Jun 072013
 

Mein neutraler und informativer Bericht über den zweiten Tag der Veranstaltung in Tutzing wurde um 24 Stunden verschoben durch ein plötzlich hereingebrochenes spontanes Fest der Anwohner meiner Straße aufgrund des plötzlich hereingebrochenen Frühsommers.

Ich bitte um Entschuldigung und mache jetzt weiter.

Die Rolle

Aufgrund eines besonders scheußlichen Termins am frühen Morgen (Nachfragen nach Einzelheiten bitte ich zu unterlassen) versäumte ich den ersten Vortrag komplett und den zweiten fast zur Gänze. Ein Kommentar dazu wäre also mehr als verwegen.

Vollständig bekam ich die Abschlussveranstaltung mit, ein Podiumsgespräch zum Thema der Rolle des Protestantismus bei der wissenschaftlichen Politikberatung. Besetzt war es mit einer Oberkirchenrätin und zwei Professoren, einer davon evangelischer Professor für Systemantische Theologie. Ich könnte jetzt natürlich so tun, als hätte ich von einem systematischen Theologen systematische Theologie erwartet und mich hier künstlich darüber aufregen, dass ich furchtbar enttäuscht wurde, aber nach meinen Erfahrungen vom Vortag würde mir das eh niemand glauben. Interessant waren aber die Ersatz­handlungen, die stattdessen stattfanden.

Der Wahn der Weltanschauungsfreiheit

Zuerst einmal wurde klar bejaht, was ich am Vortag erfahren habe: Ein evangelischer Theologe macht in einer Ethikkommission keine Theologie. Wenn er nämlich das tun würde, wofür er ausgebildet und eigentlich in die Kommission berufen wurde, würde ihm keiner zuhören, weil man ihn dann als Vertreter einer Weltanschauung und damit von vorneherein als rationalitätsfrei einstufen würde. Dies ist, wie erinnerlich, das Schicksal seiner dort vertretenen katholischen Kollegen.

Wie Professor Dabrock, so hieß der Theologe, dann völlig korrekt anmerkte, hat aber jeder Mensch und insbesondere die anderen Mitglieder der Kommission eine Welt­anschauung (es ist mehr als amüsant, dass vor allem die Naturwissenschaftler dort sich offensichtlich selbst frei davon wähnen). Und auch die Folgerung daraus ist sicher richtig: Ein Theologe ist gewohnt, dass ihn außerhalb seiner Community niemand versteht und dann als Protestant auch geübt, sich in fremde Denkwelten einzufühlen und zwischen ihnen zu vermitteln. Das macht ihn dann sicher auch kompetent, in einer solchen Kommission diese Rolle des Vermittlers zu spielen und dabei im Untergrund einiges von seinen eigenen Anliegen einfließen zu lassen.

Zwei Sprachen

Auch die weiteren Ausführungen Dabrocks waren aller Ehren wert: Er bringt zwar in die Diskussion keine christlichen Stichworte ein, aber seine Anliegen, die er dort mit allgemein ethischen Argumenten vertritt, sind christlich motiviert: Als Anwalt der Armen und Schwachen zu wirken. Nur sagte er nichts von Armen und Schwachen, sondern sprach davon, anwaltschaftlich für die gesellschaftliche „Vulnerabilität“ zu wirken.

Dies war ein besonders auffälliges Exemplar für einen markanten Bruch in seiner Sprach­wahl. Wenn es um allgemeine Themen wie Politik ging, waren seine Worte erfrischend direkt und zupackend, zum Beispiel wenn er angab, dass Politiker an ihm meist nur als Positionsverstärker der eigenen Anliegen interessiert seien. Wenn es aber galt, in seinem Diskurs die christliche Flagge aufzuziehen, bog er sofort in eine Nebelbank von vielsilbigen Fremdwörtern ein, bei denen der religiöse Bezug höchstens für den Spezialisten sichtbar war. Da waberte es nur so von „Vulnerabilität“, „Fremdheitshermeneutik“, „Gemeinwohl imaginieren“ und ähnlichen in einen diffusen Dunst von Wissenschaftlichkeit gehüllten Termini.

Es ist vielleicht unvermeidlich, in einer Ethikkommission sprachlich auf hohen Kothurnen von Soziologendeutsch einher zu stolzieren. Aber in einer evangelischen Akademie sollte es möglich sein, für einige Minuten diese Maskierung fallen zu lassen und in den direkten und packenden Worten etwa der Bergpredigt zu sprechen, eben von Armen zu reden statt von marginalisiertem Prekariat. Es schien mir aber, als habe dieses Soziologensprech bereits die Blutschranke in die theologische Sprache überwunden und dort Diskurs und Gedanken okkupiert. Klare und direkte Worte sind wohl in der Liturgie und im Gebet noch anwesend, in der Theologie sind sie aber unerwünscht.

Rückzug oder Vormarsch

Das Schlusswort durch den Vertreter der Akademie selbst schloss mit dem Aufruf, sich als Theologe an Personen zu orientieren und sich nicht auf abstrakte Lehrgebäude zurück­ziehen. Ein wunderbarer Satz, der zu einiger Reflexion geradezu herausfordert.

Erstens ist es bemerkenswert, dass diese beiden Elemente (Personen versus Lehrgebäude) als Gegensätze formuliert werden. Es wäre ja auch möglich, dass diese zwei in einem dialektischen Verhältnis zu einander stehen, dass ein christliches Lehrgebäude den Gläubigen motiviert, sich dem Anderen zuzuwenden und dass die dabei gewonnenen Erfahrungen wiederum in eine Verbesserung des Lehrgebäudes einfließen.

Es ergibt aber durchaus Sinn, dieses Paar als einander abstoßende Gegenpole zu suggerieren. Werde ich dann vor die Wahl gestellt, ob mir die Leute oder ein abstrakte Lehren lieber sind, werde ich mich natürlich für die Menschen entscheiden und damit entfällt die Notwendigkeit, sich einmal näher mit diesem Lehrgebäude zu befassen. Und es könnte ja sein, dass ich dann einen dringenden Renovierungsbedarf feststellen würde, was die heutige Theologie in einige Verlegenheit bringen dürfte.

Ein Gebäude braucht nach allgemeinem Verständnis ein haltbares Fundament, stabile Mauern und ein dichtes Dach. Und woher nehmen oder notfalls stehlen (mich fragt ja keiner)?

Zu den aktuellen Posts

 Hinterlasse eine Antwort

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

(required)

(required)