Dies ist der zweite Post in der Reihe „Symbolon“. Ich werde in etwa drei Posts einen kurzen Überblick geben und anschließend tiefer sondieren.
Hier geht es zunächst um den Ausgangspunkt und das ist die Frage: Worum geht es überhaupt? Oder, anders formuliert: Wo ist das Problem, das der Glaube, das Symbolon, lösen soll?
Blick von außen
Ungeeignet sind solche Antworten wie: „Der Mensch hat sich von Gott getrennt und muss wieder zu ihm finden“ oder „Er muss Erlösung suchen“, vielleicht ergänzt durch „von seiner Sündhaftigkeit“.
Solche Aussagen erinnern an Sprüche wie: „Die Schule ist dazu da, um die Probleme zu lösen, die wir ohne sie gar nicht hätten.“ Das heißt, ohne den Glauben schon vorauszusetzen, sind diese Formulierungen sinnlos, ohne Gehalt. „Trennung von Gott“, „Sünde“, „Erlösung“, all das sind Vokabeln, die erst dem überhaupt verständlich sind, der schon in die religiöse Denkart eingeführt wurde. Und die noch dazu von unterschiedlichen Gläubigen und Glaubensgemeinschaften unterschiedlich verstanden werden.
Also: Nehmen wir einen Menschen, der vom Christentum noch nie etwas gehört hat. Warum sollte ihn dieser Glaube etwas angehen? Löst er ein Problem dieses Menschen? Und wenn ja, wo ist es?
Wo, nicht was
Ich sage „wo ist das Problem?“ und nicht „was ist das Problem“. Es wäre zu früh, um es zu beschreiben, aber ich kann angeben, in welche Richtung man blicken sollte, um es zu erahnen: Dorthin, wo an einer ganz bestimmten Stelle am Horizont eine Anomalie emporragt, die so groß ist, dass wir sie gerne übersehen.
Dies ist umso erstaunlicher, weil gleich daneben eine Schwester dieser Anomalie liegt, die wir sehr wohl zur Kenntnis und sogar sehr wichtig nehmen. Es ist dies die Frage eines gesunden Lebensstils in Ernährung und Bewegung, der unseren angeborenen körperlichen Bedürfnisse befriedigt und die Defizite ausgleicht, die auf diesem Gebiet in der modernen Welt nun einmal entstehen.
Das Problem für unseren Körper ist bekannt: Die genetischen Grundlagen unseres Bewegungsapparats, unseres Herz-Kreislauf-Systems und unseres Stoffwechsels waren spätestens 30 000 v.Chr. im Wesentlichen fertig entwickelt und zwar für die damaligen Lebensbedingungen von Jägern und Sammlern. Und unser Körper besteht auf diesen Grundlagen, er fügt sich nicht einfach in ein Leben zwischen bequemen Sesseln und Kartoffelchips an, er will ausgewogene Nahrung und Bewegungsprogramme und wenn er das nicht bekommt, rächt er sich auf die bekannte Art mit Diabetes, Herzinfarkt und ähnlichen Gemeinheiten.
Was aber unseren Geist angeht, verharren wir in der fröhlichen Überzeugung, dass wir ihm schlicht alles zumuten können, ohne dass dies jemals negative Folgen für uns hätte. Auch für unser Gehirn sind die genetischen Grundlagen im Wesentlichen die gleichen wie die unserer steinzeitlichen Vorfahren. Gleichzeitig kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Reize, die wir ihm aussetzen und die Leistungen, die wir ihm abverlangen, sich krass unterscheiden von den damaligen Anforderungen und sich noch dazu immer schneller verändern. Trotzdem verschwenden wir keinen Gedanken an die Möglichkeit, dass das alles unserem Geist vielleicht nicht so gut tut und dass wir diese Kluft zwischen unseren Anlagen und unserem modernen Leben zumindest im Ansatz diagnostizieren und, soweit möglich, auch therapieren sollten.
Couch und Chips
Wenn es um solche großen Grundsatzfragen geht, dann ist ein bisschen gesunder Menschenverstand manchmal von Vorteil. Eine Frage, die er hier stellen würde, wäre die folgende: Wenn unser Geist hier so ein riesiges Problem hat, warum merken wir dann nichts davon? Schließlich können wir bei einem Couch Potato, der den ganzen Tag auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzt und sich von einer ausgewogenen Diät von Chips und Cola ernährt, nach einiger Zeit deutliche Folgen dieser Lebensweise erkennen. Aber wo sind die geistigen Äquivalente von Diabetes und Herzinfarkt in unserer Zeit? Müssten die nicht massenhaft auftreten, wenn ich recht habe und müsste man nicht irgendetwas davon merken?
Die Antwort lautet: Ja, sie treten massenhaft und flächendeckend auf, in der Tat bei uns allen. Und nein, wir merken nichts davon und das ist auch ganz natürlich so.
Denn was würde geschehen, wenn eine ganze Bevölkerung durchgehend auf Couchen vor dem Fernseher sitzt von Kartoffelchips und Cola lebt? Selbstverständlich würden dabei massenhaft Kreislauf- und Stoffwechselprobleme entstehen. Aber weil dies alle gleichmäßig treffen würde und weil es keine Vergleichsdaten zu anderen Lebensweisen gäbe, würde dies einfach als selbstverständlicher und unvermeidlicher Teil des Lebens hingenommen werden: Menschen können eben nicht zwanzig Meter rennen, ohne außer Atem zu geraten, bekommen eben zum größten Teil Diabetes und sterben eben häufig mit unter 50 Jahren an Herzinfarkt.
Auf Kurs
Gut, vielleicht ist es so, dass wir tatsächlich irgendwie unseren Geist falsch ernähren und falsch bewegen. Aber geht das nicht noch ein bisschen genauer? Was ist denn in seinem Fall die Couch vor dem Fernseher und was sind die Kartoffelchips und die Coladosen?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, sie ist aber auch die falsche Frage, weil sie viel zu spezifisch ist. Schließlich ist ein bequemer Drehstuhl vor dem Computer und eine Diät aus Gummibären und Kokain mindestens ebenso schädlich. Und ebenso wird der Geist durch ein Leben in einem totalitären Staat und im Turbokapitalismus ganz unterschiedlich belastet, obwohl beide weit entfernt sind den Bedingungen bei den Jägern und Sammlern der Steinzeit, für die er doch einst optimiert wurde. Ich denke, ich kann dazu Folgendes sagen:
- Es handelt sich in beiden Kulturen um einen ähnlichen Mechanismus. Der Mensch muss nicht neu erfunden werden, wenn er, wie in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg, aus dem Naziregime in das Wirtschaftswunder wechselt. Motivationen und Regeln werden ausgetauscht, aber der Übergang ist so glatt, dass die grundlegenden Methoden wohl die gleichen bleiben.
- Das System, das uns in der jeweiligen Spur hält, ist also in seinen grundlegenden Mechanismen immer gleich, es ist anpassungsfähig, aber mächtig. Obwohl wir uns so weit von unseren Wurzeln entfernt haben, kommt uns unsere jeweilige Lebensweise im Großen und Ganzen natürlich und selbstverständlich vor.
Da ist also etwas, was mich auf Kurs hält, weit entfernt von der Welt, für die ich einst gedacht war, ein System, verschieden in seinen Ausprägungen, aber konstant in seiner Macht und vermutlich auch konstant in seinen Grundzügen.
Ja und?
Welche Bedeutung hat das für mich? Diese wechselhafte Macht, die mich vielleicht durch die heutige Welt steuert? Hört sich doch ganz nützlich an. Schließlich lebe ich in dieser Welt und fühle mich zeitweise auch ziemlich gut dabei. Warum also an etwas herumdoktern, das so vage ist und zu dem es vermutlich auch gar keine richtige Alternative gibt? Es gibt eine Zeile bei Schiller, die mir immerim Gedächtnis geblieben ist:
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und wär‘ er in Ketten geboren
Trotz allem glaube ich, dass tief in jedem von uns etwas ist, das sich nicht zufriedengibt mit einem Käfig, solange der Freßnapf gefüllt ist und genügend weiches Heu zum Liegen vorhanden ist. Aber wie ausbrechen? Und was ist, wenn die Gitterstäbe dafür zu fest sind?
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