Dies ist das Anfang der Rede, die ich bei der Startveranstaltung des Blogs in München gehalten habe. Das betreffende Video dauert noch ein bisschen, bis es zum Hochladen fertig ist.
Die Pyramide der Vorfahren, das war der zentrale Gedanke dabei.
Das Ende des Christentums
In diesem Jahrhundert entsorgen wir das Christentum, reduzieren es auf eine irrelevante Existenz im Sektenbereich. Für Europa kann daran kein Zweifel bestehen. Vermeintlich gegenläufige Bewegungen, wie z.B. die Fundamentalisten Nordamerikas, sind davon bei genauerer Analyse nicht ausgenommen.
Es ist möglich, dass dieser Prozess unvermeidlich ist. Es ist möglich, dass er irrelevant ist, dass das Verschwinden dieser Tradition so oder so keinen Unterschied macht. Es ist sogar möglich, dass das Endergebnis wünschenswert ist, wie viele Atheisten meinen, mit den üblichen schlechten Begründungen. Die Art aber, wie dieser Prozess abläuft, ist unwürdig, ich möchte sogar sagen, widerlich.
Die Pyramide der Vorfahren
Stellen Sie sich die Pyramide Ihrer Vorfahren vor, an deren Spitze sie stehen, Ihre beiden Elten, Ihre vier Großeltern usw. Wenn Sie einige hundert Jahre zurückgehen, sind es viele Tausende. Ihre Physis, Ihre Persönlichkeit, ist aus dieser Pyramide entstanden, übermittelt durch das Zusammenspiel der Gene, übermittelt durch winzige Verhaltensweisen, kleine Gesten, die sich von Generation zu Generation fortgepflanzt haben. So, wie Sie ihr eigenes Gesicht plötzlich in einer Fotografie Ihres Urgroßvaters wiederfinden, minus den Schnurrbart vielleicht, würde einer Ihrer Vorfahren Ihr Lachen als das seiner Schwester oder Ihren Wutausbruch als den seines Onkels erkennen.
All Ihre Vorfahren haben sich von der Wiege bis zur Bahre durch ein unglaublich hartes Leben gekämpft, haben das Leben ausgehalten und fortgepflanzt. Sie sind, wir sind ein Teil dieses Kampfes all dieser Menschen. Und in diesem Kampf hat es durch all die Jahrhunderte eine große geistige Konstante gegeben. Das war das Christentum. Von Mensch zu Mensch verschieden, verstrickt in Aberglauben, ganz still in einfältiger Frömmigkeit, laut in bigottischem Fanatismus, einfach da als selbstverständliche Struktur der Jahresablaufs nach den Festen und Namenstagen. Der „Seufzer der bedrängten Kreatur“, wie Karl Marx gesagt hat, oft eine Quelle der Höllenpein und Gewissensangst, oft aber auch der einzige Lichtblick, die einzige Ahnung von etwas anderem als dem stumpfen, harten Ringen um das tägliche Brot.
Ein würdeloses Begräbnis
Diese Idee, die sich wie ein großes, vielfarbiges Band, durch die Generationen schlingt: Sagen wir, dass wir sie in diesen Tagen endigen lassen. Gut. Aber:
Dann fordert es der Respekt vor der großen Pyramide, auf der wir stehen, d.h. der Respekt vor uns selbst, dass wir sie nicht gedankenlos und fetzenweise am Wegrand verlieren, sondern dass wir sie aufbahren und zu Grabe tragen. Dass wir genau hinsehen, was uns da überliefert wurde, dass wir ihre Eigenart, ihren Wert und ihren Unwert erkennen und dass wir sie dann, ablegen in vollem Bewusstsein dessen, was wir da tun, falls wir das dann noch wollen. Und zu diesem Blick auf die Sache, also auch zu einer echten Entscheidung, sind wir im Moment nicht fähig. Und bevor es besser werden kann, müssen wir dies erst einmal begreifen.
Ein Spiel namens Dampfplauderei
Denn heute ist der Atheist das Spiegelbild des Theologen und alle beide spiegeln sich im angeblich unbeteiligten Religionsphilosphen. Aber beteiligt sind sie alle, beteiligt an einem großen Spiel. In diesem Spiel geht es um das Christentum und das Spiel hat nur eine einzige Regel: Dampfplauderei ist Pflicht, bis in die angesehensten Diskussionen hinein.
Dieses Spiel wäre nicht möglich, wenn sich nicht alle daran beteiligen würden. Die modernen Atheisten wie Dawkins & Co. würden mit ihrer grotesken Wiedergabe des Gottesgedankens von der Bühne gelacht werden, wenn die Theologen klare Vorstellungen zu diesem Punkt entwickeln würden. Höchste Kirchenlehrer können einen augustinischen Platonismus als das non plus ultra verkaufen und werden darob in Bestsellern umjubelt, so als ob die letzten 200 Jahre kritischer Bibelforschung nicht stattgefunden hätten. Und eifrige Progressive sprechen gewohnheitsmäßig von einem apersonalen Gott im Buddhismus, obwohl in dieser glasklare Lehre ganz offensichtlich keine Spur davon zu finden ist. Der Beispiele sind viele; wo man auch immer hinlangt, fasst man ins Verworrene, Unklare, in Gedanken minderer Qualität, in eine Minderqualität, die so flächendeckend und allumfassend auf keinem, auf überhaupt keinem Feld unserer geistigen Landschaft zu finden ist.
Eine Minderqualität, die so allumfassend und tiefgreifend ist, dass wir uns ihrer nicht bewusst sind. Das ist die erste Aufgabe des Blogs: Dieses alles zerfressende Prinzip aufzudecken und immer wieder an seinen grotesken Beispielen sichtbar zu machen. Denn bevor wir uns nicht bewußt sind, dass es schlecht ist, kann es auch nicht besser werden.
Der nächste Post trägt den Titel „Programmierung und Indoktrinierung“ und enthält eine Auseinandersetzung mit einer gängigen Anklage gegen jegliche Religion. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.
Ich frag mich grad, was der augustinische Platonismus mit der modernen Bibelforschung zu tun hat…
Eine gute Frage. Die Antwort würde hier etwas zu umfangreich ausfallen, deshalb möchte ich auf meine Post zu dem Thema verweisen: Papst Benedikt: Führer wohin?
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Ich muss gestehen, dass ich Ihre Positionen, als Ganzes betrachtet, inzwischen doch recht merkwürdig und aus meiner Sicht nicht so recht nachvollziehbar finde. Kennen sie den französischen Religionssoziologen Olivier Roy?
Vielleicht äußere ich mich später noch ausführlich zu Ihrem Post.