Mai 022012
 

Basisdiskurs Religion XI >>>mehr

Ich habe mich schon lange gewundert über die Selbstverständlichkeit, mit denen Gläubige und Atheisten das Wort „Gott“ benutzen und offensichtlich kein Problem damit haben, dass es oftmals völlig Verschiedenes bezeichnet. Viele Christen finden z.B. nichts dabei, den Buddhisten einen „apersonalen Gott“ anzudichten und gleichzeitig an dem altjüdischen Gottesbegriff festzuhalten, der nun einmal hundertprozentig und unmissverständlich personal ist.

Gerade angesichts der Auflösungstendenzen des Glaubens, der sogenannten „Gotteskrise“, müsste es doch die erste Strategie sein, zu den Quellen zurückzukehren, also den Texten des Alten Testaments, und sich von dort aus methodisch vorzuarbeiten. Stattdessen wird meist eine Strategie der Beliebigkeit gewählt, bei der „Gott“ alles mögliche heißen kann. Verteidigt wird dies damit, dass Gott sowieso transzendent sei, in keine Schublade passe und somit jede Sorgfalt beim Gebrauch des Wortes „Gott“ nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich sei. Nur scheinen sie trotzdem sicher zu sein, dass dieses „Gott“ jeweils immer das Gleiche bezeichnet, egal ob personal oder apersonal. Woher stammt diese Sicherheit?

Das große Zelt

„Send mir Dein Licht und Deine Wahrheit, daß sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich führen in Dein Zelt“, so lautet einer der (übrigens sehr schönen) Verse im Stufengebet, mit dem im katholischen Ritus die Messe eröffnet wird. Diese Formel steht hier stellvertretend für die Gesamtheit einer herkömmlichen christlichen Sozialisation, einer Gesamtheit aus kultischen Riten, kindlichen und erwachsenen Gebeten, Gesprächen und Gelesenem, all dies bildet gemeinsam das große Zelt, in dem wir so lange Zeit „Gott“ gefunden haben.

Das heißt, wir haben in diesem Zelt gelernt, wie und wo dieses Wort zu gebrauchen ist, in welchen Gebeten, in welchen Sätzen, in welchen Situationen, mit welcher Stimmlage und mit welcher Körpersprache, wir wurden fitgemacht in dem Sprachspiel um das Wort „Gott“.

Ein Teil dieses Lernvorgangs waren Berichte über die Schöpfung, den Durchzug durchs Rote Meer, die Engel bei den Hirten an Weihnachten usw. Diese Erzählungen hatten einmal den Status von objektiven Informationen und sind inzwischen fast nur noch fromme Schatten einer versunkenen Religiosität. Trotzdem ist noch genügend geblieben von dem großen Sprachspiel und immer noch steht das Zelt, in dem sich die Gläubigen zusammenfinden und sich gegenseitig darin bestärken, wenngleich es in letzter Zeit dramatisch schrumpft.

Nur ein Sprachspiel? Was heißt hier ’nur‘?

Nun wissen wir seit Wittgenstein, dass die Wörter der Umgangssprache ganz allgemein keine scharfen Definitionen aufweisen, sondern in solchen Sprachspielen eingeübt und verwendet werden. Trotzdem bezeichnen sie in den meisten Fällen etwas Reales. Die wissenschaftliche Definition des Wortes „Sonne“ z.B. hat im Laufe der Geschichte gewechselt, vom Mittelpunkt des Universums zu einem thermonuklearen Gasball irgendwo in der Galaxis (so ungefähr, das hier ist ja schließlich kein astrophysikalischer Blog). Trotzdem ist der umgangssprachliche Inhalt immer ziemlich gleich geblieben und auch ich kann und darf das Wort sicher benutzen, obwohl ich, wie eben gezeigt, nicht so hundertprozentig Bescheid weiß, wie dieser gelbe Knödel da oben funktioniert.

Was sollte also falsch daran sein, sich auf das – leicht geschrumpfte – Sprachspiel um das Wort „Gott“ zu verlassen? Es ist ja, für die meisten Teilnehmer, noch genügend übrig davon, Gefühle und Erlebnisse der Ehrfurcht, der Transzendenz (was auch immer das heißt), eine starke und guten Gemeinschaft der Gläubigen usw. Immer noch kann daraus das starke und sichere Gefühl entstehen, zu wissen, was das Wort „Gott“ bezeichnet, ebenso wie ich weiß, was das Wort „Sonne“ bezeichnet.

Und deshalb muss ich mich auch nicht unbedingt mit jemandem streiten, der von einem „apersonalen“ Gott spricht, obwohl ich der Meinung bin, dass das Unsinn ist. Schließlich muss ich mich auch nicht mit jemandem streiten, der immer noch meint, dass die Sonne um die Erde kreist, weil wir beide gemeinsam wissen, dass wir von dieser flammenden Scheibe sprechen, die jetzt eben am Horizont versinkt und weil das für fast alle Zwecke genügt.

Also, personal oder nicht, allmächtig oder nicht, all das sind Fragen, die ich zurück­stellen kann und darf, weil wir Gläubigen alle gemeinsam ja wissen, worum es geht. Oder genügt das etwa nicht?

Warum genug nicht mehr genug ist

Nein, es genügt nicht. Dazu erst einmal einige banale Stichworte:

  • Das Sprachspiel um „Gott“ bröckelt in diesen Tagen mit wachsender Geschwindigkeit ab. Dies gilt auch für vermeintliche Gegenbeispiele wie z.B. die Religiosität in den USA.
  • Außenstehende, die nicht in diesem Sprachspiel aufgewachsen sind, können kaum mehr hineingezogen werden, im Unterschied zu früheren Zeiten.
  • Die zunehmende Bandbreite und Unsicherheit der Aussagen, die in dem Sprachspiel akzeptiert werden, zeigen seinen innerlichen Zerfall an, siehe wieder (und versprochenermaßen zum letzten Mal in diesem Post) der „apersonale Gott“.

Diese Punkte, vielleicht bis auf den letzten, sind zeit- und erfolgsorientiert. Dazu kommen aber weitere, die den Kern des Monotheismus betreffen:

  • Ganz ähnliche Sprachspiele hat es auch in anderen Religionen gegeben, siehe dazu meinen vorangegangenen Post.
  • (Deutero-)Jesaias und vor allem Hiob zeigen die Vorstellung der unbegrenzten Allmacht als Flash, als Vision, die die Grenzen ihrer herkömmlichen Religiosität sprengt und übersteigt.

Zelte sind zum Wandern da

Trotz aller Städte, Könige und Tempel ist in der altjüdischen Religion die Sprache und die Vorstellungswelt des Nomadentums erhalten geblieben, die Sprache der Zelte und der Wanderung durch die Wüste. Das alte Testament beginnt mit dem Auszug Abrahams aus seinem Heimatland und vielleicht hat diese Grundidee des Unbehaustseins dazu beigetragen, dass sich gerade dieser Stammesglaube sich weiterentwickelt hat zu einer Weltreligion: Dass er über sein begrenztes Sprachspiel hinaus vorgestoßen ist zu dieser radikalen und abstrakten Idee der unbegrenzten Allmacht, wie in meinem letzten Post gezeigt.

Ich denke, es man sollte diesen Vorstoß ernstnehmen. Das bedeutet, dass ich mich, zumindest hypothetisch, darauf einlasse, dass diese Idee nicht irgendein Merkmal des monotheistischen Gottes meint, sondern sein eigentliches Wesen definiert. Das heißt, dass ich nicht von vorneherein alles, was ich sonst noch so gelernt habe, Gottes Güte und Gerechtigkeit und so weiter, erst einmal ganz beiseite lege. „Ich schaffe Licht und Finsternis, Glück und Unheil“, damit beginnt es erst einmal. Alles andere wird sich zeigen.

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „>Die Gottesaxiome„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.

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