Apr 192012
 

Basisdiskurs Religion VII

Mit diesem Post nehme ich wieder den „Basisdiskurs Religion“ auf. Er schließt an meinen letzten Post über Konfuzius an. Konfuzius hatte den Menschen letzten Endes als zoon polikiton aufgefasst, als ein Wesen, dessen Identität aus seinem Platz und seiner Rolle in der Gesellschaft resultiert. Gautama Buddhas Analyse und die Lösung, die er daraus ableitete, waren davon radikal verschieden. Seine Lehre ist bei weitem die einfachste und klarste von allen Religionen und wird mich noch öfters beschäftigen.

 

Die Identität des Menschen? Gibts nicht

Der Zusammenbruch der alten, großen Sinnsysteme, der großen Pyramiden, wie ich sie nenne, hatte ein geistiges Vakuum hinterlassen, in dem dann zwangsläufig die Frage nach dem Wesen des Menschen und seiner Bestimmung in der Welt entstand. Die Antwort des Buddha war überraschend, aber klar und folgerichtig: Das Wesen des Menschen ist eine Illusion, seine Bestimmung ist es, dies zu erkennen und die Erkenntnis in sein Leben umzusetzen.

Die Entstehung dieser großen Theorie des Buddha ist schon oft geschildert worden: Sein Vorleben als Prinz und Asket und die schließliche Erkenntnis unter dem Bodhi-Baum. Er hat sie zusammengefasst in den sogenannten vier edlen Wahrheiten: Das Leben ist Leiden. Das Leiden kommt vom Durst / von der Begierde des Menschen. Es gibt einen Weg aus dem Leiden. Dies ist der achtfache Weg.

Der achtfache Weg: Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechter Lebenswandel, rechtes Streben, rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung.

Paticca Samupadda

Dieser achtfache Pfad ist von allen Lehren Buddhas am wenigsten theoretisch durchgebildet, wohl auch deshalb, weil praktische Anleitungen zum richtigen Leben immer mit der allgemeinen Unordnung des Lebens infiziert werden. Wesentlich wichtiger zum Verständnis der Lehre Buddhas ist die der ersten edlen Wahrheit zugrunde liegende Theorie über den menschlichen Geist: Das Paticca Samupadda, die Lehre von der Entstehung in Abhängigkeit.

Die klassische Darstellung dieser Lehre ist die in einer zwölfgliedrigen Kette: „Es entsteht in Abhängigkeit von: Unwissen Formationen, von Formationen Bewusstsein, von Bewusstsein Geistigkeit und Körperlichkeit, von Geistigkeit und Körperlichkeit die sechs Sinnestore, von den sechs Sinnestoren Kontakt, von Kontakt Empfindung, von Empfindung Begehren, von Begehren Anhaften, von Anhaften gewohnheitsmäßige Tendenzen, von gewohnheitsmäßigen Tendenzen Geburt, von Geburt Alter, Tod, Kummer, Jammer, Schmerz, Leid und Verzweiflung.“

Üblicherweise fassen Buddhisten diese Verkettung streng linear auf: Aus dem Ersten folgt das Zweite, aus dem Zweiten das Dritte usw. Für einen Nicht-Buddhisten wie mich macht das Ganze mehr Sinn, wenn ich sie als die Beschreibung eines blinden Ineinander von Impulsen lese, letztlich als Analyse des „Durstes“, aus dem in letzter Konsequenz das Leiden entsteht. Wenn ich die Formulierungen Buddhas dann noch als poetische, beispielhafte Beschreibung dieser Impulse lese, dann fällt es mir nicht schwer, sie in Übereinstimmung zu bringen mit den modernen Erkenntnissen über das menschliche Bewusstsein.

Buddhismus und Neuropsychologie

In letzter Zeit haben wir gelernt, dass unsere naive Vorstellung über uns selbst, unseren Geist und unsere Identität, auf schwankendem Boden steht. Unser Bewusstsein ist das Produkt einer Vielzahl von einzelnen, ineinander greifenden neurologischen Impulsen und Mechanismen, die uns nicht bewusst sind und über die wir zum großen Teil immer noch nur oberflächlich Bescheid wissen. Und je mehr wir über die verschiedenen psychischen Krankheiten erfahren, desto mehr müssen wir erkennen, dass unser Bewusstsein, dieses gefühlsmäßig so feste Fundament unserer Identität, in Wahrheit ein unsicherer und gefährdeter Mechanismus ist.

Buddha war vielleicht der größte religiöse Denker der Menschheitsgeschichte (Jesus und Mohammed z.B. waren eher Visionäre). Seine sichere Intuition für die schwankenden Grundlagen unseres Bewusstseins, für ihre stete Gefährdung, führte ihn zu dem Schluss, dass dieses ganze Unternehmen namens „menschlicher Geist“ unter dem Strich immer nur rote Zahlen schreiben würde. Schuld ist der blinde „Durst“, die Gesamtheit dieser Impulse, die einander anstoßen und steuern ohne einen anderen Plan als den, immer weiter und weiter zu machen. Daraus kann letztlich nichts anderes entstehen als Leiden, immerwährendes, unausweichliches Leiden.

Das brennende Haus

Wenn wir „Buddha“ hören, denken wir wohl unwillkürlich an all die friedvollen Darstellungen seiner Person, die so viele Wohnungen bevölkern (neben der Leuchtgans und dem elektrischen Feng-Shui-Brunnen). Diese chilligen Bilder und Plastiken lassen vergessen, dass er den Zustand der Menschheit als absolut katastrophal empfand, von Horizont zu Horizont erfüllt von der kreischenden Maschine des Paticca Samupadda. Es musste diesen bedauernswerten Kreaturen ein Weg zur Rettung ermöglicht werden, der achtfache Weg, der zuletzt ins Nirwana führte, in jenen Zustand, in dem das Paticca Samupadda endgültig zur Ruhe gekommen ist und sich aufgelöst hat.

Entscheidend ist dieses „Muss“. Der erste und wichtigste Antrieb, dem achtfachen Weg zu folgen, darf nicht der sein, dass man auch so relaxed oder erleuchtet oder was auch immer sein will wie dieser Meister, der wohl das Nirwana erreicht hat oder zumindest nahe daran ist. Antrieb sollte vielmehr die Erkenntnis der absoluten Unerträglichkeit des eigenen Zustands sein.

Dies spiegelt sich wieder in dem berühmten Gleichnis Buddhas von dem brennenden Haus (das viel später von Brecht auf den Sozialismus übertragen wurde). Seine Jünger fragten ihn einmal, wie denn das Nirwana beschaffen sei, ob es wie ein friedvoller Schlaf sei oder eher ein leeres Nichts. Buddha verglich in seiner Antwort diese Fragen mit denen von Insassen eines Hauses, denen ein Retter zuschreit, dass es brennt und dass alle schleunigst raus müssen. Da beginnen diese Leute erst einmal zu fragen, wie es denn draußen ist, ob es regnet usw. anstatt sofort das zu tun, was nötig ist: Sofort ins Freie zu stürzen.

Diese Vorstellung eines absolut unerträglichen Ist-Zustandes und der absoluten Notwendigkeit, ihm zu entkommen, werden wir übrigens auch bei Jesus von Nazareth finden, obgleich unter ganz anderen Vorzeichen.

Der Weg nach innen

Die Lehre Buddhas war vorbereitet worden durch indische Philosophen. Trotzdem war ihr großer Erfolg in Asien als Religion bemerkenswert. Bisher lag der Fokus von Religion in der Außenwelt. Götter und magische Kräfte wurden ja als Teil dieser Welt angesehen. Buddha wandte sich nun nach innen. Wenn ich die Frage formuliere, die die Achsenzeit aufgeworfen hatte, würde sie etwa so aussehen: „Die großen Pyramiden, die großen Systeme der Sinngebung sind zusammengebrochen. Was soll an ihre Stelle treten?“ Die Antwort Buddhas wäre gewesen: „Bitte nichts! Endlich sind diese täuschenden Schleier, diese falschen Gaukelbilder eines Lebenssinnes zerstört worden. Endlich haben wir die Chance, die Wahrheit zu erkennen, dass alles, was wir ‚Sinn‘ nennen nur eine Täuschung ist, ein süßes Gift, das uns im Paticca Sammupadda festhält. Nun werden unsere Augen frei für den Blick nach innen, für die Erkenntnis des großen Auswegs: Unser Bewusstsein zu befreien von den Fesseln der Illusion.“

Soweit dieser Post. Ich werde noch öfters auf den Buddhismus Bezug nehmen. Aufgrund seiner Klarheit und seiner Radikalität sehe ich ihn als Referenzpunkt für jede andere Religion einschließlich des Christentums.Der Vergleich wird spannend werden.

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Wie heilig ist die heilige Schrift?“. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.

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  4 Responses to “Weltreligionen: Buddha”

  1. Die erste Parallele, die mir hier ins Auge springt (ich mag mich da irren), ist die von buddhistischem „Durst/Gier“ und christlicher „Sündhaftigkeit/Erbsünde“. Wenn ich es echt verstehe ist dann ein Haptunterschied zwischen beiden Lehren, daß der Buddhist versucht, diesen Durst durch den achtfachen Pfad zu überwinden und ins Nirwana zu kommen, während der Christ (wobei es da freilich große Differenzen gibt) die Überwindung selbst nicht erreicht, sondern von Gott geschenkt bekommt.

    • Hallo BBT! Freut mich, dass Sie mir trotz langer Pause noch die Treue gehalten haben.
      Sie haben natürlich erst einmal recht, Durst bzw. Sünde sind die jeweiligen „Endgegner“ der jeweiligen Religion. Wobei die Sünde im Christentum u.a. vielschichtiger ist. Davon später mehr!

  2. Hallo Eric, meine Sprüche drüben bei SB waren nicht so gemeint, du scheinst im Grunde ein recht netter Kerl zu sein.
    Deine Ausführungen zu Buddha finde ich interessant, damit werde ich mich mal näher beschäftigen.
    Was ich mich frage ist allerdings, wozu brauchst du eigentlich diesen monotheistischen Gott
    Wie wär‘ mit Gott=Natur , Pantheismus oder auch aufgepeppter Atheismus.
    Gehe ich recht in der Annahme, dass du mein Alternativ-Angebot an Hans drüben gelesen hast und deswegen den Buddhismus bei unserer kleinen Debatte mit ins Spiel brachtest? Da sehe ich gewisse Parallelen.

    • Hi naseweis. Danke für die Blumen!
      Wie Du an dem Datum dieses Posts siehst, nehme ich schon lange Bezug auf den Buddhismus. Ich benutze ihn als Referenz dafür, wozu „Religion“ eigentlich erfunden wurde und für was sie dient. Dafür eignet er sich am Besten, weil er so tief und trotzdem so klar formuliert ist.
      Wozu „brauche“ ich Gott? Lass mich einen superbanalen Vergleich ziehen: Wozu „brauche“ ich erstklassige italienische Spaghetti mit einer frisch gemachten Sauce anstatt irgendwelche Schrottnudeln mit einem Bampf aus dem Glas? Erst mal gar nicht, überleben kann ich auch mit No. 2. Trotzdem werde ich den Teufel tun, auf No. 1 zu verzichten, das gehört für mich einfach zu einem besseren Leben dazu.
      Jetzt stehen wir natürlich da und wissen nicht, wie weiter kommunizieren: Du willst meine Nudeln auf keinen Fall probieren, weil sie Dir (a) viel zu teuer sind und du sie (b) grundsätzlich bäh findest. Leider kann Dir noch nicht einmal erklären, dass sie den Preis wert sind, weil Du sie erst mal probieren müsstest, um das einzusehen. Und, noch schlimmer, ich kann Dir noch nicht mal einen Teller voll hinstellen und sagen: „Jetzt iss doch mal“, weil jeder diese Nudeln (Gott) selber finden und kochen muss (so ungefähr).
      Um bei diesem Vergleich zu bleiben, der jetzt immer mehr zu hinken beginnt: Ich kann Dir erstens vorrechnen, dass das überhaupt nicht so teuer ist, wie Du denkst (Vergleiche des Glaubens mit Atommodellen usw.). Und zweitens kann ich versuchen, hier auf diesem Blog eine Art Kochbuch zu schreiben (meinen Basisdiskurs Religion), um das alles so weit rüber zu bringen wie überhaupt möglich. Es ist nur Text, nicht die Pasta selbst, klar. Aber mehr geht nicht.
      Übrigens hat mich die Polemik auf SB angeregt, noch mal einen Post zum Thema „Ist Gott ein übernatürliches Wesen?“ zu schreiben (ist er nicht).

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