Ich habe sowohl die „Ankündigung“ als auch den letzten Post stark überarbeitet. Insbesondere habe ich nun als Titel der Serie „Symbolon“ statt, wie bisher, „Diamant des Glaubens“.
Im letzten Post „Wo ist das Problem?“ habe ich reflektiert, dass wir durch eine starke Programmierung in den Bahnen unseres Denkens und Handelns festgehalten werden, in einem Lebensstil, der sich dramatisch von dem eines Jägers und Sammlers unterscheidet, also von dem Leben, in dem sich einst unsere genetischen Grundlagen entwickelt haben und für den sie optimiert wurden.
Lösungen
In den ersten Jahrtausenden von Zivilisationen wurde dieses Problem überspielt durch ein System, das ich die große Pyramide nenne und das den einzelnen Menschen in eine große, universale Ordnung einfügte. In der sogenannten Achsenzeit, um 600 v.Chr., brach dieses System wohl ein und in dieser Situation entstanden dann die großen religiösen Ansätze, die noch heute die bestimmenden sind.
Keiner von ihnen, vielleicht mit Ausnahme des Taoismus, sprach sich für ein „Zurück zur Natur“ aus, sie gingen alle davon aus, dass die Umwelt des Menschen erst einmal so ist, wie sie ist. Konfuzius entwarf ein System, das den Menschen und seine Gesellschaft optimieren sollte, Buddha erklärte den Geist des Menschen zu einem grundsätzlich defekten Mechanismus, der sich durch Selbsterkenntnis und Übungen selbst in einen Zustand der absoluten Ruhe herunterfahren müsse.
Der Ansatz des Christentums ist wesentlich komplexer, das ist gleichzeitig seine Stärke und seine Schwäche. Er hat sich in drei Stufen entwickelt:
- Die achsenzeitliche Idee des einen, unbeschränkt alles beherrschenden Gottes, die zuvor in dieser Schärfe noch nicht bestanden hatte
- Die Vision des historischen Jesus von dem kommenden Himmelreich
- Die Entwicklung in den ersten christlichen Gemeinden einer Vorstellung von Jesus als dem Erlöser, wie von Paulus dokumentiert
Die Aufgabe, diese drei Elemente zusammen zu takten, zu einer Einheit zu formen, hat sich traditionell niedergeschlagen in dem Dogma der Dreifaltigkeit: Drei Personen, die trotzdem irgendwie eins sind.
Das „christliche“ Problem
Wir können offensichtlich nicht zurück zu dem Leben unserer fernen Vorfahren, auch wenn wir das wollten. Konfuzius meinte, dass wir das auch gar nicht müssen, dass es auch in der Zivilisation möglich ist, eine befriedigende Umwelt für den Menschen zu schaffen; das Problem ist nur, dass wir vergessen haben, wie das geht. Buddha meinte, dass die eigentliche Schwierigkeit für den Menschen in seiner Fehlkonstruktion liegt; die moderne Lebensweise und die damit verbundenen Probleme sind lediglich Symptome dieses tieferen Mangels.
Die unsystematische Art, in der sich das Christentum entwickelt hat, hat unter anderem zur Folge, dass es nie eine objektive Beschreibung seiner eigenen Sichtweise des menschlichen Problems entwickelt hat. Alle solchen Beschreibungen setzen diese Religion schon voraus: „Erlösung von den Sünden“ z.B. verwendet „Sünden“ und „Erlösung“, die beide bereits religiöse Begriffe sind. Trotzdem kann man von seiner Lösung zurückschließen auf das Problem selbst, in etwa so, wie man aus der Beschreibung einer Therapie zurückschließen kann auf die Krankheit, die damit behandelt werden soll. In späteren Posts werde ich diesen Rückschluss erläutern, hier jetzt erst einmal das Ergebnis.
Drei Methoden der Programmierung
Das Programm, das uns steuert und auf Kurs hält, ist sicher ein Geflecht aus vielen Faktoren. Trotzdem kann ich drei Schwerpunkte ausmachen:
- Feste Weltbilder
- Zuckerbrot und Peitsche
- Verselbstständigte Dressur
Wichtig ist hier erst einmal, dass es sich hier um Systeme handelt, die Interaktion zwischen den beteiligten Faktoren bringt immer neue Impulse ein, die dann wieder ihr Eigenleben entfalten. Ein Produkt ist plötzlich „Kult“ und wir kaufen es, ohne dass dies jemand vorhergesehen hätte (obwohl die Gurus nachträglich immer alles erklären können) und ist dann ebenso plötzlich wieder weg vom Fenster. Menschen, die vorher kaum wussten, ob ihr Vater und ihre Mutter die Abstammung X oder Y hatten und denen das vor allem ganz egal war, hissen einige Jahre später die Fahnen von X oder Y und fallen in einem rasenden Blutrausch übereinander her (ich spreche von Jugoslawien).
Feste Weltbilder
Wir brauchen natürlich Vorstellungen, wie die Welt beschaffen ist. Für unsere Planungen brauchen wir auch Vorstellungen, wie sie beschaffen sein wird. Wenn wir an die Zukunft denken, denken wir in Szenarien, wir stellen einen Ausschnitt der Wirklichkeit vor, in dem wir handeln werden und in dem unser Handeln die und die Folgen hat. Und solche Bilder, solche Gedankenwelten, steuern natürlich dann unser Handeln.
Das ist weiter kein Problem, solange wir uns klar sind über den hypothetischen Charakter dieser zukünftigen Welt in unserem Kopf. Solche Bilder haben aber die Tendenz, sich zu verfestigen. Der Unterschied zwischen dem, was ist und dem, was sein wird, verschwimmt und wir „wissen“ dann, wie die Welt ist und wie sie sein wird. Und das hat Folgen.
Wenn wir, wie einige bei uns im Moment, „wissen“, dass Rumänen und Bulgaren jetzt massenhaft in unser Land einfallen und unsere Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden, dann folgen die entsprechenden Gesetze, Verordnungen und Verdächtigungen des einzelnen Einwanderers ganz von selbst. Es ist dann fast überflüssig, irgendwelche Anordnungen an die Behörden zu geben, bei ihm besonders harte Maßstäbe anzulegen und ihre Durchführung zu überwachen, vielmehr ist ein solches Verhalten völlig einleuchtend für die, die dieses Weltbild akzeptiert haben.
Solche Weltbilder gibt es überall, von dem eines segensreichen weltweiten Kapitalismus bis zu dem von der Schurkenhaftigkeit des Nachbarn, von dem des nahe bevorstehenden Jüngsten Gerichts bis zu dem, wonach jeder Christ einfach verblödet ist. Der Vorteil dieser Bilder für die Steuerung des menschlichen Lebens liegt auf der Hand: Sind sie einmal installiert, lenken sie das Denken und Handeln von selbst, das merkwürdigste Verhalten muss nicht mehr erzwungen oder belohnt werden, sondern erscheint dem Menschen rational und selbstverständlich, so lange er das zugrunde liegende Weltbild akzeptiert.
Zuckerbrot und Peitsche
Diese zweite Art von Steuerung ist am einfachsten zu verstehen. Wer unsere vom Geld bestimmte Lebensweise mitmacht, wird mit Geld belohnt, wer sie besonders gut mitmacht, wird mit besonders viel Geld belohnt und wer nicht mitmacht, bekommt kein Geld, was nicht günstig ist in einer Welt, in der alles einen Preis hat. Wer im überbordenden Bürokratismus unserer Staaten alle Papiere, Formulare und Anträge ausfüllt und als kostbaren Schatz bewahrt, bekommt keine Probleme, wer da stolpert oder aussteigt, wird schon sehen, was er davon hat. Und so weiter.
So erzeugt man Wohlverhalten. Noch Fragen? Keine? Dann weiter zum dritten Schwerpunkt.
Verselbstständigte Dressur
Was ich damit meine, ist Folgendes: Wenn ein bestimmtes Verhalten erst einmal bei mir etabliert ist, wird Zuckerbrot und Peitsche so gut wie überflüssig. Der menschliche Geist ist ein weicher Untergrund; wenn ein Wagenrad erst einmal genügend oft entlang einer bestimmten Spur gelenkt wurde, entsteht dort eine immer tiefere Rille und schließlich läuft das Rad ganz von selbst da entlang.
Ein nettes kleines Beispiel ist das Verhalten beim Esssen von Gästen einer Tagung. Beim ersten Mal kennt man noch niemanden und setzt sich irgendwo hin. Garantiert wird man sich beim zweiten Mal auf denselben Platz setzen, obwohl einen niemand dazu zwingt. Schlimmere Beispiele sind Zwangshandlungen, aber wenn ich mich selbst ein wenig beobachte, tue ich am Tag Dutzende, wenn nicht Hunderte von Dingen genau so, wie ich sie tue, aus keinem anderen Grund als dem, dass ich das „schon immer“ so gemacht habe.
Diese drei Schwerpunkte sind in unserem Denken und Handeln meist nicht scharf voneinander getrennt. Zuckerbrot und Peitsche erzeugt Dressur und muss sie vielleicht von Zeit zu Zeit wieder verstärken. Ein bestimmtes Weltbild lässt Aktionen von Belohnung und Strafe als notwendig erscheinen, andererseits formt auch eine längere Dressur beim Menschen sein Weltbild: Es ist für ihn eine unbehagliche Situation, wenn er sich im Klaren ist, dass er so handelt, wie er handelt, weil er dazu dressiert wurde. Er tut sich leichter, wenn er sich selbst erklärt, dass die Welt so und so beschaffen ist und dass es deshalb richtig ist, wenn das tut, was er tut.
Hunger und Durst
Nun gut, aber einerseits: Ist das so schlimm? Und andererseits: Wenn das alles notwendigerweise so ist, wieso soll man da die vergebliche Anstrengung machen, um das grundlegend zu ändern?
Meine Antwort wäre die: Irgendwo in meinem Inneren gibt es den Hunger nach Leben: Nach meinem eigenen vollen Leben ohne den Großteil davon meiner Programmierung zu überlassen. Es gibt einen zweiten Impuls (der aber in Wirklichkeit der gleiche ist), der Durst nach Freiheit: Frei zu sein von all dem, selbst auf meinen Beinen zu stehen mit nichts als dem Himmel über mir.
Und deswegen ist diese Situation so schlimm: Weil dieser Hunger, dieser Durst, der meinen besten Teil ausmacht, immer tiefer verschüttet wird. Und deswegen muss ich das grundlegend ändern.
Vergebliche Anstrengung? Vielleicht. Aber auch diese Vergeblichkeit ist wichtig.
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