Basisdiskurs Religion VIII >>>mehr
Der letzte der großen, erfolgreichen Entwürfe aus der Achsenzeit ist der des altjüdischen Monotheismus (der Taoismus weist zwar tiefe Denker auf, war aber im Ganzen wenig erfolgreich und de Hinduismus stellt keinen zusammenhängenden Entwurf dar, sondern das Gesamt der Religiosität auf dem indischen Subkontinent). Allerdings scheint der Monotheismus nicht wirklich zu den anderen Entwürfen der Achsenzeit zu passen. Hinter dieser kleinen Beobachtung verbirgt sich die grundsätzliche Anfrage an das Christentum überhaupt und die Antwort darauf wird die umfassende Entschlüsselung seines Wesens erfordern.
Das Rätsel
Die große Frage der Achsenzeit lautete: „Jetzt, da die Pyramiden, die großen Sinnsysteme zusammengebrochen sind, was soll an deren Stelle treten?“
Die Antwort des Konfuzius: „Wieder ein umfassendes Sinnsystem, aber diesmal durchanalysiert und in eine bewusste Disziplin gegossen.“
Die Antwort des Buddha: „Gar nichts soll an diese Stelle treten. Nutzen wir die Chance, dass unser Blick endlich frei wird für die grundlegende Misere des menschlichen Daseins und für den einzig möglichen Ausweg: Das Nirwana.“
Die Antwort Israels: „Es gibt nur einen Gott.“ Auf den ersten, zweiten und zehnten Blick ist nicht zu erkennen, welche Lösung dieses Prinzip zu welchem grundlegenden Problem des Menschen beiträgt. Welcher spirituelle, lebensphilosophische oder sonstige Nährwert liegt darin, den Götterhimmel durchzurationalisieren und alle seine Insassen bis auf einen hinauszuwerfen? Warum? Warum war eine solche organisatorische Maßnahme so ungeheuer erfolgreich? Um hier eine Antwort geben zu können, muss ich bis ins Herz dieses Glaubens vorstoßen.
Die große Hypothese
Die erste und absolut vorrangige Quelle für eine Antwort ist natürlich die hebräische Bibel, das Alte Testament des Christentums. Und hier, ganz am Anfang, muss ich einen Entschluss fassen, ohne den ich das Ganze gleich bleiben lassen kann. Ich muss von der Hypothese ausgehen, dass in dieser Bibel als Ganzes und auch im Alten Testament als der Grundlage eine fundamentale Aussage über das Menschentum enthalten ist. Hört sich einfach an, hat aber jede Menge Folgen, wenn ich das wirklich tue.
Erstens: Eine wirklich fundamentale Aussage über das Menschentum muss letzten Endes klar und eindeutig sein, das heißt, ich muss irgendwo eine fundamentale, zusammenhängende Lösung finden und sie als die eine Antwort der Bibel erweisen. An diesem Punkt würden übrigens viele Christen bereits abspringen, die die Bibel bewusst oder unbewusst als Krabbelkiste benutzen, aus der man sich, je nach Lust und Lage, für diese oder jene Aussage bedient.
Zweitens: Dies bedeutet, dass nicht jede Stelle der „Heiligen Schrift“ in gleichem Maße relevant ist und einige davon gar nicht. Die Vorstellung, dass jeder Vers in gleicher Weise von Gott inspiriert und deshalb in gleicher Weise heilig ist, kann deshalb von vorneherein nicht gelten. Angesichts der Widersprüchlichkeit der verschiedenen Aussagen in diesem Buch ist dies ohnehin nur dann zu glauben, wenn man Augen und Ohren fest verschließt und beim Lesen vergisst, was eben einige Verse zuvor gestanden hat. Ich kann froh sein, wenn ich einige Schlüsseltexte identifizieren und verstehen kann. Den Rest muss ich von diesen Punkten aus aufrollen. Es geht nicht darum, fromme Traditionen zu untermauern oder so viele Teile der Bibel zu „retten“ wie möglich, es geht darum, die Wahrheit zu finden.
Drittens: Wie gesagt, ich muss darauf hoffen, einige Schlüsseltexte zu finden, die mir den Kern des Ganzen aufzeigen. Wie soll ich sie identifizieren? Wie kann ich die Entscheidung rechtfertigen, gerade diesen Text als zentral anzusehen? Ich muss mich darauf verlassen, dass mich hier der allgemeine Instinkt des Menschen für das Wahre, Richtige, Einfache und Zusammenhängende genau so leitet wie er es überall tut. Geschrieben wurden diese Verse von anderen Menschen, denen derselbe allgemeine Instinkt für die Wahrheit innewohnt. Ohne dieses Vertrauen muss ich gar nicht erst anfangen. Und ohne dieses Vertrauen müsste ich mich fragen, was diese Heilige Schrift überhaupt soll.
Wie heilig ist sie denn?
Auch für einen Außenstehenden, so er nicht allzu parteiisch ist, ist die Bibel erst einmal zu respektieren als einer der umfangreichsten und ältesten Texte der Menschheit überhaupt. Und als der Text aus dieser Zeit, der das größte Spektrum unterschiedlicher geistiger Regungen umfasst, Heldensagen, poetische Gebetstexte, scharfe Analysen.
Über diese allgemeine Grundlage hinaus ist für mich und für jeden anderen, der die große Hypothese annimmt, dieser Text eine Sache vielleicht nicht auf Leben und Tod, aber einer Suche, die eine großen Teil seiner Lebensenergie in Anspruch nehmen wird. Und dafür ist der Ehrentitel „heilig“ sicher nicht verfehlt.
Und für einen Gläubigen ist er natürlich der zentrale Bezugspunkt dieses seines Glaubens, Träger seiner Tradition, die tief in die Jahrtausende hineinreicht. Wir tun ihr aber bitter unrecht, wenn wir sie als Zauberbuch verwenden, das nichts zu tun hat mit dem tiefen und besten Wunsch des Menschen, den nach der Wahrheit, als ein Zauberbuch, das zu jedem Anlass wirkmächtige Sprüche ausspuckt, die wir nach Belieben in unser eigenes Weltbild einbauen können.
Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Ich bin Jahwe und sonst keiner„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.
Äußerst interessant und horizonterweiternd! Ich bin sehr auf die nächsten Posts gespannt.