Jun 212012
 

Während meiner Grippe habe ich mich mal ausführlich über das aktuelle Fernsehangebot informiert. Dabei bin ich auch auf das „Nachtstudio“ des ZDF vom 17.06. gestoßen mit dem Titel „Auf der Suche nach der deutschen Seele“. Gäste waren vor allem Frau Thea Dorn, Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin;, „vor allem“ deshalb, weil diese Dame gerne das Wort ergriff und auch ungern wieder hergab.

Ich lernte dabei eine Menge erstaunlicher Dinge, zunächst einmal über Deutschland, dann aber auch über Religion.

Kerndeutschland: Protestantisch und Linksrheinisch

Um ein paar solcher interessanten Einzelheiten aufzuzählen: Frau Dorn sprach über Deutschland und „andere protestantische Länder“ und auch über unsere Geschichte: „Teile von uns waren Teile des Römischen Imperiums. Wir waren das Ende der zivilisierten Welt, die Grenze war ziemlich genau der Rhein.“ Die ganze Runde nickte gewichtig und war offensichtlich mit ihr der Meinung, dass z.B. die Donau und die Landschaften nach Süden zu den Alpen entweder nicht römisch waren oder, und das scheint mir das Wahrscheinlichere zu sein, irgendwie nicht so richtig zu Deutschland gehören. Na gut. Jetzt weiß ich wenigstens, warum ich mich als katholischer Bayer in Wien heimischer fühle als in Hamburg.

Sonstige Ärgerlichkeiten, die mit dem Brustton absoluter Überzeugung herausgeschmettert wurden, gab es zuhauf. Ich greife nur eine einzige heraus: Goethe sei, wie auch die Romantiker, in einem Bergwerk herumgekrochen, weil er mit seiner deutschen Seele eine Affinität zum Dunklen und Untergründigen hatte.

Gerade Goethe hatte eine ausgesprochene Abneigung gegen das Dunkle und Untergründige. Seine Beschäftigung mit dem Bergbau kam aus seiner Tätigkeit als Direktor der Bergwercks-Commission von Sachsen-Weimar-Eisenach. Das Motiv war nicht eine Neigung zu finsteren Stollen, sondern der schier verzweifelte und dann auch missglückte Versuch, diesen maroden Kleinstaat durch die Wiederbelebung der Silberbergwerke von Ilmenau zu sanieren. Goethe als Minister, das ist übrigens ein spannendes Thema. Es passt aber leider nicht in diesen Blog.

Musik und Religion

Was hierher passt, sind die Bemerkungen von Frau Dorn zur Religion. Der Gerechtigkeit halber schicke ich voraus, dass sie sich dabei auf Gedanken Thomas Manns stützt. Ich bin mit ihrer Position überhaupt nicht einverstanden, ich finde aber, sie beschreibt sehr genau und sensibel den Ist-Zustand dessen, was hier und heute als Religion herumläuft.

Ich zitiere: „Die Musik ist von allen Künsten diejenige, die sich am besten eignet, die Funktion einer Religion zu übernehmen. Gerade weil sie dieses Gewebelose hat, dieses Materiallose, dieses erst einmal nicht Rationale. Sie ist keine Sprache in einem Verständigungssinne, sie ist oft sehr kompliziert und dunkel und mystische Weise … [In der deutschen Seele] ist dieses Hingezogensein zu eben diesem Dunstigen, Abgrundigem, Tiefen, das, was man nicht genau durchdringen kann.

Aus dem Zusammenhang heraus war klar, dass sie tatsächlich mit all diesen Adjektiven die Religion meinte: Gewebelos, materiallos, nicht rational, kompliziert, dunkel, mystisch, dunstig, abgrundig (sic), tief, nicht genau zu durchdringen. Am Interessantesten war aber dieses „keine Sprache in einem Verständigungssinne“. All das markiert sehr genau die Misere des Glaubens in unserer Zeit und die Nische, die ihn erwartet,  in der er zum großen Teil bereits verschwunden ist und die sein Ende sein wird.

„Keine Sprache in einem Verständigungssinne“

Was das nun genau heißt, lässt sich nicht sicher sagen. Symptom einer solchen Nichtverständigungs-Sprache wird es aber wohl sein, dass ein Benutzer nicht zuerst eine Aussage machen und anschließend fragen kann: „Hast du das verstanden?“ In einem solchen Falle müsste dann die Antwort zurückkommen: „Wieso ‚verstanden‘? Solche Aussagen kann nicht verstehen, sondern muss sie einfach in sich aufnehmen, wie eine Symphonie oder ein Kammerkonzert.“

Also: „Gott ist allmächtig“ bedeutet erst mal gar nichts oder vielmehr, dieser Satz entspricht vielleicht einem C-Dur-Akkord, fortissimo vermutlich. Er erhebt oder nervt oder geht zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Jedenfalls transportiert er keine Information. Wenn ich anschließend sage: „Gott hat keine Hände außer den deinen“, ist das genau so wenig ein Widerspruch zu dem vorangegangenen wie ein H-Moll-Akkord nach C-Dur. Er passt vielleicht nicht so richtig, vielleicht ist aber ist gerade diese Spannung gewollt und gehört so. (Nur im Fall dass es jemand nicht aufgefallen ist: Diese beiden Sätze stehen tatsächlich in einem harten Widerspruch zueinander)

Der große Rest – von wegen nicht rational, dunkel, dunstig usw. –  folgt eigentlich aus dieser Ausgangsposition. Wenn man sich hier weder verständigen kann noch soll, dann steht man in der Tat in einem irrationalen, dunstigen Dunkel. Es lohnt sich aber, noch einmal genauer auf  die beiden Eigenschaften einzugehen, die Frau Dorn als erste eingefallen sind.

Gewebelos, materiallos

Richtig. Der Rest „Religion“ bei uns ist materiallos, hat den Kontakt zu den konkreten Dingen verloren: Baum, Stein, Bier, Brot, Sonne, Kalaschnikow. Nicht weiter überraschend.

Spannender ist da dieses merkwürdige Wort „gewebelos“ (interessant schon allein dadurch, dass mein Spell-Checker dieses Wort als einziges in diesem Post penetrant rot unterringelt). Es signalisiert einerseits mangelnde Substanz; man hat nichts, was man greifen kann. Vor allem aber steht dahinter ein Gespür für den mangelnden inneren Zusammenhang. Allmacht, Erlösung, Erbsünde, Vater, Sohn, Heiliger Geist, Bergpredigt und Römerbrief, all das sind schwebende Moleküle in diesem Dunst. Sie haben ihren greifbaren, spürbaren Zusammenhang untereinander verloren.

Musik

Was folgt daraus? Laut Thea Dorn wird die Funktion einer solchen Religion von der Musik übernommen werden. Dies bedeutet wohl, dass die heutigen Formen des Glaubens der Musik immer ähnlicher werden. Sie erheben die Gefühle, signalisieren dem Zuhörer seine eigene seelische Größe und im Zweifelsfall ist das alles überhaupt nichts wert.

Sehr eindringlich steht mir immer ein Film über die Räumung des Warschauer Ghettos vor Augen. Eine Szene daraus geht garantiert auf ein reales Geschehen zurück: Wohnung für Wohnung wird nach versteckten Juden durchsucht, wo sich ein Hohlraum findet, wird er mit dem Stethoskop abgehört und im Zweifelsfall von Kugeln durchsiebt. In einer Wohnung steht ein Klavier. Und während seine Unterlinge mit äußerster Sorgfalt vor sich hin morden, setzt sich ein feinsinniger Offizier daran und spielt klassische Musik. Erhebend, niveauvoll, Zeugnis der ewigen Kultur Europas und absolut wertlos als Richtlinie für Denken und Tun des Menschen.

Warum wird der Glaube verschwinden? Weil er die Funktion der Verständigung abgegeben hat. Weil er dunstig geworden und stolz darauf ist. Und weil in dem Reich des Gewabers, auf das er sich zurückzieht, andere Bewohner besser zu Hause sind. Zum Beispiel die Musik.

 

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  One Response to “Nachtstudio”

  1. Das Beispiel mit dem klavierenden Offizier hat das Problem mit einem Schlag verdeutlicht. Ich bin voll Ihrer Meinung. Trotzdem halte ich vorerst an der Unbegreiflichkeit Gottes fest. Es muß ja keine absolute Unbegreiflichkeit sein… als evangelischer Pfälzer hab ich mit linksrheinisch und protestantisch freilich kein Problem 😉

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