Basisdiskurs Religion XII >>>mehr
In den vorangegangenen Posts habe ich aufgezeigt, dass Jesaias und Hiob die altjüdische Vorstellung von Gott zu einem Höhepunkt der Abstraktion vorangetrieben haben. Danach ist das eine hervorstechende Merkmal ihres Gottes die unbeschränkte Allmacht: Gutes und Böses, Licht und Finsternis, alles, was geschieht, entspringt dem Willen Gottes.
Dieses Modell möchte ich in zwei Schritten logisch, empirisch und naturwissenschaftlich präzisieren. Hier der erste davon, in dem es vor allem um das formale Gerüst geht. Ich fürchte, dass ich damit meinen Lesern einiges zumute, aber ich verspreche, dass es in den nächsten Posts deutlich leichter wird.
Und es könnte auch sein, dass der eine oder andere Gläubige diese sehr elementaren Überlegungen einfach abwegig finden wird, da sie so gar nichts mit seinen Überzeugungen zu tun haben. Ich erachte aber gerade dieses fußgängerhafte Vorgehen als unverzichtbar. Wir leben in einer Flut von Geschwätz über Gott und das Christentum. Wenn ich mich da herausarbeiten will, kann mein Vorgehen gar nicht sorgfältig genug sein.
Axiome und Definitionen
Ich fomuliere die Allmacht Gottes in der Art einer Theorie, was nicht so sehr viel Sinn macht, aber doch ein bisschen. Sie enthält zwei grundlegende Sätze, zwei Axiome:
(A1) Es gibt genau ein X, das alles bewirkt, was geschieht
(A2) Dieses X ist eine Person mit einem freien, durch nichts beschränktem Willen.
und die Definition:
(D) Gott ist gleich diesem X
Das wars. Die Theorie hat zumindest den einen Vorteil, dass sie überschaubar ist. (A1) und (A2) sind einfach Umschreibungen der Selbstaussagen Jahwes in Hiob und Jesaias. Die Definition (D) sieht einfach aus, ist aber insofern tückisch, als dass bereits die Buchstabenfolge „G“, „o“, „t“ und „t“ bei Gläubigen, Atheisten und (fast) allen anderen eine Sturzflut von Assoziationen auslöst: Wenn Gott tatsächlich alles bewirkt, dann auch die Tsunamis, die Ruanda-Massaker usw. und dann ist er doch ein abscheulicher Massenmörder und kein guter Vater im Himmel.
Diese Probleme kommen daher, dass ich bei der Erwähnung dieses Wortes alle Assoziationen dazu aktiviere, die in unserer Kultur üblich sind. (D) soll aber in diesem ersten Schritt tatsächlich eine Definition sein: Das ist der Gott Hiobs und Jesaias, der Allmächtige und alles andere kommt (vielleicht) danach. Und bevor ich mich hier von vorne herein voller Abscheu abwende, sollte ich mich daran erinnern, dass der Monotheismus als Grundlage dreier Weltreligionen dem Menschen die Gesamtheit seines Lebens erklären soll. Und dazu gehört eben auch Finsternis und Unheil, Tod und die allgemeine Ungerechtigkeit des Lebens, der betrunkene Autofahrer, der den Unfall überlebt und die junge Familie, die dabei stirbt und das prahlerische Stolzieren mächtiger Mörder über den Gräbern ihrer schwachen und bald vergessenen Opfer.
Der Charme des Banalen
Also: Zurück zu den Gottesaxiomen. Welchen Status haben sie? Wo kann ich sie anwenden und welche Ergebnisse bekomme ich? Wenn ich mir (A1) und (A2) ansehe, dann finde ich mehrere Begriffe, die mir erklärungsbedürftig scheinen. Was genau heißt hier eine „Person“ und, wenn ich das nicht weiß, kann ich mir auch unter ihrem „freien Willen“ nichts vorstellen und auch nicht, wie es aussehen soll, wenn sie etwas „bewirkt“. Ich fange also an mit „alles, was geschieht“. Geschehnisse sind z.B. „es regnet“, „alle Parkplätze sind besetzt“ usw.
Aus (A1) und der Definition (D) folgt dann für jedes Geschehen g:
(L1) Gott bewirkt g
Das hört sich vielleicht sehr kühn an, ist aber an diesem Punkt noch von umwerfender Banalität. Das Einzige, was ich hier tue ist nämlich, dass ich für jede Beschreibung eines Sachverhalts eine neue, wesentlich kompliziertere Schreibweise vorhalte, die ich aber dann jeweils ohne Probleme wieder in das Original zurückführen kann. Statt „es regnet“, kann ich nun auch sagen „Gott bewirkt, dass es regnet“ und, falls mir das zu umständlich wird, kann ich wieder zu „es regnet“ zurückkehren. Ein Informationsverlust oder Ähnliches findet dabei nicht statt.
Mit einer solchen extrem banalen Anwendung werde ich mich nicht begnügen, trotzdem lohnt es sich, mit dieser ersten Stufe zu beginnen. Sie beinhaltet zumindest eine Warnung an alle Gläubigen, dass das bloße Einfügen des Wortes „Gott“ und damit verwandter Begriffe in einen Gedankengang zunächst einmal noch gar nichts bedeuten muss. Spiegelbildlich gilt dies auch für viele Atheisten und ihre feste Überzeugung, dass jeder Satz, in dem „Gott“ oder „Allmacht“ vorkommt, schnurstracks zur Verblödung der gesamten Umwelt führt.
Theoretische Terme
Eine genauere Analyse dieser Banalität führt mich einen Schritt weiter. In dieser Übersetzung aus der Alltags- in die „Gottessprache“ und umgekehrt bleiben die üblichen Beschreibungen von Geschehnissen jeweils erhalten: „Es regnet“ kommt auf beiden Seiten mit der gleichen Bedeutung vor. Was in der „Gottessprache“ neu hinzukommt und bei der Rückübersetzung wieder herausfällt, sind die Worte „Gott“ und „bewirkt“. In Analogie zu einer wissenschaftlichen Theorie möchte ich sie als die theoretischen Terme der Gottesaxiome nennen (die Sache mit dem „freien Willen“ in (A2) lasse ich bis zum übernächsten Post beiseite).
Theoretische Terme (hier der Wikipedia-Artikel dazu) sind Begriffe, die in einer Theorie in einem ganz bestimmten Sinne verwendet werden, der nur zusammen mit der ganzen Theorie funktioniert. Ein sehr einfaches Beispiel ist der Satz aus der Newtonschen Mechanik „Arbeit ist Kraft mal Weg“. Hierbei wird „Arbeit“ und „Kraft“ in einem eigenen Sinne verwendet, der nichts mit Job oder Fitnesscenter zu tun hat. Vielmehr bekommen sie ihre Bedeutung aus der Theorie selbst zusammen mit ihren Anwendungen, sie stehen und fallen mit der wissenschaftlichen Erfolg der ganzen Theorie.
Und was machen wir damit?
Eine naive Anschauung von wissenschaftlichen Theorien geht davon aus, dass sie einfach wahre Aussagen über die Welt sind und deshalb ihre Anwendungen sozusagen von vorneherein feststehen. Bleiben wir bei Newton: Seine Gravitationstheorie war von Anfang an erfolgreich in ihrer Anwendung auf die Berechnung der Planetenbahnen. Es wurde bereits damals vorausgesetzt, dass man damit auch Ebbe und Flut als Folge der Anziehungskraft des Mondes berechnen könne. Allerdings funktionierten die betreffenden Kalkulationen zu Beginn nicht hundertprozentig. Also ließ man dies erst einmal beiseite, ohne sich dadurch in Newtons Lehre beirren zu lassen.
Eine Theorie besteht also aus den grundlegenden Sätzen zusammen mit ihren Anwendungen. Hier sind die grundlegenden Sätze die Gottesaxiome, aber wo ist die Anwendung? Es kann ja wohl nicht die banale Umformung von Alltagssätzen über den Regen sein. Dies ist die entscheidende Frage, die mit über mehrere Posts beschäftigen wird.
Die black box
Ich beginne damit (aber ich lasse es nicht dabei), dass ich diese Anwendung als eine black box im Kopfe des Gläubigen ansiedle. Auf irgend eine für ihn bedeutsame Weise enthalten die Worte „Gott“, „bewirken“ usw. einen für ihn einsehbaren Sinn und diese Art zu sprechen und zu denken enthält einen Wert für ihn. Und, wie ich gezeigt habe, gerät er mit dieser Einstellung nicht in Konflikt mit irgendwelchen Aussagen über die Welt, weil alle seine Aussagen mit „Gott“ überführt werden können in Aussagen ohne „Gott“.
Es wäre jetzt aber sehr unbefriedigend, einfach ein Schleifchen um diese black box zu binden und zu sagen: „Unverständlich, aber harmlos.“ Um mein Denken hier in Schwung zu bringen, formuliere ich zwei Fragen:
- Wenn die Theorie Newtons als Anwendungsgebiet die Planetenbahnen hatte (unter anderem), was ist das Anwendungsgebiet der Gottesaxiome?
- Würde diese black box im Kopf der Menschen nicht jegliche Naturwissenschaft ausschalten oder zumindest behindern? Denn warum sollte ich mich darum kümmern, warum und mit welcher Geschwindigkeit ein Apfel zur Erde fällt, wenn ich von vorneherein weiß, dass Gott das bewirkt?
Antworten im nächsten Post!
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Das Experiversum„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.
Der Link zu den Theoretischen Termen fehlt.
Ansonsten hab ich nicht viel zu sagen, außer daß ich weiterhin gespannt bin, wohin die Reise geht. Ich finde es super, daß Sie sich die Mühe machen, das alles mal aufzudröseln. Das könnte ein Referenzwerk werden, was ich dann bei entsprechenden Diskussionen einfach verlinken kann. Insofern: Keep up the good work . 😀
Danke für den Tipp, habe ich nachgetragen. Und für den Schulterklopf, kann ich brauchen.
Und das mit dem Referenzwerk: Ich habe mich ja nicht getraut, das selber zu sagen, aber so was habe ich tatsächlich vor. Über und um das Thema dieses Posts habe ich vor ca. 30 Jahren mal ein ganzes Buch geschrieben; ich hatte damals gerade in formaler Logik und Wissenschaftstheorie promoviert.
Tja, es war das erste in meiner eindrucksvollen Reihe nicht veröffentlichter Bücher. („Großartiges Werk, Meister, aber wo ist die Zielgruppe?“)