts ableiten, was die Farbe angeht. Übertragen auf das Humesche Prinzip: Solange ich keine Angaben darüber gemacht habe, dass man so und so handeln soll, kann auch niemand aus meinen Angaben eine solche Regel ableiten.
Schwarzer Basalt
Ich füge jetzt eine vierte Angabe über den Stein hinzu:
- Er ist aus Basalt
Wenn jetzt jemand sagt: „Also ist er grau bis schwarz“, dann würden wohl viele Menschen zustimmen, obwohl ich immer noch keine Ausage über die Farbe gemacht habe! Der Grund dafür ist, dass sie stillschweigend eine fünfte Angabe hinzu nehmen:
- Basaltsteine sind grau bis schwarz
Diese Aussage ist für viele Leute selbstverständlich und allgemein bekannt, dass sie nicht eigens aufgeführt, sondern stillschweigend dazu genommen wird.
Heiße Herdplatten
Solche stillschweigenden, als selbstverständlich geltenden Zusätze gibt es natürlich auch im Bereich von Sein und Sollen. Wenn ich die beiden folgenden Aussagen nehme:
- Heiße Herdplatten fügen Kindern Verbrennungen zu, wenn sie ihre Hände darauf legen.
- Verbrennungen sind sehr schmerzhaft.
Daraus würden wohl die meisten Menschen folgern:
- Man sollte verhindern, dass Kinder ihre Hände auf heiße Herdplatten legen.
und zwar deshalb, weil sie den stillschweigenden Zusatz als selbstverständlich ansehen:
- Man sollte verhindern, dass Kindern Schmerzen zugefügt werden.
Daran ist auch grundsätzlich nichts falsch. Wir könnten überhaupt nicht kommunizieren, wenn wir nicht eine große Menge von selbstverständlichen Voraussetzungen stillschweigend als gegeben voraussetzen würden.
Allerdings kann es Fälle geben, in denen wir auf diese Art zu sehr wichtigen oder zweifelhaften Ergebnissen kommen. In diesem Falle lohnt es sich, diese stillschweigenden Voraussetzungen ans Licht zu bringen und zu prüfen. Solche wichtigen Fälle liegen zweifellos vor, wenn wir Antworten auf die Frage suchen: Wie sollen wir handeln? Wie sollen wir leben?
Wie steht es hier mit den großen Lehren der Menschheitsgeschichte, mit dem Konfuzianismus, dem Buddhismus und dem Monotheismus mit seinen drei Religionen? Wie gelangen sie zu ihrem „Sollen“, zu ihren Regeln für das menschliche Verhalten und das menschliche Leben?
Konfuzianismus
Beim Konfuzianimus ist die Sachlage einfach: Er besteht von vorneherein vor allem aus Verhaltensregeln. Hier ist nicht die Frage, wie man vom Sein zum Sollen kommt, also wie man aus einer Erkenntnis, dass die Welt oder die Menschen so und so beschaffen sind den Schluss zieht, dass man so oder so handeln soll. Konfuzius interessiert sich kaum für die Beschaffenheit des Universums und analysiert auch die menschliche Natur nur so weit, als es für seine moralischen Vorschriften nötig ist.
Buddhismus
Buddha war von allen großen Religionslehrern derjenige mit der höchsten Systematik. Dies zeigt sich auch, wenn es um das Humesche Prinzip geht. Seine vier edlen Wahrheiten enthalten, genau genommen, keine Verhaltensvorschriften (Leben ist Leiden, Leiden kommt von der Begierde, es gibt einen Weg aus dem Leiden, dieser Weg ist der achtfache Weg). Allerdings ist der Weg vom Sein, von der Beschreibung des Leidens und der Möglichkeit, dem Leiden zu entfliehen zum Sollen sehr kurz und einleuchtend: Wenn es eine Möglichkeit gibt, dieses Leiden abzuschaffen, dann sollte man sie wohl ergreifen und den Verhaltensvorschriften des achtfachen Weges folgen.
Monotheismus
Hier zeigt sich das Humesche Prinzip in seiner ganzen Problematik. Seine Grundaussage „es gibt nur einen Gott“ betrifft zunächst nur das Sein, es wird nur gesagt: „So und so ist es“. Und, anders als etwa beim Buddhismus, gibt es hier keinen offensichtlichen, kurzen Weg zu einer Erkenntnis, wie man leben und handeln soll. Die drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, geben zwar Antwort auf diese Frage, diese Antworten unterscheiden sich aber teilweise sehr stark voneinander.
Es ist dies vermutlich die große Sollbruchstelle im Monotheismus, der Punkt, an dem man ganz verschiedene Wege einschlagen kann, eben weil es keine eindeutige Folgerung aus dem Sein des einen Gottes auf das Handeln gibt, das aus dieser Erkenntnis hervorgeht, keine eindeutige und nicht einmal eine nahe liegende. (Fortsetzung folgt)
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitsitel „Sein und Sollen II“. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.
Das ist mal ein Cliffhanger! Bin gespannt, wie es weitergeht.